Pioniere, die künstliche Intelligenz standardmässig in ihren Gastronomiebetrieben einsetzen, sind noch selten. Roman Frauchiger, Leiter Hotellerie in der Privatklinik Clienia Schlössli, ist einer von ihnen. Beim Einkauf und bei der Menüplanung setzt er neuerdings auf KI statt auf Bauchgefühl oder Erfahrungswerte. Eine Software zeigt ihm, wie viele Portionen von jedem Gericht bestellt werden müssen. «Unsere Küchenchefs gehen immer mittwochs in das Tool und sehen, wie viel sie in der kommenden Woche von jedem Gericht verkaufen werden. Auf dieser Basis bestellen sie», erklärt Frauchiger.
Seit über einem Jahr arbeitet man im Clienia Schlössli mit einer KI-Software. Das System analysiert historische Verkaufsdaten, berücksichtigt Faktoren wie Wetter und Saisonalität und erstellt daraus präzise Prognosen für die zu erwartenden Menüverkäufe. «Wir haben das System drei Monate lang getestet. Unsere Küchenchefs gaben ihre Prognosen für jedes Gericht ab, und die KI tat es ihnen gleich. Dann haben wir die Kassendaten ausgewertet und geschaut, wer näher dran war», berichtet Frauchiger. Das Ergebnis: Die KI lag häufiger richtig. Mehr noch, der Effekt ist auch messbar: «Im ersten Jahr konnten wir den Food Waste um 18 Prozent reduzieren, im zweiten Jahr um weitere 10 Prozent – und das bei 5 Prozent mehr Mahlzeiten», sagt Frauchiger. Bemerkenswert dabei: Am eigentlichen Kochprozess wurde nichts verändert. Die Verbesserung resultiert allein aus der präziseren Planung.
Daten als Schlüssel zum Erfolg
Hinter der Software steht die Schweizer Firma Perspective Food. Das Unternehmen hat das System 2018 als Spin-off der Universität St. Gallen entwickelt. «Unsere Ausgangsidee war: Wenn man vorhersagen kann, was konsumiert wird, erleichtert das die gesamte Lieferkette bis hin zum Einkauf. Die Margen in der Gastronomie sind dünn – mit präzisen Prognosen werden sie besser», erklärt Verwaltungsratspräsident Torsten Petersen.
Die Technologie dahinter ist ein klassisches Beispiel für maschinelles Lernen. «Wir sind Datenfresser», sagt Petersen. «Wir integrieren Daten aus den unterschiedlichsten Quellen: Kassensysteme, Wettervorhersagen, Veranstaltungskalender, Social-Media-Trends – sogar Informationen darüber, welche Züge wohin fahren.»
Was zunächst vor allem aus wirtschaftlichen Überlegungen entstand, hat sich zu einem wichtigen Instrument für mehr Nachhaltigkeit entwickelt. «Lebensmittelverschwendung war 2018 noch kein grosses Thema für uns», gibt Petersen zu. «Aber wir haben gemerkt, dass mehr Effizienz automatisch weniger Abfall bedeutet.»
Unterstützung, nicht Ersatz
Sowohl Frauchiger als auch Petersen betonen: KI ersetzt keine Fachkräfte. «Der Küchenchef muss immer noch darüber schauen und beurteilen, was die KI sagt. Wir nehmen nicht einfach die Zahl, die da steht, aber sie ist ein guter Anhaltspunkt», sagt Frauchiger.
Petersen ergänzt: «Wir wollen dem erfahrenen Koch nicht den Job wegnehmen, sondern ihm helfen, noch besser zu werden. Jeder Koch hat Erfahrungswerte, aber die KI hat Zugriff auf historische Daten und kann Muster erkennen, die dem Menschen verborgen bleiben.»
Die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine funktioniere verblüffend einfach. «Der Küchenchef hat mit der IT fast nichts zu tun», erklärt Petersen. «Er bekommt einen Account und kann jederzeit nachschauen, was bestellt werden soll. Er muss sich nicht einarbeiten, sondern kann sich auf das konzentrieren, was er gut kann: kochen.»
Herausforderungen und Grenzen
Trotz aller Erfolge gibt es auch Hürden. «Die grösste Herausforderung ist die Mentalitätsfrage, die fehlende Offenheit», berichtet Petersen. Ein weiteres Problem: die Qualität der Daten. «Wir brauchen vor allem Kassendaten, aus denen hervorgeht, welches Menü verkauft wurde», sagt Petersen. «Wenn in der Kasse nur Menü 1, Menü 2, Menü 3 steht, können wir damit nichts anfangen.» Für kleinere Restaurants ist die Technologie daher oft noch nicht geeignet.
Kosten und Nutzen
Die Investition in die KI-Lösung beginnt bei Perspective Food mit einem Onboarding-Prozess für 2500 Franken. Danach fallen monatlich rund 500 Franken für das Basisabonnement an. «Wenn man bedenkt, was man für Lebensmittel bezahlt und was ein Kilo Food Waste kostet, rechnet sich das schnell», sagt Frauchiger.
Für die Zukunft sieht Petersen noch viele weitere Einsatzmöglichkeiten: «Wir schauen uns gerade Lösungen für die Personalplanung an. Wenn man weiss, wie viel Umsatz kommt, weiss man auch, wie viel Personal man braucht.» Auch eine variable Menüplanung in Kombination mit präzisen Vorhersagen, wie auch die Kapazitätsplanung von Küchengeräten, kann in Zukunft KI-gestützt erfolgen.
Roman Frauchiger jedenfalls ist überzeugt: «Man kann sich der ganzen KI-Geschichte nicht mehr verschliessen. Man muss lernen, sie zu nutzen. Dann hat sie enormes Potenzial.»