«Technisch mag es versiertere Küchen geben als unsere. Aber menschlich? Da können nicht viele mithalten.»
Sie kochen ein Neun-Gänge-Menü. Woran sehen die Gäste, dass Sie dahinterstecken?
Mitja Birlo: Schwer zu sagen. Ich mag meine Küche nicht mit Labels versehen und lasse mich ungern einschränken. Natürlich sind unsere Gerichte lokal inspiriert; einfach, weil ich es komisch fände, die Milch woanders zu kaufen als hier oder die Blaubeeren, die da draussen wachsen, nicht zu sammeln. Ich halte Regionalität aber für ganz schön abgedroschen, die schreibt sich inzwischen jeder auf die Fahne. Ich finde: Die gesunde Mischung machts.
Also kein konkretes Erkennungsmerkmal auf dem Teller?
Ich glaube doch. Wir heben uns durch zum Teil verrückte Geschmackskompositionen ab, die für den Gast nicht alltäglich sind. Und eine gewisse Kantigkeit. Die Frage dabei ist, wie weit man gehen kann, ohne abzudriften. Aktuell haben wir zum Beispiel ein Dessert mit Petersilie, Salzzitrone und schwarzem Knoblauch: Für mich ergibt die Kombination total Sinn, den einen oder anderen Gast fordert sie aber schon. Wichtig ist bei uns immer auch ein hoher Grad an Akribie.
Wie äussert sich dieser?
Zum Beispiel in Form eines Gurkengitters, das wir flechten: Es trägt geschmacklich nicht allzu viel zum Gericht bei, ist aber ein Blickfang. Und es zeigt, wie viel Arbeit wir in einen Gang stecken.
Apropos: Wie viel Zeit bleibt Ihnen für den kreativen Prozess?
Ich habe das grosse Glück, dass ich auf keinem Posten fix eingebunden bin und die Entwicklung neuer Gerichte mein Hauptjob ist. Wobei: Momentan ist alles anders. Die Corona-Krise beschert dem Hotel viele Gäste, das Restaurant ist jeden Abend ausgebucht, und ich helfe feuerwehrmannmässig überall aus. Es ist aber ganz cool, mal wieder einen Einblick ins Ganze zu gewinnen.
Haben Sie denn das Gefühl, Sie hätten den Bezug zur Arbeit an der Basis verloren?
Ich stehe nach wie vor 90 Prozent des Tages in der Küche, meine Büroaufgaben erledige ich nebenher oder vor der Arbeit. Ich glaube jedoch, dass man in meiner Funktion automatisch immer mehr Manager und weniger Koch wird. Ich bin aber ein Teamplayer und weiss, dass meine Arbeit dazu beiträgt, das Silver und das 7132 Hotel bekannter zu machen. Und eben: Mein Hauptaugenmerk liegt weiterhin auf der experimentellen Geschichte. Die macht unglaublich viel Spass.
Ein aktuelles Beispiel ist Ihr bretonischer Wolfsbarsch: Sie lassen ihn reifen.
Genau. Zuerst schneiden wir alle schnell verderblichen Teile raus; die Augen, die Kiemen, die Innereien. Dann lassen wir den Fisch bei zwei Grad und guter Luftzirkulation zehn Tage im Frigo hängen. Die Idee stammt nicht von mir, sondern vom australischen Fish-Butchery-Autor Josh Niland, ich kenne in der Schweiz aber niemanden sonst, der das macht.
Woher kommt denn eigentlich Ihre Faszination für die Gourmetküche?
Gute Frage. Ich hatte Glück in der Ausbildung: Mein Lehrbetrieb war geteilt, wir beschickten aus einer Küche zwei Restaurants, einmal bodenständige Kost, einmal für ein klassisch französisches Sterne-Konzept. Wenn man sich gut anstellte, durfte man auf die Herdseite der französischen Küche, und das spornte mich an, weil man da auch mal lernte, wie man einen Hummer ausbricht oder einen Steinbutt zerlegt. Mein Lebenslauf ist aber nicht nur mit hochkarätigen Lokalen gespickt, sondern bunt durchmischt. In Spanien arbeitete ich zum Beispiel in einem Restaurant ohne jegliche Ambitionen für Auszeichnungen, in dem wir schlicht viele Gäste durchschleusten. Auch da lernte ich was: wie man Sardinen putzt, zum Beispiel. Und als Privatkoch sammelte ich vor allem menschlich eine Menge Erfahrung.