01.10.2019 Salz & Pfeffer 7/2019

Kultbeiz mit Kultur

Text: Martin Jenni – Fotos: Christian Jaeggi
Das Vini al Grappolo ist so einfach wie wünschenswert. 1987 als Geheimtipp gestartet, hat es sich zu einer Solothurner Institution entwickelt, die Weinnasen aus der ganzen Deutschschweiz anzieht.
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«Wir kochen nach Lust und Laune täglich frisch, was die Saison hergibt 

Solothurn ist die schöne Unbekannte der Schweiz. Sie vereint Deutsch und Welsch, Barock und Rock. Sie ist die Stadt der Heiligen, Helden, Lehrer, Hochwohlgeborenen und geschwätzigen Rocker. Sie ist eine Oase für Rebellen, Filmemacher, zechende Literaten, Schöngeister, Müssiggänger und Genossenschafter. Kurz: ein Ort für alle, an dem sich die unterschiedlichsten Charaktere bei einem Glas oder zwei Salü sagen und das tun, was sie schon immer taten: essen und trinken. Das kann gar nicht anders sein, hat Solothurn doch eine der grössten Beizendichte der Schweiz, auch wenn hier, wie überall, Beizen schliessen, umfunktioniert oder abgerissen werden. Das Schlimmste, was sich die Stadt diesbezüglich angetan hat, ist zuzulassen, dass aus der Spanischen Weinhalle eine Calida-Pyjama-Boutique wurde. Da hilft nur trinken.

Apropos: Ausgiebig gezecht wird immer im Mai, wenn Solothurn am Meer liegt, sich die Schriftsteller zu den Literaturtagen einfinden und poetisch alles möglich ist. In den Beizen bleibt es sachlich, in der Absinthe-Bar Grüne Fee wirds utopisch. Aber das ist eine andere Geschichte.

Schreiben gibt Durst, Lesen und zuhören auch. Wasser ist gut, Wein ist besser. Es wäre vermessen, Literaten als unverbesserliche Trinker zu bezeichnen, wobei das geistige Getränk zum Schriftsteller gehört wie das Wasser zum Fisch. Gelöscht und diskutiert wird in Solothurn aber nicht nur an seinen berühmten Literatur- oder den nicht minder bekannten Filmtagen im Januar, sondern das ganze Jahr über. Vor allem im Vini. Seit 1983 existiert die Weinhandlung, 1987 kam die Beiz dazu und erfolgte der Wechsel über die Aare von der Löwen- an die Prisongasse. Das Vini ist heute Kult, von allen Schichten stets gut besucht.

Die kleine, stimmungsvolle Beiz eignet sich für ruhige oder lebhafte Momente. An einem Samstagnachmittag hat man den Innenhof und die gute Stube oft für sich allein. Wenn die Stadt in Bewegung und am Fluss oder auf dem Hausberg, dem Weissenstein, ist, sind die rote Gartenbank und der runde Holztisch frei. Dann einen violett schäumenden Lambrusco zu trinken, begleitet von einigen Kleinigkeiten wie Salami, Rohschinken, Mortadella, eingelegtem Gemüse, Käse und Brot von der Holzofenbäckerei Müller: Das ist eine unerreichte Normalität, die euphorisch stimmt.

«Wer es von April bis September lebendiger mag, dem empfehlen wir unseren Vini-Frischluft-Aussenposten an der Aare. Die Hafebar ist ein romantischer Freisitz für laue Abende und entspannte Nachmittage unter Schatten spendenden Bäumen», sagt Linda Flury, die gemeinsam mit Lukas Heutschi, Fabian Vogel, Jean Claude Käser und Rolf Schöb die Geschäftsleitung bildet. Tatsächlich liegen dort gern und oft Lebenskapitäne und Amateur-Philosophen vor Anker – doch zurück an die Prisongasse.

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Die sechs vom Vini: Nicole Plüss, Fabian Vogel, Linda Flury, Jean Claude Käser, Lukas Heutschi und Rolf Schöb
Die sechs vom Vini: Nicole Plüss, Fabian Vogel, Linda Flury, Jean Claude Käser, Lukas Heutschi und Rolf Schöb
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Die Ruhe nach dem Mittag – oder der Durst des Kunstmalers Walter Robélé
Die Ruhe nach dem Mittag – oder der Durst des Kunstmalers Walter Robélé

