01.10.2019 Salz & Pfeffer 7/2019

Lernen, aber was?

Text und Aufgezeichnet: Tobias Hüberli – Fotos: Njazi Nivokazi
Nach der Ausbildung ist vor der Weiterbildung. Doch welches Wissen sollte sich ein Koch heute eigentlich aneignen? Wir haben bei drei Protagonisten der Branche nachgefragt.
Rolf Caviezel
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Der Fachkräftemangel ist in der ganzen Schweiz, aber vor allem auf dem Land ein Problem.

Früher war die Sache einfacher. Nach der Lehre ging der Koch auf Wanderschaft, absolvierte eine Saison in den Bergen oder auf dem Schiff, heuerte bei einem Meisterkoch an, bei dem er ackerte wie blöd und so viel Wissen aufsaugte wie möglich. Das Prozedere wiederholte er, bis er genügend wusste – oder aus Erschöpfung den Beruf wechselte.

Für Letzteres entscheiden sich heute erschreckend viele. Der Fachkräftemangel ist in der ganzen Schweiz, aber vor allem auf dem Land ein Problem. Laut Branchenverband Hotel & Gastro Union arbeitet die Hälfte der Nachwuchsköche drei Jahre nach dem Lehrabschluss nicht mehr im Beruf. Diese Entwicklung hat viele Gründe, etwa tiefe Löhne, fehlende Wertschätzung oder mit dem gesellschaftlichen Leben wenig konforme Arbeitszeiten. Die Frage ist, ob auch fehlende Weiterbildungsmöglichkeiten eine Rolle spielen. Insbesondere ambitionierten Handwerkern, also Köchen, die nicht den eidgenössischen Küchenchef erreichen und ihre Tage anschliessend als Küchenmanager mehrheitlich im Büro verbringen wollen, fehle heute eine höhere Ausbildung, sagt 17-Punkte-Koch Stefan Wiesner. In einem ungeheuren Kraftakt versuchte der weit über die Landesgrenzen hinaus bekannte Hexer vom Entlebuch fast im Alleingang, eine Höhere Fachschule für Kulinarik zu gründen. Letztlich scheiterte er am Veto der Arbeitgeberverbände, ohne die eine staatlich anerkannte höhere Weiterbildung nicht möglich ist. Aufgegeben hat Wiesner nicht, im Zusammenhang mit diesem Artikel wollte er sich aber nicht zum Thema äussern.

Auch Rolf Caviezel macht sich seit Jahren stark für die Aus- und Weiterbildung in der Branche. Mit dem Projekt Kids ab an den Herd sensibilisiert er derzeit die ganz Kleinen fürs Thema, vor allem weil an der Volksschule immer weniger praktisch gekocht wird. Profis, die sich günstig zusätzliches Wissen aneignen wollen, empfiehlt der Avantgardekoch die Stiftung Innocuisine, die er vor zehn Jahren mitgegründet hat. Sie ist mittlerweile zu einem in der Schweiz einzigartigen, international vernetzten Kompetenzzentrum für Wissenschaft in der Küche herangewachsen.

Michel Péclard ist für seinen sturen Kopf bekannt. Von Kochen habe er keine Ahnung, sagt der Zürcher Gastronom von sich selbst. Dafür ist der gelernte Buchhalter ein guter Gast und spürt besser als die meisten, was sich verkaufen lässt. Von seinen Köchen fordert Péclard denn auch eine andere Denke. Fixe Schemas oder das Kochlehrbuch Pauli interessieren ihn nicht. Dafür schickt er seine Köche nach Miami oder sonst wo hin, um ein erfolgreiches Konzept zu verstehen und dieses, zurück in der Schweiz, eins zu eins zu kopieren. Damit seine Leute auch bleiben, plant Péclard diesen Herbst eine interne Ausbildung und belohnt langjährige Mitarbeiter wie kein Zweiter.

