Die Leute seien wir Kartoffeln, pflegte ihr Vater zu sagen: Ihre Augen gehen erst auf, wenn sie im Dreck stecken. «Damit sind wir gross geworden», erinnert sich Julia Pfäffli, «mein Vater liess mich meine Erfahrungen selber machen.» Aufgewachsen ist die 48-Jährige auf einem Hof im bernischen Bangerten, einem winzigen Dorf, das nur eine Viertelstunde von der Hauptstadt entfernt liegt, mit dem öffentlichen Verkehr aber nicht erschlossen ist. Und eben hier ist sie seit 2012 wieder zu Hause, kocht und wirtet im Löwen – also jenem Gasthaus, in dem schon vier Generationen der Familie vor ihr wirkten.
Pfäfflis Rückkehr bescherte ihr Aufmerksamkeit: Die einstige Lehrtochter von Oskar «Chrüter-Oski» Marti hatte sich ihre Sporen in der gehobenen Gastronomie abverdient, etwa in der Auberge de la Cigogne in Fribourg, im Suvretta House in St. Moritz und beim mit 19 Punkten dotierten André Jaeger in der Schaffhauser Fischerzunft. Zurück daheim, hatte die Pinzette ausgedient: Pfäffli setzte auf eine grundehrliche bäuerliche Küche – mit bemerkenswerter Nähe zum Produkt. Die Hühner auf dem Hof liefern die Eier, das Gemüse wächst im Garten nebenan, das Fleisch bezieht die Köchin beim Schwager und der Nachbarin, in der Dorfmetzg und beim lokalen Jäger. Das Mehl fürs Brot, das die Mutter bäckt, wird aus eigenem Weizen gemahlen, das Öl aus eigenem Raps gepresst. Und an den Hochstammbäumen der Familie wachsen Früchte, Obst und Nüsse. «Das ist alles wunderbar», so Pfäffli, «aber dahinter steckt auch mega viel Büez.»
Sie weiss, wovon sie spricht. Vor zwei Jahren habe sie eine Baisse gehabt, erzählt die Köchin, «eine ziemlich tiefe». Konkret: eine Erschöpfungsdepression. Pfäffli spielte mit dem Gedanken, den Löwen zu schliessen. Stattdessen boxte sie sich, unterstützt von Familie und Freundeskreis sowie mit ärztlicher Hilfe, durch und strukturierte den Alltag so um, dass er sich bewältigen lässt. Seither ist die Wirtschaft mittwochs bis samstags «nur» abends geöffnet, sonntags bis 17 Uhr. Und: Pfäfflis Energie ist zurück! «Ich liebe, was ich tue», sagt die Mutter einer erwachsenen Tochter. Und dass sie in ihrer Arbeit mutiger geworden sei, selbstbewusster. «Anfangs wollte ich es allen recht machen; es war ein Prozess, mich davon zu lösen.» Heute ist für sie klar: Eine gute Rösti und gute Pommes sind ebenso wertvoll wie die gehobene Küche. «Ich wuchs an meinen Erfahrungen», sagt sie. Und erinnert sich an die Analogie des Vaters: von den Leuten und den Kartoffeln.
Wirtschaft zum Löwen, Deisswilstrasse 1, 3256 Bangerten, 031 869 02 30, loewen-bangerten.ch