29.02.2024

Nachhaltigkeit in der Tasse

Interview: Andreas Bättig – Fotos: z. V. g.
Sarah Sot ist Head of Sustainability bei der Delica AG. Ein Gespräch über Nachhaltigkeit beim Kaffeeanbau und die Herausforderungen des Klimawandels.
Sarah Sot, Head of Sustainability bei der Firma Delica, bereist regelmässig die Kaffee-Anbaugebiete in Honduras, Peru oder Brasilien.
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«Wir müssen nachhaltiger produzieren, damit es in Zukunft noch Kaffee gibt.»

Was ist die Aufgabe einer Head of Sustainability?
Sarah Sot: Ich bin dafür verantwortlich sicherzustellen, dass wir unsere gesellschaftliche Verantwortung als Unternehmen wahrnehmen, und dafür, uns fit für die Zukunft zu machen. Im Anbau, bei der Produktion und schliesslich beim Verkauf beschäftige ich mich mit Umweltthemen, sozialer Gerechtigkeit, Abfallmanagement oder Fragen im Umgang mit der Klimaerwärmung. Als Leiterin muss ich den Überblick behalten und die wichtigsten Nachhaltigkeitsrisiken und -chancen erkennen, die wir beeinflussen und angehen wollen. Dies geschieht in enger Zusammenarbeit mit der Geschäftsleitung.

Überprüfen Sie das Einhalten der Massnahmen von der Firmenzentrale aus oder vor Ort in den Anbaugebieten?
Es gehört zu meinem Job, dass ich möglichst oft unsere Anbaugebiete besuche, zum Beispiel Honduras, Peru oder Brasilien. Das war mir von Anfang an wichtig. Mir reicht es nicht, allgemeine Rapporte zu lesen. Ich will aus erster Hand hören, was Kaffeebauern und -bäuerinnen denken, welche Bedürfnisse sie haben und welche Massnahmen funktionieren oder nicht. Dabei habe ich viel gelernt.

Zum Beispiel?
Man kann Nachhaltigkeit nicht nur am Reissbrett planen. Auch wenn sie noch so gut gemeint ist. Das habe ich besonders bei einem Besuch in Brasilien erfahren müssen. Wir hatten ein tolles Nachhaltigkeitsprojekt, inklusive der Finanzierung, anzubieten. Allerdings hätten die Produzenten und Produzentinnen ihre Anbaumethoden dafür möglicherweise anpassen müssen. Sie waren grundsätzlich interessiert, sagten dann aber ab. Das hat mich zuerst überrascht. Dann erklärten sie mir aber, dass sie erst seit zwei Jahren mit uns zusammenarbeiten und in ähnlichen Projekten schlechte Erfahrung gemacht hatten. Das Risiko der Umstellung war ihnen noch zu gross. Sie fragten mich: Was passiert, wenn ihr plötzlich nicht mehr mit uns arbeiten möchtet? Sie hatten absolut recht. Das zeigte mir: Es braucht bei der Zusammenarbeit ein langfristiges Engagement, kleine Schritte zu Beginn und viel Vertrauen.

Wie schaffen Sie Vertrauen?
Wir versuchen, nah bei den Bäuerinnen und Bauern zu sein. Wo möglich, übernachten wir direkt auf den Kaffeefarmen, auch mal mit den Farmtieren neben uns, oder bei den Produzenten und Produzentinnen zu Hause. So sind wir gleich in einer lockereren Atmosphäre und es kommt zu vielen persönlichen Gesprächen mit ihnen und ihren Familien, etwa beim gemeinsamen Frühstück. Unser CEO Raphael Gugerli ist regelmässig dabei. Er hat mehrmals unter praller Hitze oder bei Regen auf dem Feld geschuftet. So erfuhr er, wie anstrengend der Anbau von Kaffee ist und wie viel Handarbeit dafür nötig ist. Der Zugang zu den Produzenten und Produzentinnen war so gleich viel leichter.

Was ist zurzeit die grösste Herausforderung im Bereich Nachhaltigkeit in der Kaffeebranche?
Auch wir spüren die Inflation und einen Kostenanstieg. Der Preis für Dünger ist geradezu explodiert. Mit den steigenden Lebensmittelpreisen in den Anbauländern sind auch Arbeitskräfte teurer. Von ihnen gibt es gleichzeitig in einigen Regionen immer weniger. Das spüren die Produzentinnen und Produzenten und somit auch wir.  Die Konsumentinnen und Konsumenten sind beim Kaffee preissensibel. Sie haben sich an einen gewissen Kaufpreis beim Kaffee gewöhnt. Kaffee ist aber ein Rohstoff, der vom Anbau bis zum Getränk in der Tasse viel Wert generiert. Das vergisst man manchmal am Regal. Deshalb ist es uns wichtig, die Geschichten der Menschen hinter dem Produkt zu erzählen.