Einen ganz anderen Ansatz verfolgt Dominik Flammer. Ein Koch profiliere sich über seine Produktkenntnisse und solle sich deshalb auch in diesem Bereich weiterbilden, sagt er. Seit Jahren vernetzt der Autor des Standardwerks «Das kulinarische Erbe der Alpen» ambitionierte Köche mit Bauern und Lebensmittelproduzenten von gleichem Schlag. In seinem Kompetenzzentrum für alpine Kulinarik in Stans will Flammer ab nächstem Jahr genau diesen interdisziplinären Austausch fördern und ausbauen.

Michel Péclard
Michel Péclard
Dominik Flammer
Dominik Flammer

Den interdisziplinären Austausch suchen
Dominik Flammer, Foodhistoriker

«Das Produkt steht im Zentrum jeglicher Profilierung, davon bin ich überzeugt. Es sind immer die Produkte, über die ein Koch bekannt wird. So brachten die Vertreter der Neuen Nordischen Küche etwa Ameisen, Süsswassermuscheln oder Flechten auf den Teller, Ferran Adrià wiederum erfand den Olivenöl-Kaviar.

Gerade bei den Jungen herrscht bezüglich Produktkenntnis aber ein grosser Nachholbedarf. Nach der Lehre sind die meisten Köche zwar technisch gut ausgebildet, haben aber zum Beispiel keine Ahnung, welche Getreidesorten es überhaupt gibt. Mir fällt auf, wie viele Köche einen enormen Schub erleben, sobald sie sich stärker mit regionalen Lebensmitteln beschäftigen. Das war bei Drei-Sterne-Koch Andreas Caminada genauso der Fall wie auch bei seinen beiden sehr erfolgreichen Zöglingen Nenad Mlinarevic und Sven Wassmer.

Ab Ende September 2020 planen wir im Kompetenzzentrum für alpine Kulinarik in Stans deshalb spezifische Module für Köche. Das kann etwa ein Kurs über die Vielfalt der Honige sein, über alte Apfelsorten oder über Verjus. Wichtig ist, dass diese Weiterbildung nicht abgeschottet ist, sondern durchlässig bleibt. Wir wollen kein Angebot von Köchen für Köche, sondern suchen den interdisziplinären Austausch zwischen Koch und Produzent, aber auch zwischen Koch und Organisationen wie dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau oder Pro Specie Rara.

Die Erfahrung zeigt, dass dieser Austausch extrem fruchtbar sein kann. Sobald Bauer und Koch zusammen reden, entstehen neue Ideen, neue Produkte und letztlich neue Gerichte. Das Kompetenzzentrum soll dafür eine Plattform bieten. Da wir keine gewinnorientierte Organisation sind und das ehemaligen Kloster zur Kostenmiete pachten, können wir die Preise tief halten. Zudem planen wir eine Gastronomie, die sich ausschliesslich der alpinen Küche widmet und die nicht nur für Köche die eine oder andere Inspiration auf Lager haben wird.»

Die eigenen Leute weiterziehen
Michel Péclard, Gastronom

«Um eins klarzumachen: Ich liebe meine Köche, aber wir haben auch sehr oft ‹Lämpe›. Wenn ich mit einer neuen Idee auftauche – und das passiert etwa 20 Mal im Jahr –, sind sie davon oft mässig begeistert, um es mal so zu sagen. Alles, was aus dem Schema Pauli oder Hotelfachschule rausfällt, geht für sie schon mal grundsätzlich nicht. Kommt dazu, dass wir für die Gastronomie, die wir betreiben, sprich Fischknusperli, Pouletflügeli und Bratwurst, praktisch keine Schweizer Köche mehr finden.

Bei uns arbeiten dafür sehr viele Afghanen ohne spezifische Kochausbildung. Aber diesen Mitarbeitern muss man nur einmal zeigen, wie wir den Kartoffelsalat haben wollen. Danach machen sie ihn genau so, konstant, jahrein, jahraus. Sie kommen nicht plötzlich auf die Idee, da noch Safran oder sonst was reinzuhauen. Köche aber machen das andauernd.

