04.08.2024

Kraut mit vielen Kräften

Interview: Andreas Bättig – Fotos: Mikro Makro Studio Mirjam Graf und Nadia Neuhaus
Das Start-up Swissnettle will die Brennnessel in die Küche bringen. Warum die Pflanze so besonders ist und wie man sie am besten zubereitet, erzählt Co-Gründerin Doris Abt.
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«Alles ist Neuland.»

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich mit Brennnesseln zu beschäftigen?
Doris Abt: In meinem eigenen Garten gab es viele Brennnesseln, die ich zuerst als lästig empfand. Dann sah ich einen Dokumentarfilm über einen Brennnesselpark in Frankreich und begann zu recherchieren. Plötzlich taten sich mir ganz neue Welten auf. Ich erkannte, dass diese Pflanze, die ich jahrelang als negativ empfunden hatte, eigentlich sehr wertvoll ist.

Was ist das Besondere an der Brennnessel?
Sie ist unglaublich reich an Nährstoffen. Sie enthält Eiweiss, Eisen, Vitamine und Antioxidantien. Ausserdem hat sie entzündungshemmende und immunstärkende Eigenschaften. Es gibt sogar Studien, die zeigen, dass Brennnesseln bei chronischen Gelenkerkrankungen wie Arthrose Schmerzen lindern können. Weiter können alle Teile der Pflanze verwendet werden – von den Blättern und Samen über die Wurzeln bis hin zu den Fasern.

Wie werden Brennnesseln angebaut?
Auf Versuchsfeldern testen wir verschiedene Anbaumethoden und technische Lösungen für die Ernte. Denn alles ist Neuland. Wir versuchen, den Anbau von Anfang bis in die kleinsten Details so nachhaltig wie möglich zu gestalten, indem wir zum Beispiel auf schwere Maschinen verzichten, mit Mulch arbeiten und konsequent auf Kreislaufwirtschaft hinarbeiten.

Welche Produkte stellen Sie aus Brennnesseln her?
Unser Hauptaugenmerk liegt auf Lebensmitteln. Wir stellen zum Beispiel ein gefriergetrocknetes Pulver her, das als Nahrungsergänzungsmittel verwendet werden kann. Für die Zukunft planen wir Tiefkühlgemüse, einen Ersatz für Spinatwürfel. Ausserdem arbeiten wir an der Verarbeitung von Fasern – ein visionäres Zukunftsprojekt.

Wie kann man Brennnesseln in der Küche verwenden?
Es gibt viele Möglichkeiten. Man kann sie wie Federkohl oder Spinat zubereiten, in Smoothies mixen oder als Chips im Ofen rösten. Brennnesselsuppe mit Kartoffeln ist ein Klassiker, den selbst Kinder mögen. Auch als Pesto schmecken Brennnesseln sehr gut. Wichtig ist, sie vor der Zubereitung zu blanchieren, um die Brennhaare zu neutralisieren.

Gibt es besondere Herausforderungen für Restaurants, die mit Brennnesseln arbeiten wollen?
Eigentlich ist die frische Brennnessel sehr unkompliziert und gut einige Tage haltbar. Verarbeitet sollte sie jedoch am selben Tag genossen werden, da sie sonst gerne geschmacklich und farblich ein Eigenleben entwickelt. Deshalb bieten wir auch Produkten wie unser gefriergetrocknetes Pulver an, das länger haltbar und flexibler einsetzbar ist. 

Doris Abt von Swissnettle ist überzeugt, dass die Brennnessel in der Gastronomie einen festen Platz einnehmen könnte.
Doris Abt von Swissnettle ist überzeugt, dass die Brennnessel in der Gastronomie einen festen Platz einnehmen könnte.
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Wie sehen Sie die Zukunft der Brennnessel in der Gastronomie?
Ich bin sehr optimistisch. Ich glaube, dass sich die Brennnessel in der modernen Küche etablieren wird. Sie passt perfekt in den Trend zu nachhaltiger, regionaler Ernährung. Zudem ermöglicht sie den Köchen und Köchinnen, etwas Besonderes und Überraschendes auf den Teller zu zaubern. Ich kann mir vorstellen, dass wir Brennnesseln in Zukunft nicht nur in Spezialitätenrestaurants, sondern auch in der Alltagsküche häufiger sehen werden.

Wie wurde die Brennnessel historisch genutzt und wie hat sich ihre Wahrnehmung im Laufe der Zeit verändert?
Die Brennnessel hat eine lange und vielfältige Geschichte. Sie war schon sehr früh als Heilpflanze bekannt und taucht bereits in den ersten medizinischen Aufzeichnungen auf. Auch als Nahrungspflanze wurde sie schon immer genutzt. Wenn man mit älteren Menschen spricht, wird deutlich, dass es für sie selbstverständlich war, Brennnesseln zu essen. In den Balkanländern ist der Verzehr von Brennnesseln auch heute noch weit verbreitet und normal. Es ist also keineswegs so, dass die Brennnessel immer nur als Unkraut angesehen wurde. Allerdings scheint dieses Wissen in manchen Regionen in Vergessenheit geraten zu sein und die Pflanze wird heute oft unterschätzt.

Wie nachhaltig ist der Anbau von Brennnesseln im Vergleich zu anderen Kulturpflanzen?
Der Anbau von Brennnesseln ist in vielerlei Hinsicht sehr nachhaltig. Sie sind mehrjährige Pflanzen, sodass der Boden weniger oft bearbeitet werden muss. Ausserdem sind sie sehr widerstandsfähig gegen Klimaschwankungen.

Haben Sie einen Tipp für alle, die selbst Brennnesseln sammeln möchten?
Sammeln Sie mit Mass und achten Sie darauf, dass Sie die Pflanzen nicht überstrapazieren. Beginnen Sie vielleicht mit ein paar Blättern für einen Smoothie oder probieren Sie die Chips-Variante.

Wie sieht Ihre Vision für die Zukunft aus?
Wir wollen das Bewusstsein für diese wertvolle Pflanze schärfen und zeigen, dass sie eine nachhaltige Alternative in der Landwirtschaft und Ernährung sein kann. Unser Ziel ist es, das Wissen über den Anbau und die Verarbeitung der Brennnessel zu teilen und möglichst viele Menschen dafür zu begeistern.

Facettenreiches Start-up
Die Swissnettle GmbH baut, gemeinsam mit einem interdisziplinären Team, ein kreislauforientiertes Lieferkettenmodell auf. Swissnettle-Produkte treten in den Bereichen Food, Gesundheit, Beauty, Tierfutter sowie Dünger in Erscheinung und sind ausserdem die ökonomische Basis einer nachhaltigen Faserproduktion in der Schweiz. Weitere Infos zum Start-up gibt es online.
swissnettle.ch