01.10.2019 Salz & Pfeffer 7/2019

Kulinarisch gegen die Krise

Interview: Sarah Kohler – Fotos: Njazi Nivokazi
Der Kitchen Battle ist das Erfolgskonzept der Schweizer Organisation Cuisine sans frontières. Wir haben mit Geschäftsleiterin Anna Hofmann über alles andere geredet.
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«Braucht es das? Die Frage treibt uns durchaus um.»

Cuisine sans frontières hat bis heute gut ein Dutzend Projekte in zehn Ländern lanciert. Gibts darunter eins, das Sie für besonders erfolgreich halten?
Anna Hofmann: Es gibt eins, das einfach extrem symbolträchtig ist: Calabash in Kenia. Das Projekt spiegelt genau das, was Cuisine sans frontières zugrunde liegt. Wir bauten ein Restaurant auf die Grenze zwischen den Territorien von zwei verfeindeten Stämmen, den Pokot und den Turkana. Heute wird das Lokal von Vertreterinnen und Vertretern beider Gruppen betrieben. Calabash war als Friedensprojekt angedacht – und es funktioniert.

Wie weiss man das?
Wissenschaftlich betrachtet, lässt sich Frieden natürlich nicht so einfach messen. Aber alle, die dort in der Region sind, sagen, die Situation habe sich markant verbessert, sprich: sei friedlicher geworden.

Was ist hier der Schlüssel zum Erfolg?
Dass sich die Menschen kennen lernen, dass sie etwas gemeinsam tun. Wenn die Leute erst einmal Kontakt haben, erkennen sie: Der andere gehört vielleicht nicht zu meinem Stamm, er ist aber auch nur ein Mensch. Die Kommunikation beginnt bei der Frage: Kannst du mir mal das Salz reichen? Das mag noch nicht das grosse Friedensgespräch sein, aber immerhin passiert was. Aus diesem Gedanken heraus entstand Cuisine sans frontières: In allen Kulturen wird gegessen. Auch wenn sich die einen dafür auf den Boden setzen und die anderen an den Tisch: Zentral ist Essen in allen Gesellschaften, es schafft Zusammenhalt. Nehmen wir ein Schweizer Beispiel: Das Beizensterben in den Bergtälern hat zur Folge, dass ganze Gemeinschaften auseinanderfallen. Wir sagten uns also: Wir gehen da hin, wo es keine Beizen mehr hat, und bauen wieder welche auf.

Wobei Sie den akuten Konflikt meiden.
Das stimmt. Für den Einsatz im direkten akuten Konflikt mit bewaffneten Auseinandersetzungen sind wir zu klein. Aber wir gehen, sobald ein Konflikt durch ist, und es gilt, die Zivilgesellschaft wieder aufzubauen. In Kenia etwa herrscht nicht nur Streit zwischen den beiden Stämmen, sondern ist die Region auch extrem arm – was die Auseinandersetzungen natürlich befeuert. Man macht sich Weideplätze oder die Wasserstellen streitig. Da können wir mit unserem Projekt ansetzen.

Cuisine sans frontières schreibt sich Friedensförderung auf die Fahne. Inwiefern unterscheidet sich diese Aufgabe von der Entwicklungszusammenarbeit?
Was wir tun, ist durchaus Teil der Entwicklungszusammenarbeit. Wir legen den Fokus einfach auf die Friedensförderung durchs gemeinsame Essen in Postkonfliktzonen. Unsere Projekte sind aber immer auch ein wirtschaftlicher Faktor: Ein Restaurant ist ein Arbeitsplatz. Die Gastrobranche gibts überall, sie ist die wahrscheinlich grösste Arbeitgeberin der Welt.

Sie engagieren sich auch in der Ausbildung, zum Beispiel mit einem Schulschiff auf dem Rio Napo in Ecuador.
Genau. Wir fahren mit unserem Flussschiff durch den Regenwald im Yasuni-Nationalpark, in dem die ursprüngliche Lebensgrundlage der Indigenen bedroht ist; der Wald wird abgeholzt, das Einzugsgebiet zum Jagen immer kleiner und so mancher Konflikt von aussen gezielt geschürt, weil es einfacher ist, sich in Ruhe an den Ölvorkommen zu bereichern, solange die Stämme damit beschäftigt sind, sich gegenseitig zu bekämpfen. Wenn wir den Menschen langfristig ermöglichen möchten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, brauchen sie einen Einstieg in den Arbeitsmarkt. Hier kommt die Gastronomie ins Spiel, die es ja eben weltweit gibt – also auch am Rio Napo. Die Region verfügt bereits über einen leichten Ökotourismus mit ein paar Lodges, und auch die indigenen Gemeinden unterhalten zum Teil schon kleine Projekte. Das Know-how für einen professionellen Betrieb aber fehlt. Ziel des Kurses, den wir auf dem Flussschiff anbieten, ist es, dieses fehlende Wissen zu vermitteln. Und auch hier nehmen wir jeweils Mitglieder von zwei Stämmen zusammen an Bord, um sie gemeinsam zu Gastgebern auszubilden.

