14.02.2025

«Meine Küche ist nicht sehr spektakulär»

Interview: Tobias Hüberli – Fotos. Anne-Claire Héraud
Nicolas Darnauguilhems Gerichte reflektieren das Terroir der Alpen. Bei den Gästen kommt das gut an. Gleichzeitig kämpft der hoch dekorierte Koch mit der tiefen Rentabilität in der Branche. Die Spitzengastronomie wird im Museum landen, sagt er.
Zelebriert eine von lokalen Produkten dominierte Küche: Nicolas Darnauguilhem.
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Sie nahmen dieses Jahr erstmals am Gourmet Festival von St. Moritz teil? Was hat Sie dazu bewogen?
Nicolas Darnauguilhem: Das habe ich mich auch gefragt. Dieses Jahr wollte ich eigentlich wenig bis gar keine externen Veranstaltungen wahrnehmen, um mich voll auf mein Restaurant konzentrieren zu können. Aber zurzeit ist die Pinte des Mossettes geschlossen, für zwei Monate bis Ende Februar. Und ich bin doch sehr stolz, dass man mich eingeladen hat. Es ist eine grosse Ehre, an einem derart prestigeträchtigen Anlass dabei sein zu dürfen. 

Ende Februar geht es also wieder los.
Die Ferien gehen immer schnell vorbei. Ich bin eigentlich immer an etwas dran, sammle Ideen, bereite die neue Saison vor, überarbeite Menüs, entwickle das Unternehmen weiter und kümmere mich um alle Dinge, für die ich sonst nie Zeit habe. Ich bin nicht nur der Koch, sondern auch der Inhaber. Wir haben keine Investoren und müssen sehr präzise kalkulieren. 

Wie viele Mitarbeiter haben Sie?
Nicht viele. In der Küche sind wir fünf, drei im Service, dazu kommt ein Gärtner. 

Das Restaurant Pinte de Mossettes liegt relativ abgelegen in den Alpen. Wieso haben Sie sich für diesen Ort entschieden?
Das Haus hat eine gewisse Aura. Zudem liebe ich diese Region. Meine Leidenschaft für die Küche entstand im Garten meiner Familie in Frankreich. Im Urlaub erlebte ich als Kind jeweils, wie meine Urgrossmutter und meine Grossmutter Gemüse ernteten und in die Küche trugen. Dort entdeckte ich die Magie des Kochens. Diese hatte ihren Ursprung im Garten. In meiner Idealvorstellung ist ein Restaurant komplett ins Terroir der jeweiligen Region eingebettet. In der Pinte des Mossettes arbeiten wir hauptsächlich mit Lebensmitteln, die im Umkreis von 50 Kilometern ums Restaurant herum entstehen. Da gibt es Seen, die Alpen sowie Zugang zum Garten. Schön ist auch: Die Leute kommen gerne hierher. Wir sind geografisch gut gelegen. Eine Stunde von Lausanne oder eine Stunde von Bern entfernt.

Sie produzieren sogar eigenen Wein?
Das ist ein Projekt meines Sommeliers. Er keltert bei uns Wein aus Trauben, die er im Wallis einkauft. Ich selbst mache keinen Wein, dafür fehlt mir die Zeit. Dafür produzieren wir eigene Brände und eigene Essige. Deshalb mag ich externe Veranstaltungen nicht besonders. Weil ich dort nicht mit meinen Produkten arbeiten kann. Es sind nicht meine Lieferanten, nicht meine Zutaten und es reflektiert nicht die Identität meines Restaurants. Meine Küche ist nicht sehr spektakulär, ich fokussiere mich voll auf den Geschmack. Ich versuche eine starke kulinarische Identität zu schaffen – und diese hat den Ursprung in den Alpen.

Ihre Küche ist aufwendig, die Platzzahl im Gastraum auf 24 Plätze beschränkt, wie kommen Sie finanziell durch?
Gute Frage – ich habe keine endgültige Antwort darauf. Wir arbeiten durchaus rentabel. Das Problem ist, dass wir in der Spitzengastronomie sind, was bedeutet, dass wir Teil der Luxusindustrie sind. Allerdings verfüge ich nicht über die Mittel dieser Industrie. Dennoch erwarten unsere Gäste, dass das Erlebnis stimmt – von der Tischdecke bis zum Geschirr. Ein Restaurant ist mehr als nur ein Koch. Es ist das Gesamterlebnis, das zählt. Aber das kostet. Die Rentabilität ist ein schwieriges Thema, über das ich aktuell viel nachdenke.

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Der Garten des Restaurants La Pinte des Mossettes
Der Garten des Restaurants La Pinte des Mossettes
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Was heisst das konkret?
Ich bin jetzt 44 Jahre alt und habe in den letzten 15 Jahren viele verschiedene Dinge gemacht. Bei der Pinte des Mossettes habe ich mich bewusst für die Gourmetgastronomie entschieden. Mein Ziel war es, innerhalb von fünf Jahren einen Michelin-Stern, einen grünen Stern und 17 Punkte zu erreichen. Ich wusste jedoch, dass dieses Modell wirtschaftlich betrachtet Grenzen haben würde. Das Lokal funktioniert zwar ganz gut, Freitag, Samstag und Sonntag sind wir fast immer ausgebucht. Aber das Stresslevel ist hoch und wir werden mit dem Restauarant nie viel Geld verdienen. Zudem kann ich nicht weiter wachsen, ohne grosse Investitionen zu tätigen. Ich überlege, Partner zu finden, die investieren wollen oder das Haus zu verkaufen, um mich anderswo weiterzuentwickeln. 