Gleich drei Herren teilen sich im Vini den Küchenjob. Lukas Heutschi, Fabian Vogel und Marcello Brunner kochen das, was sie können, und das ist gut. Ihnen gelingt der Spagat zwischen Innovation und Tradition. Was genau heisst das? «Wir kochen nach Lust und Laune täglich frisch, was die Saison hergibt. Für grosse Lagerungen haben wir in unserer Mini-Küche ohnehin keinen Platz. Wir achten auf regionale und vorwiegend biologische Produkte», sagt Heutschi. Da gibts ein geschmortes Kaninchen, serviert mit einer Polenta der besseren Art, einen butterzarten, in Rotwein geschmorten Brasato, luftige Polpette an einem aromatischen Sugo, Pasta und Gemüse für Vegetarier, und in der Saison warten Wildsau und Steinpilze auf Jäger und Sammler. «Für Schleckmäuler bereiten wir einige Desserts zu, die zwischen leicht und üppig variieren. Mal ein Semifreddo al torrone, ein Tiramisu, ein Bunet und andere schöne Dinge», ergänzt Fabian Vogel.

Bevor es in war, biologisch nachhaltig, saisonal und regional einzukaufen und zu kochen, war das für die Gründer des Vini bereits Alltag. Der gelernte Drogist Sepp Misteli und der leider viel zu früh verstorbene Jünger Gutenbergs Markus Hubler (Hubi) begannen 1983 ihr Abenteuer mit 40 italienischen Weinen von 21 Produzenten. Heute sind es rund 150 Weine von 50 Winzern, diverse Grappe und Olivenöle. Neu im Sortiment sind von der Antico Torino ein exzellenter Vermouth di Torino Rosso und ein Amaro della Sacra. Der Erfolg im Vini wächst, langsam, aber beständig, seit 32 Jahren. Noch Anfang der Achtziger brachte der heute weltbekannte Winzer Elio Grasso aus Monforte d’Alba seine Weine mit seinem alten Lastwagen zu den Spinnern nach Solothurn. Aus dem Zweifler Grasso wurde Freund Elio.

Der Dritte im Bunde von damals, der etwas später hinzugekommene einstige Katechet Rolf Schöb, ist heute der Delegierte der Geschäftsleitung. Am Mittag lässt er es sich nicht nehmen, in die Servierhosen zu steigen, zwischen Buffet und Tischen hin und her zu flitzen und die Gäste zu bedienen. Das geschieht auf eine unnachahmliche Art, die an einen Besuch bei Freunden erinnert. Während der restlichen Zeit umsorgen Linda Flury und Nicole Plüss die Gäste herzlich zuvorkommend. Und manchmal halten sich am späteren Nachmittag Rolf Schöb und Jean Claude Käser am Glas oder kredenzen ihren Stammgästen die eine oder andere Flasche. Namen wie Oberto, Alessandria, Uberti, Kössler, Gojer oder Antonelli, um nur einige zu nennen, aber auch weniger bekannte Regionen wie das Valle d’Aosta oder Ligurien und spezielle Traubensorten wie Grignolino oder Pigato erfreuen die Stamm-Weinnasen, während Frischlinge an einigen entspannten Degustations- und Spezialitätenabenden das Vini und sein Angebot näher kennen lernen können.

Wohl keine andere Beiz in der Schweiz hat in Bezug auf die Weine ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis. Fair kalkuliert für über die Gasse oder auf den Tisch, ist das Vini ein idealer Ort für zivilisierte Trinker mit Appetit. Das wissen auch Lokalmatadore, für die das Vini eine zweite Stube ist, wie etwa der Kunstmaler Walter Robélé, die TV-Wetterfee Sandra Boner, der Radiomann Dani Fohrler oder der Schriftsteller Peter Bichsel, der einst in einer weinseligen Runde Rolf Schöb seine Vorstellung von einer Beiz wie folgt definierte: «Eine Beiz öffnet spätestens um elf und schliesst frühestens zwölf Stunden später, bietet ein Glas Wein für drei Franken an und deckt Tische nur ein, die auch tatsächlich reserviert sind.» Wie das Vini eben.

Vini – Al Grappolo
Prisongasse 4, 4500 Solothurn
032 623 55 45
www.algrappolo.ch

Das Buch dazu
Solothurn liegt wirklich am Meer. Die Heimat von Franco Supino gleicht immer mehr derjenigen, die seine Eltern einst verlassen haben, um das Glück als Gastarbeiter bei uns zu finden. Die Erzählungen von Supino haben Tiefgang, er ist ein genauer Beobachter seiner «neuen» Heimat.

Solothurn liegt am Meer
Autor: Franco Subino
Verlag: www.knapp-verlag.ch
ISBN: 978-3-905848-23-6
Preis: CHF 24.20