Die Einmischung des Westens in die Konflikte in Entwicklungsländern steht bisweilen in der Kritik: Sie sei weder sinnvoll noch zielführend, verschärfe Krisen allenfalls sogar. Sind Sie mit solchen Vorwürfen konfrontiert?
Direkte Kritik erleben wir ehrlich gesagt kaum, dafür stehen wir zu wenig im Licht der Öffentlichkeit. Nichtsdestotrotz setzen wir uns mit diesen Überlegungen auseinander. Unsere Projekte wirken sich sehr lokal aus, weil wir eben so klein sind. Und die Zusammenarbeit mit einem Partner vor Ort ist für uns wirklich das A und O.

Ohne den lokalen Partner gibts kein Projekt?
Genau. Wir wollen verhindern, was an der Entwicklungszusammenarbeit oft bemängelt wird: dass eine Organisation kommt, etwas aufbaut und wieder abreist, ohne dass die Menschen vor Ort damit etwas anfangen können. Wir klären den Bedarf im Vorfeld tatsächlich ab. Das Rio-Napo-Projekt etwa basiert auf einer rund 100-seitigen Studie darüber, ob unsere Idee bei der lokalen Bevölkerung auf ein Bedürfnis stösst. Braucht es das überhaupt? Diese Frage treibt uns, gerade als kleine Organisation, durchaus um.

Cuisine sans frontières ist, insbesondere seit dem Start der Benefizveranstaltung Kitchen Battle, enorm gewachsen. Welche Strategie verfolgen Sie da?
Ich bin überzeugt, dass sich Cuisine sans frontières das Kleine, das Persönliche bewahren muss. Man kennt uns, wir kennen unsere Leute – das ist elementar. Aber ja, vielleicht brauchen wir in Zukunft noch ein, zwei Leute auf der Geschäftsstelle und können international noch das eine oder andere Projekt lancieren. Grundsätzlich haben wir mit dem Vorstand jedoch beschlossen, dass wir momentan nicht in die Höhe wachsen wollen, sondern vielmehr in die Breite.

Was heisst das?
Wir möchten breiter abgestützt sein. Bis vor kurzem kam die ganze Projektbetreuung aus der Geschäftsstelle und dem Vorstand heraus. Neu beziehen wir sogenannte Projektcoaches ein, die als Bindeglied zwischen dem lokalen Projektleiter und dem Vorstand oder der Geschäftsstelle fungieren. Es geht uns also um personelle Breite, aber auch um finanzielle.

Ja?
Wir versuchen seit ein paar Jahren, uns diverser zu finanzieren. Lange waren wir ziemlich stark vom Kitchen Battle abhängig, der nach wie vor super funktioniert, aber wir möchten gewappnet sein für den Fall, dass das Interesse daran mal nachlässt. Deshalb bauten wir unter anderem Les Amateurs de la Cuisine sans frontières auf. Die Beiträge dieser Gönner sind explizit dafür gedacht, die Arbeit der Geschäftsstelle auf einen soliden Sockel zu stellen. Im Gegenzug geht das Geld, das wir auf Kanälen wie dem Kitchen Battle sammeln, direkt in die Projekte.

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Was sagen Sie einem Koch, der Cuisine sans frontières unterstützen möchte: Geld spenden oder aktiv mithelfen?
Wir brauchen beides. Tendenziell ist es allerdings einfacher, Menschen zu finden, die sich engagieren.

Echt?
Die Mitarbeit in den Projekten ist natürlich spannend. Gerade in der Gastronomie gibts immer wieder Leute, die ein paar Monate Pause haben – und es hat sich herumgesprochen, dass man da mit Cuisine sans frontières gut ein kleines Abenteuer erleben kann. Es ist ein Geben und Nehmen: Der Arbeitsalltag in unseren Projekten gewährt einen einzigartigen Einblick in ein fremdes Land – und wir sind immer froh um Leute, die mithelfen. Am liebsten sind uns Köche, die viele Sprachen sprechen und handwerklich begabt sind. Das grenzt die Auswahl dann wieder ein.

Wie entscheiden Sie eigentlich, wo Cuisine sans frontières ein Projekt in Angriff nimmt?
Da gibts keinen einheitlichen Weg, aber zwei Voraussetzungen: Es braucht einen Konflikt und einen lokalen Partner.

