«Ich wollte unbedingt Kadaver aus dem Zoo verkochen.»
Als Koch, sagen Sie, sei es wichtig, sich selber nicht so ernst zu nehmen. Warum?
Markus Stöckle (MK): Man ist doch einfach, was man ist. Ich bin ein Bauernbub aus dem Allgäu und hatte das Glück, beruflich von einem Ort quasi zum nächsten gereicht worden zu sein. Das hatte nicht nur mit meinem eigenen Drive und meinem eigenen Research zu tun, sondern auch mit glücklichen Zufällen und der Unterstützung der Leute um mich herum. Das ist das eine.
Was ist das andere?
MK: Wir sind sieben Milliarden Menschen auf dieser Welt, und es werden immer mehr. Da erfinde ich das Rad doch nicht mehr neu; alles, was ich mache, baut auf dem auf, was schon da ist. Nichts entsteht im Vakuum. Deshalb macht es mir Freude, zu entdecken, was da war – und herauszufinden, was noch kommt.
Die Historie spielt in Ihrer Küche eine grosse Rolle – etwa bei den Gerichten nach Johann Rottenhöfer, der im 19. Jahrhundert als Leibkoch von König Ludwig amtete.
MK: Das hat mit meiner persönlichen Neugier zu tun, ja. Ich schaue mir gern alte Rezepte an, aber nicht nur. Meine Ideen kommen von verschiedenen Seiten.
Zum Beispiel?
MK: Das kann vieles sein. Vor zwei Jahren zum Beispiel dachte ich mit Patrick Marxer zusammen an einer Idee herum. Ich wollte unbedingt Kadaver aus dem Zoo verkochen.
Wie kommen Sie darauf?
MK: Es gab in den Sechzigerjahren einen legendären Koch in Berlin, der total crazy Sachen machte. Er servierte ein Gericht im Schildkrötenpanzer, hatte Bärentatzen auf dem Menü, brachte tote Tiere vom Berliner Zoo auf die Teller der High Society. Da merkt man, wie nah High End und Scheisse sind. Solche Geschichten reizen mich wahnsinnig. Ich fragte den Zoo hier auch an; das Telefongespräch fiel sehr kurz aus.
Im Rosi setzen Sie kulinarisch voll auf Ihre Heimat Allgäu. Was fasziniert Sie daran?
MK: Ich finde die bayrische Küche in all ihren Facetten spannend. In meine Küche fliesst aber auch ein, dass wir Kinder der Neunziger sind, oder der Achtziger, der Siebziger ... Da gibts Referenzen, die für alle gelten, und wir müssen uns nichts vormachen: Bis zu einem gewissen Grad wuchsen wir mit der Industrialisierung auf. Daraus ergeben sich interessante nostalgische Aspekte – wie die Rinder-Riesen, die wir schon im Pop-up-Projekt Wild Bar auf der Karte hatten.
Was ist damit?
MK: Die Riesen von Storck, diese Karamellguetzli mit Schokoladenüberzug, ass schon mein Vater. Und ich liebte sie als Bub. Wir entwickelten das Konzept einfach weiter; wir kochten den Schokoladenkaramell mit Rinderjus runter, gaben etwas Hefe dazu, um das fleischige Aroma zu pushen ... Da arbeiten wir dann schon komplex.
Sie suchen die Komplexität im Einfachen.
MK: Genau. Dabei gehen wir ins Detail, da zeigt sich unsere Erfahrung aus dem The Fat Duck. Bleiben wir beim Beispiel mit den Riesen: Wir pröbelten lange herum, ersetzten die Butter, probierten aus, was man alles austauschen kann, schauten, wie extrem wir werden können. Wie viel Jus erträgt das Ganze? Was passiert, wenn wir dunkles Bier beigeben? So entstand ein Schokoladenkaramell, der nicht mehr nur süss und rahmig ist, sondern elegant, mit einer von der Hefe unterbauten Specknote. Er hat Power – von links nach rechts, in vielen Schichten, die sich aufbauen, sodass der erste Bissen anders schmeckt als der letzte. Dabei schauen wir nicht ständig, obs noch eine crunchy Komponente braucht oder so ... Wir reden eher von Kiki und Buba.
Kiki und Buba?
MK: Der Kiki-Buba-Effekt ist ein wissenschaftlicher Term, den wir im The Fat Duck kennenlernten, eine Art Yin und Yang beim Geschmack: Buba ist blasenförmig, weich, rich und velvety. Kiki ist spitz, scharf, säurehaltig. Das versteht man intuitiv, nicht? Wir sind analytisch, wenns um die Sinnhaftigkeit eines Gerichts geht – es muss smart, darf nicht dumm sein –, aber bei der Komposition verlassen wir uns auf unsere Intuition. Im kreativen Prozess läuft viel zwischen Elif und mir. Im Bett. Also wenn wir nebeneinander liegen. Zu den historischen Recherchen kommen unsere Geschichten, die in die Rosi-Gerichte einfliessen: Woran wir uns erinnern, woher unsere Familien kommen, was wir erleben.