«Braucht es das? Die Frage treibt uns durchaus um.»
Cuisine sans frontières hat bis heute gut ein Dutzend Projekte in zehn Ländern lanciert. Gibts darunter eins, das Sie für besonders erfolgreich halten?
Anna Hofmann: Es gibt eins, das einfach extrem symbolträchtig ist: Calabash in Kenia. Das Projekt spiegelt genau das, was Cuisine sans frontières zugrunde liegt. Wir bauten ein Restaurant auf die Grenze zwischen den Territorien von zwei verfeindeten Stämmen, den Pokot und den Turkana. Heute wird das Lokal von Vertreterinnen und Vertretern beider Gruppen betrieben. Calabash war als Friedensprojekt angedacht – und es funktioniert.
Wie weiss man das?
Wissenschaftlich betrachtet, lässt sich Frieden natürlich nicht so einfach messen. Aber alle, die dort in der Region sind, sagen, die Situation habe sich markant verbessert, sprich: sei friedlicher geworden.
Was ist hier der Schlüssel zum Erfolg?
Dass sich die Menschen kennen lernen, dass sie etwas gemeinsam tun. Wenn die Leute erst einmal Kontakt haben, erkennen sie: Der andere gehört vielleicht nicht zu meinem Stamm, er ist aber auch nur ein Mensch. Die Kommunikation beginnt bei der Frage: Kannst du mir mal das Salz reichen? Das mag noch nicht das grosse Friedensgespräch sein, aber immerhin passiert was. Aus diesem Gedanken heraus entstand Cuisine sans frontières: In allen Kulturen wird gegessen. Auch wenn sich die einen dafür auf den Boden setzen und die anderen an den Tisch: Zentral ist Essen in allen Gesellschaften, es schafft Zusammenhalt. Nehmen wir ein Schweizer Beispiel: Das Beizensterben in den Bergtälern hat zur Folge, dass ganze Gemeinschaften auseinanderfallen. Wir sagten uns also: Wir gehen da hin, wo es keine Beizen mehr hat, und bauen wieder welche auf.
Wobei Sie den akuten Konflikt meiden.
Das stimmt. Für den Einsatz im direkten akuten Konflikt mit bewaffneten Auseinandersetzungen sind wir zu klein. Aber wir gehen, sobald ein Konflikt durch ist, und es gilt, die Zivilgesellschaft wieder aufzubauen. In Kenia etwa herrscht nicht nur Streit zwischen den beiden Stämmen, sondern ist die Region auch extrem arm – was die Auseinandersetzungen natürlich befeuert. Man macht sich Weideplätze oder die Wasserstellen streitig. Da können wir mit unserem Projekt ansetzen.
Cuisine sans frontières schreibt sich Friedensförderung auf die Fahne. Inwiefern unterscheidet sich diese Aufgabe von der Entwicklungszusammenarbeit?
Was wir tun, ist durchaus Teil der Entwicklungszusammenarbeit. Wir legen den Fokus einfach auf die Friedensförderung durchs gemeinsame Essen in Postkonfliktzonen. Unsere Projekte sind aber immer auch ein wirtschaftlicher Faktor: Ein Restaurant ist ein Arbeitsplatz. Die Gastrobranche gibts überall, sie ist die wahrscheinlich grösste Arbeitgeberin der Welt.
Sie engagieren sich auch in der Ausbildung, zum Beispiel mit einem Schulschiff auf dem Rio Napo in Ecuador.
