«Die industrielle Milchproduktion ist darauf ausgelegt, einen Universalgeschmack zu bedienen.»
Woher rührt Ihre Begeisterung für Milch?
In meiner Kindheit gab es da ein Schlüsselerlebnis. Als ich acht Jahre alt war, probierte ich auf einem Bauernhof zum ersten Mal Rohmilch. Tags darauf nahm ich wieder einen Schluck – und war völlig fasziniert davon, dass die Milch ganz anders schmeckte als am Vortag. Das war für mich eine total neue Erfahrung. Aber Tatsache ist, ich mochte Milch einfach schon immer, auch die vom Supermarkt. Zum Milchsommelier kam ich allerdings auf Umwegen.
Erzählen Sie.
Ich war Mitgründer eines Think Tanks zum Thema Urban Farming in Rotterdam und hatte mich in dieser Funktion vor allem mit Gemüseanbau beschäftigt. Ich war aber schon damals ein Milch-Junkie und habe unsere Meetings regelmässig für Verkostungen genutzt. Jedenfalls bekam ein Freund aus der Gründergruppe, der hauptberuflich im Marketing tätig ist, einen Auftrag von Friesland-Campina, dem grössten niederländischen Molkereikonzern: Er sollte eine Online-Plattform aufbauen, auf der die Leute über Milch diskutieren konnten. Das war vor sieben Jahren. Mein Freund meinte, ich müsse da unbedingt etwas beisteuern. Ich schrieb also einen Text, und der sorgte für einiges Aufsehen.
Sie schrieben: Milch hat Terroir. Was meinen Sie damit?
Ja, so lautete die Hypothese, von der ich nach wie vor überzeugt bin. Der Frage, wie Lebensraum und Ernährung der Kuh den Geschmack ihrer Milch beeinflussen, bin ich bisher in gerade mal einem Fachartikel begegnet. Das Thema interessiert keinen. Aus meiner Erfahrung als Gemüsebauer weiss ich aber zum Beispiel, wie die Beschaffenheit des Bodens ein Produkt prägt. Wächst Kohl auf Lehmboden, wird er so hart, dass Sie damit jemanden erschlagen können. Gedeiht er hingegen auf sandigem Boden, wird er weich. Auch Gras ist unterschiedlich beschaffen, je nachdem, wo es spriesst. Und Kühe fressen Gras – Milch hat also Terroir. Unter Terroir verstehe ich die Summe von Faktoren wie Boden oder Klima, die dem Produkt seinen ureigenen Charakter geben.
Für den Durchschnittskonsumenten schmeckt Milch vermutlich gleich, egal, woher sie kommt.
Ja: Die industrielle Milchproduktion ist ja gerade darauf ausgelegt, einen sogenannten Universalgeschmack zu bedienen, der einen hohen Wiedererkennungswert und damit wenig Variation hat. In besagten Artikel warf ich entsprechend auch die Frage auf, warum Milch aus dem Supermarkt immer gleich schmeckt. Wenig später meldete sich die Künstlerin Sietske Klooster bei mir. Sie hatte in Amsterdam den Pop-up-Store Melksalon ins Leben gerufen, der Konsumenten hinter die Kulissen führen und ihnen Milch in ihrer ganzen Vielfalt näherbringen wollte. Sietske machte mich kurzerhand zum Milchsommelier für die Verkostungen. Ich habe die Herausforderung an- und vor allem ernstgenommen – und mir im Lauf der Jahre mithilfe von Weinsommeliers alles erarbeitet: Wie man richtig schmeckt, verkostet oder Geschmäcker beschreibt.
Erkennen Sie anhand der Milch, was eine Kuh gefressen hat?
Ja und nein. Bei der handelsüblichen Supermarktmilch kann ich Vollmilch von einer fettreduzierten Variante unterscheiden, damit hat es sich aber auch. Die Milchverarbeitung liegt ja in der Regel bei wenigen Grosskonzernen, die Milch aus ganz unterschiedlichen Regionen und Betrieben zusammenschütten. Ich kann aber herausschmecken, ob eine Kuh auf der Weide graste oder Kraftfutter frass. Weidekühe, die ausschliesslich Gras, Wildblumen und Kräuter fressen, geben eine Milch mit schöner Himbeernote im Abgang. Ein hoher Stärkegehalt, wie er etwa in Mais oder Kartoffeln vorkommt, resultiert demgegenüber in einer Milch, die den Mund regelrecht ausfüllt, einen fettigen Film hinterlässt und im Abgang leicht bitter schmeckt. Nicht nur das Futter, auch die Viehrasse oder die Melkzeit beeinflussen die Milch.
Inwiefern?
Da sind etwa Jersey-Kühe: Ihre Milch hat viel mehr Protein und auch mehr Kalzium als die anderer Rassen. Sie lässt sich beispielsweise hervorragend aufschäumen und bleibt so recht formstabil – jeder Barista hätte Freude daran. Und dann die Melkzeit: Werden Kühe in der Nacht gemelkt, ist der Gehalt von Melatonin in der Milch höher. Das Hormon regelt unseren Tag-Nacht-Rhythmus, es heisst daher, dass Nachtmilch zu einem besseren Schlaf verhelfe. Milch hat so viele unterschiedliche Eigenschaften, was dem Konsumenten, aber auch den Bauern in die Hände spielt, die heute von Grosskonzernen abhängig sind. Mit der entsprechenden Spezialisierung können sie ihre Zukunft wieder selbst in die Hand nehmen.