16.10.2018 Salz & Pfeffer 7/2018

Metamorphose von Licht und Wasser

Text: Tobias Hüberli – Fotos: Tina Sturzenegger
Das Potenzial einheimischer Pflanzenöle in der Schweizer Gastronomie ist gross. Ein paar Dinge gilt es vor dem Einsatz allerdings zu beachten.
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«Es tut mir im Herzen weh, wenn ich höre, dass jemand mit meinem Haselnussöl Steaks anbrät.»
Die Frage, ob der Konsum von kaltgepresstem Pflanzenöl gesund ist, bleibt einem beim Anblick von Simon Müller irgendwie im Hals stecken. Der 37-jährige Ölmüller wirkt geradezu unverschämt vital. Seit acht Jahren tüftelt der Luzerner in Basel an verschiedenen Ölen, seit einem Jahr betreibt er im Gundeliquartier eine eigene Manufaktur mit angehängtem Café (Finkmüller). In seine drei Schneckenpressen kommen nur Samen und Nüsse aus biologischem Anbau, zum Beispiel rosarote Himbeersamen, Aprikosen- oder Hagebuttenkerne.

«Öl schützt den Keim des Samens, seine Aufgabe ist es, Leben zu geben», erklärt Müller. Öl sei eine Metamorphose von Licht und Wasser, fast schon von alchimistischer Natur. Und die Möglichkeiten, das kostbare Gut zu gewinnen, sind schier grenzenlos. Neben den bekannten Saaten wie Raps, Hanf, Leindotter oder Sonnenblume tüftelt Müller auch mit Basilikum-, Brokkoli- oder Rüeblisamen. «Gerade für Köche, die sich mit Spagirik beschäftigen, die also Lebensmittel trennen und auf kreative Weise neu zusammenführen wollen, sind solche Öle interessant», so Müller, der auch Zwei-Sterne-Köchin Tanja Grandits zu seinen Kunden zählt.

Mindestens einmal pro Woche produzieren Müllers wassergekühlten Schneckenpressen bei einer Temperatur von zirka 30 Grad Celsius frisches Öl. «Es gibt einen Unterschied zwischen gekühlt gepresst und kalt gepresst, wie wir das hier machen.» Je tiefer die Temperatur, desto geringer gerät die Ausbeute und desto besser wird die Qualität, so Müller. Doch was zeichnet gutes, kalt gepresstes Öl eigentlich aus? «Es muss frisch sein und sollte gut schmecken, das Aroma der Pflanze oder der Nuss wiedergeben.»

Diesen Aromen ist auch Cédric Wüthrich von der Ölmühle Bern auf der Spur. «Ich will immer wissen, wie eine bestimmte Sorte schmeckt. Dafür pröbeln wir viel, etwa mit verschiedenen Mandeln», so Wüthrich. Sein neuster Wurf sind nicht weniger als elf sortenreine Bio-Traubenkern-Öle, zum Beispiel gepresst aus den getrockneten Kernen einer Walliser Chasselas- oder einer Berner Charmontraube. Der Aufwand für solche Öle ist enorm (der Trester eines Hektars ergibt etwa zehn Liter Öl), das Resultat für kreative Köche dafür sehr interessant.

Heimische Pflanzenöle gelten als gesund, bisweilen als wahre Wundermittel. Entscheidend ist die Fettsäurestruktur, also das Verhältnis zwischen gesättigten, einfach gesättigten Fettsäuren sowie den mehrfach ungesättigten Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren. Leinöl zum Beispiel strotzt nur so vor dem seltenen Omega-6. Über eine speziell ausgewogene Fettsäurestruktur verfügen Hanf- und Walnussöl, Rapsöl wiederum gilt aufgrund seiner Zusammensetzung als das bessere Olivenöl.

