04.04.2023 Salz & Pfeffer 2/2023

Marxers Edel-Maggi

Text: Dominik Flammer – Fotos: Jürg Waldmeier
Mit einem uralten Verfahren lassen sich Fischreste und Gräten zu einer Sauce verarbeiten, die voller Umami steckt. Patrick Marxer von Das Pure macht es vor – und gewinnt mit seinen Garums in der Gastronomie immer mehr Fans.
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Begonnen hat alles mit dem Räuchern von Fischen.

Die Resten der filetierten Brachsmen sind bereits in die Transportkübel verpackt. Der Fang an diesem eiskalten Februarmorgen war gut, Berufsfischer Andy Braschler aus Hurden im Kanton Schwyz ist mehr als zufrieden. Nicht nur mit dem Fang, sondern auch damit, dass Patrick Marxer die Fischresten bei ihm abholt. «Jährlich habe ich bisher über 4000 Franken für deren Entsorgung bezahlt.» Dieser Betrag dürfte sich um einiges reduzieren, denn Marxer verarbeitet einen Teil von Braschlers Fischresten zu einer würzigen und insbesondere in der Gastronomie sehr gefragten Fischsauce. 

Die Griechen sollen die Ersten gewesen sein, die sich schon früh mit der Verarbeitung kleiner und kaum verkäuflicher Fische sowie von Fischresten beschäftigten. Die daraus hergestellte Sauce nannten sie Gauros, abgeleitet vom griechischen Wort für Sardellen. Die Römer übernahmen das Fertigungsverfahren und bezeichneten das Produkt fortan als Garum. Nach dem Niedergang des Römischen Reichs lebten die Würzsaucen bis ins 15. Jahrhundert hinein im Byzantinischen Reich weiter. Als sie auch dort verschwanden, entstanden in der frühen Neuzeit in Südostasien vergleichbare Saucen, die sich bis heute als wichtiger Bestandteil der asiatischen Küche etabliert haben. 

Mit seinem Kleinunternehmen Das Pure setzt sich Patrick Marxer im zürcherischen Wetzikon schon seit über einem Jahrzehnt nicht nur mit ökologischen Lebensmitteln, sondern auch mit der Verarbeitung von Foodwaste auseinander. Begonnen hat alles mit dem Räuchern von Fischen, später von Fleisch und vielen anderen Zutaten – so räuchert der innovative Zürcher in seiner Manufaktur für seine Kundschaft auch mal Wasser. Bekannt geworden ist Marxer überdies für seine Wurstkurse, an denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre eigenen Zutaten und Gewürze mitbringen und ihre persönliche Wurst kreieren können. Dass sich der bärtige Hüne als ehemaliger Laborant für Mikrobiologie zusehends mit den Fermentationstechniken auseinanderzusetzen begann, war die Folge all seiner Tüfteleien. 

In den letzten Jahren haben sich Marxer und seine Crew vor allem intensiv mit den asiatischen Fermentationstechniken beschäftigt. Entstanden sind unzählige Miso- und Shoyu-Kreationen – und damit Pasten und Saucen, die hauptsächlich der Herstellung von Suppen und Saucen, aber auch als Würzmittel für die unterschiedlichsten Speisen dienen. Die Rohstoffe dafür hat Marxer in erster Linie im Bereich der Lebensmittelresten gefunden: So verwendet er fast ausschliesslich den Bruch, der bei der Reinigung von Hülsenfrüchten oder von den Presskuchen in der Pflanzenölproduktion übrigbleibt, sowie die Resten aus der Gemüserüsterei, der Fisch-und der Fleischverarbeitung.

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Für die Herstellung seiner Fischsaucen – eine aus ungeräucherten Fischresten und eine aus den Häuten all der Fische, die er auch räuchert – nutzt Marxer denn auch noch den Trester (und damit sozusagen den Abfall) aus der Produktion seines Erbsen-Shoyus. Nach einem von ihm entwickelten Rezept mischt er diesen Trester zusammen mit Salinensalz aus dem waadtländischen Bex unter die Fischkarkassen. Anschliessend kommen diese in Kübeln bei 60 Grad Celsius für 80 Tage in einen Wärmeraum, den Marxer etwas ausserhalb von Wetzikon zusätzlich gemietet hat. Shoyu übrigens stand früher vor allem für Sojasaucen – eine Familie, zu der im Hinblick auf die Herstellung auch das Ur-Maggi gehört.

Während der Zeit im Wärmeraum (die Griechen und Römer stellten ihre Gefässe früher einfach für Wochen direkt an die Sonne) zersetzen sich die Fischresten fast komplett, übrig bleibt nur eine Handvoll Fasern. Dabei hat sich vor allem das Glutamin gelöst, also einer der Baustoffe des Eiweisses im Fisch. Und Glutamin ist – vereinfacht gesagt – der wissenschaftliche Messwert für die Geschmacksrichtung Umami, die für ein kräftig würziges und herzhaftes, fast fleischiges Aroma steht. Und da die Fischsauce von allen Produkten den höchsten Gehalt an Glutamin hat, ist sie auch der Inbegriff für das in vielen Küchen ganz gezielt eingesetzte Umami. 

Während viele der industriell hergestellten und vor allem aus Asien stammenden Fischsaucen für europäische Nasen eher ungewohnt riechen, ist der Geruch von Marxers Garum-Kreationen angenehm dezent, dafür aber sehr intensiv im Geschmack. Herrlich würzig ist die Sauce aus den fermentierten Resten der Zürichsee-Fische. Einiges intensiver und rauchiger hingegen das Rauchgarum, für das Marxer vor allem die Häute der vorab geräucherten Saiblinge, der Forellen und der Lachse verwendet. 

Für Vegetarier und Veganerinnen, aber auch für alle Fans von Pilzaromen hat Marxer mittlerweile ein Pilzgarum entwickelt. Er nennt dieses ebenfalls Garum, weil das Herstellungsverfahren jenem der Fischsauce sehr ähnlich ist – abgesehen davon, dass er dafür keine Fischresten verwendet, sondern die nach dem Rüsten übriggebliebenen Strünke einer Zürcher Oberländer Pilzzucht und dass das Produkt etwas weniger lange im Wärmeraum bleiben muss. Genauso wie das Gemüsegarum, unter das Marxer als Verstärker für die Röstaromen ein bisschen Kaffeesatz mischt. Allen Garum-Varianten aus der Wetziker Fermentationsküche gemeinsam bleibt hingegen die Endverarbeitung: Die Saucen werden pasteurisiert, um den Fermentationsprozess zu stoppen. Entsprechend sind sie danach über Jahre haltbar, ähnlich wie Salz – auch wenn auf der Verpackung das übliche Verfallsdatum draufsteht, weil dies der Gesetzgeber so vorgesehen hat. 

Das Pure 
Zürcherstrasse 47 
8620 Wetzikon 
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