Speziell für unsere Mitarbeiter aus Afghanistan plane ich diesen Herbst eine interne Weiterbildung, zugeschnitten auf unsere Betriebe und mit allen relevanten Themen wie Hygiene, Sicherheit et cetera. Ziel ist es letztlich, angelerntem Personal mehr Lohn bezahlen zu können. Und um Leute, die wirklich lange bei uns bleiben, zu belohnen, zahlen wir ab dem zehnten Jahr einen 14. Monatslohn, ab den 20. Jahr einen 15. Monatslohn. Neun von zwölf Mitarbeitern, die derzeit davon profitieren, sind Afghanen.

Kochen ist so ein geiler Job, man kann kreativ sein und etwas Neues erschaffen. Klar, beim aktuellen Kostendruck ist es schwierig, die Freude und den Stolz zu behalten. Ich vermute, 70 Prozent der Restaurants in der Schweiz sind nicht rentabel. Umso weniger verstehe ich, wenn sich meine Köche sträuben, ein vegetarisches oder ein veganes Konzept richtig umzusetzen, nur weils ihnen nicht in den Kram passt. Das ist mir doch egal. Die vegane Küche bietet unglaublich viele Möglichkeiten, und vor allem existieren davon Konzepte, die laufen wie gestört. Wir müssen das kochen, was die Leute essen wollen, nichts anderes.»

Gastronomie und Wissenschaft vernetzen
Rolf Caviezel, Experimentalkoch

«Ich finde nicht, dass ein Koch nach der Grundausbildung ausreichend über die modernen Küchentechniken Bescheid weiss. Zwar gibts im Lehrbuch Pauli mittlerweile ein eigenes Kapitel zum Thema, aber viel mehr als ein Abriss ist das nicht. Vor zehn Jahren gründeten wir deshalb die Stiftung Innocuisine vormals Molecuisine. Ziel ist es, motivierte Berufsleute in den neuen Kochtechniken auszubilden und gleichzeitig die Gastronomie mit der Wissenschaft zu vernetzen. Bezüglich Referenten haben wir wirklich Koryphäen an Bord, etwa Thomas Vilgis, Professor für Physik, oder Molekularbiologe Christoph Bieniossek.

Früher kostete ein Kurs bis zu 7000 Franken. Mittlerweile wird Innocuisine breit unterstützt, unter anderem auch vom Schweizer Kochverband. Dank des Landesgesamtarbeitsvertrags ist das Weiterbildungsangebot für einen Koch heute praktisch gratis. Es wundert mich, dass nicht mehr davon profitieren. Es ist klar, dass nicht in jedem Landgasthof ein Rotationsverdampfer steht, bei Innocuisine lernt man, damit umzugehen. Ein anderes Beispiel sind die Perlen, bekannt aus den Anfängen der Molekularküche. Natürlich gibts viele, die darüber lachen, beliebt sind sie aber immer noch, und gerade in der Altersgastronomie erleichtern sie den Gästen das Essen.

Die Kurse, die ich in meinem Foodlab in Grenchen anbiete, kollidieren inhaltlich nicht mit Innocuisine. Ich konzentriere mich dabei immer auf ein Produkt, nehme zum Beispiel eine ganz normale Tomate oder einen Blumenkohl und zeige den Teilnehmern, was sich, dank den modernen Techniken, alles damit machen lässt. Insbesondere, was unterschiedliche Texturen angeht, ist der Wissensstand bei vielen Köchen noch tief. Aber auch die Themen Sauerteig sowie Fermentation gehen wir durch. Und natürlich erzähle ich von aktuellen Projekten. Zum Beispiel haben wir für die Firma Victorinox Essen kreiert, das mit ihrem neuen Herrenparfüm korreliert, oder bei der Entwicklung eines Sauerkrauts mitgeholfen, das bald in den Regalen eines Detailhändlers steht.