Auf Diskussionen, was nun gesund sei und was nicht, lässt sich Simon Müller nicht (mehr) ein. «Es gibt dazu viele Theorien, ich halte mich da lieber raus.» Wichtig ist, dass man kalt gepresste Öle mit Freude konsumiert. Und sie sollten nicht erhitzt werden, stellt er klar. «Es tut mir im Herzen weh, wenn ich höre, dass jemand mit meinem Haselnussöl Steaks anbrät.» Auf die Frage, mit welchem Fett er selbst seine Spiegeleier zubereite, entgegnet Müller im ersten Moment nichts, dann sagt er: «Ich brate einfach sehr wenig.»

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Rapssamen
Rapssamen
Leinsamen
Leinsamen
Hagebuttenkerne
Hagebuttenkerne
Hanfsamen
Hanfsamen
Baumnüsse
Baumnüsse
Leindottersamen
Leindottersamen
Himbeersamen
Himbeersamen
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«Das grosse Problem der kalt gepressten Pflanzenöle ist ihre geringe Haltbarkeit»
Derartige Strategien sind in der Gastronomie, von den paar Rohkost-Restaurants mal abgesehen, zum Scheitern verurteilt. «Für die warme Küche verwenden wir hitzebeständige Schweizer Öle wie Holl-Rapsöl oder High-Oelic-Sonnenblumenöl», sagt Sterne-Koch Fabian Fuchs. In seinem Restaurant Equitable setzt der Zürcher konsequent auf heimische Produkte – und ist auch deshalb ein guter Kunde von Simon Müller und von Cédric Wüthrich. «Am liebsten arbeite ich mit Leindotteröl.»

Strategisch für Schweizer Rapsöl entschieden hat man sich bei der SV Group. «Wir setzen darauf, weil es ein besonders günstiges Verhältnis von Omega-3- zu Omega-6-Fettsäuren aufweist», schreibt Mediensprecherin Manuela Stockmeyer auf Anfrage. Allein im ersten Halbjahr 2018 brauchte der Grosscaterer in seinen Restaurants insgesamt über 130 Tonnen Holl-Rapsöl und fast 50 Tonnen raffiniertes Rapsöl. Das entspricht 80 Prozent des Ölbedarfs des Unternehmens.

96 Prozent aller in der Schweiz verwendeten Öle sind raffiniert. Die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung schreibt dazu: «Aus gesundheitlicher Sicht ist es unerheblich, ob kalt gepresstes oder raffiniertes Öl verwendet wird, da die Unterschiede minim sind.» Dafür hat Cédric Wüthrich wiederum nur ein müdes Lächeln übrig. «Die Frage ist doch, wem eine solche Aussage nützt», so der Berner. Durch den Raffinationsprozess (siehe Box) werde Öl ganz sicher nicht besser. «Ein Naturprodukt sollte möglichst wenig verarbeitet werden.»

«Das grosse Problem der kalt gepressten Pflanzenöle ist ihre geringe Haltbarkeit», sagt Foodscout und Buchautor Dominik Flammer. Und führt aus: Das sei mit ein Grund, wieso sie hierzulande erst spät populär geworden sind (siehe Box auf Seite 74). Flammer rät allen Beteiligten, möglichst kleine Flaschen zu verwenden. «Ein halber Liter Hanf- oder Aprikosenkernöl, von dem man alle drei Wochen ein paar Tropfen braucht, rentiert für den Koch einfach nicht.»

Etwa 800 Liter kalt gepresstes St. Galler Rapsöl braucht Daniel Figliuolo, Leiter Küchen des St. Galler Kantonsspitals, pro Jahr. «Wir verwenden es für Salate oderals Butterersatz auf Teigwaren oder gedämpftem Gemüse.» Wichtig sei neben der hohen Qualität vor allem die Nähe zum Produzenten, der St. Galler Saatzucht in Flawil. «Als Mitglied im Trägerverein Culinarium haben wir uns lokalen Produzenten verpflichtet.» Mehr als 20 Liter hat Figliuolo übrigens nie an Lager, weil es in Flawil jede Woche frisch gepresst wird.