Genau. Wir fahren mit unserem Flussschiff durch den Regenwald im Yasuni-Nationalpark, in dem die ursprüngliche Lebensgrundlage der Indigenen bedroht ist; der Wald wird abgeholzt, das Einzugsgebiet zum Jagen immer kleiner und so mancher Konflikt von aussen gezielt geschürt, weil es einfacher ist, sich in Ruhe an den Ölvorkommen zu bereichern, solange die Stämme damit beschäftigt sind, sich gegenseitig zu bekämpfen. Wenn wir den Menschen langfristig ermöglichen möchten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, brauchen sie einen Einstieg in den Arbeitsmarkt. Hier kommt die Gastronomie ins Spiel, die es ja eben weltweit gibt – also auch am Rio Napo. Die Region verfügt bereits über einen leichten Ökotourismus mit ein paar Lodges, und auch die indigenen Gemeinden unterhalten zum Teil schon kleine Projekte. Das Know-how für einen professionellen Betrieb aber fehlt. Ziel des Kurses, den wir auf dem Flussschiff anbieten, ist es, dieses fehlende Wissen zu vermitteln. Und auch hier nehmen wir jeweils Mitglieder von zwei Stämmen zusammen an Bord, um sie gemeinsam zu Gastgebern auszubilden.
Die Einmischung des Westens in die Konflikte in Entwicklungsländern steht bisweilen in der Kritik: Sie sei weder sinnvoll noch zielführend, verschärfe Krisen allenfalls sogar. Sind Sie mit solchen Vorwürfen konfrontiert?
Direkte Kritik erleben wir ehrlich gesagt kaum, dafür stehen wir zu wenig im Licht der Öffentlichkeit. Nichtsdestotrotz setzen wir uns mit diesen Überlegungen auseinander. Unsere Projekte wirken sich sehr lokal aus, weil wir eben so klein sind. Und die Zusammenarbeit mit einem Partner vor Ort ist für uns wirklich das A und O.
Ohne den lokalen Partner gibts kein Projekt?
Genau. Wir wollen verhindern, was an der Entwicklungszusammenarbeit oft bemängelt wird: dass eine Organisation kommt, etwas aufbaut und wieder abreist, ohne dass die Menschen vor Ort damit etwas anfangen können. Wir klären den Bedarf im Vorfeld tatsächlich ab. Das Rio-Napo-Projekt etwa basiert auf einer rund 100-seitigen Studie darüber, ob unsere Idee bei der lokalen Bevölkerung auf ein Bedürfnis stösst. Braucht es das überhaupt? Diese Frage treibt uns, gerade als kleine Organisation, durchaus um.
Cuisine sans frontières ist, insbesondere seit dem Start der Benefizveranstaltung Kitchen Battle, enorm gewachsen. Welche Strategie verfolgen Sie da?
Ich bin überzeugt, dass sich Cuisine sans frontières das Kleine, das Persönliche bewahren muss. Man kennt uns, wir kennen unsere Leute – das ist elementar. Aber ja, vielleicht brauchen wir in Zukunft noch ein, zwei Leute auf der Geschäftsstelle und können international noch das eine oder andere Projekt lancieren. Grundsätzlich haben wir mit dem Vorstand jedoch beschlossen, dass wir momentan nicht in die Höhe wachsen wollen, sondern vielmehr in die Breite.
Was heisst das?
Wir möchten breiter abgestützt sein. Bis vor kurzem kam die ganze Projektbetreuung aus der Geschäftsstelle und dem Vorstand heraus. Neu beziehen wir sogenannte Projektcoaches ein, die als Bindeglied zwischen dem lokalen Projektleiter und dem Vorstand oder der Geschäftsstelle fungieren. Es geht uns also um personelle Breite, aber auch um finanzielle.
Ja?
Wir versuchen seit ein paar Jahren, uns diverser zu finanzieren. Lange waren wir ziemlich stark vom Kitchen Battle abhängig, der nach wie vor super funktioniert, aber wir möchten gewappnet sein für den Fall, dass das Interesse daran mal nachlässt. Deshalb bauten wir unter anderem Les Amateurs de la Cuisine sans frontières auf. Die Beiträge dieser Gönner sind explizit dafür gedacht, die Arbeit der Geschäftsstelle auf einen soliden Sockel zu stellen. Im Gegenzug geht das Geld, das wir auf Kanälen wie dem Kitchen Battle sammeln, direkt in die Projekte.