Apropos: In Ecuador starten Sie gerade eine spannende Kooperation mit Gate Gourmet.
Das ist richtig. Das Projekt El Fogon ist die Fortführung des Kurses auf dem Rio Napo. Wir wussten von Anfang an, dass wir eine solche weiterführende Ausbildung allein nicht stemmen können, und haben mit Gate Gourmet den perfekten Partner dafür gefunden: Das Unternehmen beteiligt sich finanziell massgeblich, vor allem aber hat es einen Sitz in Ecuador. Wir bekommen Material, das dort in der Küche nicht mehr gebraucht wird – und wir haben bereits die Zusage, dass Gate Gourmet Praktikumsplätze für Leute aus unsere Ausbildung anbieten wird.

Inzwischen betätigt sich Cuisine sans frontières nicht mehr nur im Ausland, sondern auch in der Schweiz. Das ist ein recht anderer Ansatz. Warum passt das ins Programm?
Weil es auch hier darum geht, Menschen übers Essen zu verbinden. Wir starteten 2013 im Zürcher Zentrum Juch, als dieses als Notunterkunft für Geflüchtete diente. Wir bauten eine Gruppe auf, die einmal in der Woche für alle kochte. Kurz darauf wurde im Juch der Testbetrieb für das beschleunigte Asylverfahren lanciert, und wir mussten unser Konzept anpassen.

Inwiefern?
Mit dem neuen Verfahren konnten wir keine fixe Gruppe mehr unterhalten, weil die Leute innert kurzer Zeit ihren Asylentscheid erhielten und anderswo untergebracht wurden. An unserer Idee von einer gemeinsamen Mahlzeit, vom Gastgeben und davon, diesen Menschen ein anderes Gesicht der Schweiz zu zeigen, hielten wir aber fest: Inzwischen kochen unsere Freiwilligen monatlich mit und für die Bewohnerinnen und Bewohner. Dieses gemeinsame Kochen führen wir seit September im Fogo weiter. Es ist faszinierend, wie diese Geste wirkt: Selbst wenn man nicht die gleiche Sprache spricht, ist beim Kochen eine Verständigung möglich – und sie passiert ganz automatisch.

Der Mensch
Anna Hofmann (38) ist Geschäftsleiterin von Cuisine sans frontières (Csf). Sie studierte Journalismus und Kommunikation in Winterthur. In Kontakt mit Csf kam sie 2007 während ihrer Anstellung in einer kleinen Zürcher Agentur, als diese begann, für die Organisation erste Medienarbeiten zu erledigen. Eins führte zum anderen, das Netzwerk verdichtete sich und die Sache nahm in der Bürogemeinschaft Fahrt auf. 2010 wurde der Csf-Vorstand von drei auf fünf Leute erweitert, im Folgejahr übernahm Hofmann die Geschäftsleitung. Aus dem Arbeitsaufwand von ein paar Stunden im Monat ist inzwischen ein 90-Prozent-Pensum geworden, das sich Hofmann mit Mareike Biegert teilt.

Die Organisation
Der gemeinnützige Verein Cuisine sans frontières (Csf) wurde 2005 von David Höner gegründet und baut in Krisengebieten oder sozialen Konfliktsituationen gastronomische Treffpunkte und Ausbildungsstätten auf. Dabei kooperiert Csf stets mit einem lokalen Partner. Die Organisation ist und war in Kolumbien, Ecuador, Brasilien, Griechenland, Georgien und Kenia, im Libanon und im Kongo sowie in der Schweiz aktiv. Sie finanziert sich durch Spenden, Mitglieder- und Stiftungsbeiträge sowie die Benefizveranstaltung Kitchen Battle.
www.cuisinesansfrontieres.ch

Der Anlass
Mit dem Kitchen Battle erlebte Csf ab 2009 einen regelrechten Wachstumsschub. Das Konzept des Benefizanlasses: Jeweils zwei Kochteams treten mit einem Warenkorb, dessen Inhalt sie erst am Tag des Events erfahren, gegeneinander an und kreieren einen Viergänger, den sowohl die Gäste als auch eine Jury beurteilen. Der Erlös der Battles, die inzwischen in Zürich, Bern und Luzern stattfinden, fliesst in die Projekte von Csf. Dieses Jahr liegt der Fokus auf der Schweiz: Im Fogo, in dem seit kurzem Geflüchtete und junge Erwachsene in Ausbildung leben, baut die Organisation den Social Gastronomy Hub Zürich auf. Die Battle-Tour 2019 startet am 24. Oktober in Luzern und endet am 16. November in Bern. Weitere Infos und allenfalls letzte Tickets gibts online.
www.kitchenbattle.ch