Dafür verantwortlich ist der gelernte Agronom und Geschäftsführer der St. gallischen Saatzucht Christoph Gämperli mit seinem Team. Seit 2005 produziert das als Genossenschaft organisierte Unternehmen kalt gepresste Pflanzenöle und kann dafür auf rund 40 angeschlossene Bauernbetriebe zählen. «Wenn wir Ideen für ein neues Saatgut haben, finden wir meist ein Mitglied, das es für uns anpflanzt. Ein Beispiel dafür ist die erste Haselnusszucht der Schweiz in Gossau. Auch Gämperli ortet für einheimische Öle noch viel Potenzial. «Unser Ziel ist es, Gastronomen dazu zu bringen, statt Olivenöl ein lokales Raps-, Walnuss- oder Haselnussöl auf den Tisch zu stellen. Unsere Öle haben viel Potenzial, weil sie hervorragend schmecken und gesund sind, aber auch weil sie eine gute Geschichte erzählen.»

Butternation
«Historisch betrachtet spielen pflanzliche Öle im gesamten Alpenraum noch nicht sehr lange eine Rolle», sagt der renommierte Buchautor und Foodscout Dominik Flammer. Das hat auch damit zu tun, dass die Bauern im Mittelalter das meiste Fett in die Städte verkauften oder der Kirche abgeben mussten. Da pflanzliche Öle zudem bedeutend weniger lang haltbar sind als etwa gesottene Butter oder Rinderfett, endete Schweizer Walnuss-, Raps- oder Mohnöl meist in einer Lampe oder als Kerze in einer Kirche. Einen weiteren Beweis für die historische Unbedeutsamkeit von heimischen Pflanzenölen findet Flammer in den alten Gerichten des Alpenraums. «Sämtliche Süsswasserfisch-Rezepte wurden etwa mit Butter zubereitet, Pflanzenöle spielten für die Ernährung schlicht keine Rolle.» Selbst im Tessin sei Butter bis weit in die Siebzigerjahre viel populärer gewesen als Olivenöl.

Raffiniert?
Der Prozess der Raffination lässt sich in fünf Schritte unterteilen. Ziel ist ein haltbares, geruch- und farbtypisches Speiseöl. Der Vorgang erhöht auch die Hitzestabilität. Für raffinierte Öle werden geeignete Saaten oder Nüsse heiss gepresst, was die Ausbeute gegenüber einer Kaltpressung deutlich erhöht. Durch Einsatz von Lösungsmitteln und Leichtbenzin im Presserückstand kann der Ertrag nochmals gesteigert werden. Dann folgt die sogenannte Entschleimung: Durch Zugabe von schwachen Säuren werden Schleimstoffe und Proteine entfernt. Beim Entsäuern gelingt es durch die Zugabe von verdünnter Lauge, freie Fettsäuren auszuwaschen und somit das Öl oxidationsunempfindlicher zu machen. Anschliessend wird das Öl bei 70 bis 90 Grad Celsius gebleicht, wobei auch Schwermetalle entfernt werden und zuletzt auf 270 Grad erhitzt. Bei dieser sogenannten Dämpfung werden restliche unerwünschte Geschmacksstoffe, aber auch gesundheitsschädliche Stoffe wie Pestizide entfernt.

Nummer eins
Seit 2001 stieg die Ackerfläche für Raps in der Schweiz um über 200 Prozent auf heute 25 000 Hektar. Das entspricht etwa zehn Prozent der helvetischen Ackerfläche, rund ein Viertel davon wird im Biolandbau produziert. Dieses Jahr wurden in der Schweiz insgesamt 77 000 Tonnen Raps (davon 25 000 Tonnen Holl-Raps) geerntet. In besseren Jahren reicht die Ernte, um den Inlandbedarf zu decken. Auch deshalb ist Raps die wichtigste Ölsaat der Schweiz.