Was wäre die Alternative?
Ich denke auch über ein Mikro-Restaurant nach – nur zehn Plätze. Klein, aber exklusiv. Ich möchte weiterhin in der Spitzengastronomie tätig sein, aber auf eine Weise, die mit meinem Privatleben vereinbar ist.

Hat die Spitzengastronomie überhaupt eine Zukunft?
Sie wird, und das sage ich schon sehr lange, irgendwann im Museum landen. Sie ist schon heute nur noch in den seltensten Fällen überhaupt rentabel. Das sieht man auch bei einigen Gastköchen des Gourmetfestivals. Ihre Küchen sprechen entweder Gäste an, die sich höchsten Luxus leisten können oder sind subventioniert von Leuten mit sehr viel Geld. Die gehobene Gastronomie, die sich auch Menschen aus der Mittelklasse leisten können, ist am Verschwinden.

Was für Gerichte haben Sie in St. Moritz präsentiert?
Es sind eher einfache, klassische Sachen, etwa einen konfierten Zander mit einer Praline aus Fischgräten, Zwiebel und einer Beurre blanc. Oder ein Südfleisch-Gang mit einer unheimlich reichen Aromatik. 

Wo haben Sie gelernt, auf diesem Niveau zu kochen?
Nach meiner Ausbildung habe ich nur etwa zwei Jahre in französischen Michelin-Restaurants gearbeitet. Es war die schlimmste Erfahrung meines Lebens.

Erzählen Sie.
Ich bin Koch geworden, weil mich die Magie der Küche fasziniert. Ich wollte mit Gemüse aus dem eigenen Garten oder noch ganzen Tieren arbeiten. Leider landete ich dann in den falschen Lokalen. Wir bekamen oft Kisten mit miserablem Gemüse geliefert, es gab nichts Inspirierendes, nur Show und Oberflächlichkeit. Dazu kamen der raue Umgangston und ein enormer Arbeitsaufwand bei schlechter Bezahlung. Ich habe dann alles hingeschmissen und zehn Jahre lang keine Küche betreten.

Und was trieb Sie zurück an den Herd?
Das war rückblickend eine ziemlich absurde Geschichte. Als ich etwa 30 Jahre alt war, eröffnete ich in Brüssel eine Weinbar. Allerdings hatte ich Probleme mit der Bewilligung und konnte nicht wie geplant starten, musste aber bereits Miete zahlen. Also betrieb ich im Untergeschoss ein illegales Restaurant, um über die Runden zu kommen. Die Leute hatten Freude am Essen und ich wieder Freude am Kochen. So wurde aus der Weinbar ein Bistro. Damals kam gerade die Bistronomie auf und wir waren das erste derartige Lokal in Brüssel. Es gab ein Menü für 30 Euro und ein grosses Angebot an Naturweinen. Es war verrückt, plötzlich kamen die Medien vorbei, ich wurde Entdeckung des Jahres bei Gault & Millau und mit 14 Punkten ausgezeichnet. 

Auf was dürfen Sich die Gäste freuen, wenn Sie in der Pinte de Mossettes wieder loslegen?
Auf eine Küche, die noch stärker im eigenen Garten verwurzelt sein wird. Und wir wollen weiter an unseren Techniken feilen. Kurzum: Dieses Jahr will ich alles, was ich seit meiner Ankunft in der Gruyère-Region aufgebaut habe, überarbeiten und weiterentwickeln. 

 

Spitzenküche aus den Alpen

Nicolas Darnauguilhem (44) wuchs in Genf sowie im nahen Frankreich auf. Nach einer Ausbildung zum Koch/Patissier und zwei enttäuschenden Jahren in der Sternegastronomie hängte er den Beruf an den Nagel, absolvierte die Hotelfachschule in Genf, setzte sich intensiv mit dem Thema Wein auseinander und bereiste die Welt. 2011 eröffnete er in Brüssel das erste Lokal, das man in der belgischen Hauptstadt der damals aufkommenden Bistronomie zuschreiben konnte. Es folgten die ersten Auszeichnungen, unter anderem den Titel «Entdeckung des Jahres» von Gault&Millau. Fünf Jahre später zog er weiter nach Genf und eröffnete im heruntergekommenen Quartier Jonction ein Restaurant, das er kurz vor dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie wieder schloss. 2021 übernahm Darnauguilhem, mittlerweile Vater eines Sohnes, die Pinte des Mossettes in Cerniat im Kanton Freiburg. Seine radikal lokale Küche ist derzeit mit einem Michelin-Stern, einem grünen Michelin-Stern sowie von Gault&Millau mit 17 Punkten und der Auszeichnung Green Chef oft he Year ausgezeichnet. Am Gourmet Festival in St. Moritz wirkte er als Gastkoch im Waldhaus Sils Maria.

lapintedesmossettes.ch
waldhaus-sils.ch
stmoritz-gourmetfestival.ch