Ist man da nicht in einem Dilemma? Investitionen in die Nachhaltigkeit verursachen Kosten, die den Kaffee für den Konsumenten, für die Konsumentin teurer machen.
Das ist so. In vielen Produktionsländern fehlen Rahmenbedingungen, wie wir sie in der Schweiz kennen. Faire Löhne, ein funktionierendes Gesundheitssystem oder der Schutz von vulnerablen Gruppen wie Frauen, Kindern oder älteren Menschen sind oft nicht gegeben. Möchten wir das als Unternehmen sicherstellen, entstehen dadurch Kosten, die bei uns normalerweise der Staat trägt. Zusätzlich werden durch den Klimawandel kurzfristig Kosten für die Folgeschäden und notwendige Anpassungen zur Transformation anfallen. Aber wir sehen unser Engagement in der Nachhaltigkeit als Investition in die Zukunft. Wir müssen nachhaltiger produzieren, damit es in Zukunft noch Kaffee gibt. Deshalb ist es wünschenswert, wenn im Gesetz Vorschriften verankert sind, die dafür sorgen, dass jene Anbieterinnen und Anbieter, die in die Nachhaltigkeit investieren, nicht benachteiligt werden. Damit gleiche und faire Wettbewerbsbedingungen für alle gewährleistet sind.

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Wird die Klimakrise zu grossen Problemen in der Kaffeeproduktion führen?
Wir sehen die Folgen des Klimawandels schon jetzt. In den Produktionsländern wie Brasilien und Honduras müssen wir nicht diskutieren, ob es den Klimawandel gibt oder nicht. Oft wird der Kaffee vor Ort von Familien angebaut, die das schon seit Generationen tun. Die kennen die Veränderungen also genau. Und die berichten uns, dass der Kaffee aufgrund der höheren Temperaturen in immer höheren Lagen angebaut werden muss. Ausserdem verschieben sich die Jahreszeiten und Regenperioden oder der Regen bleibt ganz aus. In Brasilien hatten wir 2021 eine extreme Frostperiode, die mit langer Trockenheit grosse Teile der Kaffeeernte 2022 zerstört hat.

Beim Kaffeeanbau ist die Zerstörung des Regenwaldes immer wieder ein Thema. Auch bei Ihnen?
Die Vermeidung von Entwaldung ist eine Priorität für uns. Gerade bei Anbaugebieten, die sich nahe am Regenwald befinden, schauen wir genau hin und sensibilisieren die Menschen. Die EU hat zudem die Entwaldungsverordnung eingeführt. Wir müssen nachweisen, dass unser Kaffee nicht in entwaldeten Gebieten angebaut wird. Mit der Zertifizierung unseres Sortiments durch die Rainforest Alliance und Fairtrade/Max Havelaar folgen wir bereits freiwillig Anforderungen, die Entwaldungsfreiheit unterstützen. Zusätzlich schulen wir neu auch persönlich Kaffeeproduzenten und -produzentinnen, mit denen wir bereits lange und eng zusammenarbeiten. Mit unseren Lieferantinnen und Lieferanten tauschen wir uns ebenfalls eng dazu aus.

Viele Bereiche werden immer mehr automatisiert. Findet dies auch im Kaffeeanbau statt?
Ja. Damit können Produzentinnen und Produzenten viel Kosten sparen. Gleichzeitig kann dies auch zu Konflikten bei der Erreichung von Nachhaltigkeitszielen führen. Beim Kaffeeanbau geht viel von Hand. Daran hängen Arbeitsplätze, die aber mit hohen Kosten für Produzenten und Produzentinnen verbunden sind. Maschinen können diese Kosten reduzieren, benötigen aber Energie oder Treibstoff.  Uns sind die Menschen wichtig. Wir wollen ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen verbessern, gleichzeitig aber unsere Auswirkungen auf den Klimawandel reduzieren. Das ist eine Herausforderung.

Beim Thema Nachhaltigkeit wird oft über den Kapselkaffee gesprochen. Wie nachhaltig ist dieser?
Kapselkaffee ist generell besser als sein schlechter Ruf. Kritisiert wird vor allem die Verpackung, die häufig aus Plastik oder Aluminium besteht. Dabei geht jedoch vergessen, dass die Kaffeebohnen selbst eine relevante Umweltwirkung haben. Der Anbau ist aufwendig und benötigt Ressourcen wie Land und Wasser. Je effizienter wir den Kaffee selbst nutzen, das heisst also, je weniger Kaffeemenge wir für eine Tasse benötigen, desto besser ist das auch für die Umwelt. Einzelportionsysteme wie Kaffeekapseln haben das optimiert – sie verbrauchen viel weniger Kaffee pro Tasse als zum Beispiel ein Vollautomat oder der immer beliebtere Siebträger-Kaffee vom Barista um die Ecke. 

Sie haben den Coffee B auf den Markt gebracht. Dabei werden runde Kaffeekapseln verwendet, die kompostierbar sind. Welche Idee steckt dahinter?
Bei konventionellem Kapselkaffee liegt die Verantwortung der Entsorgung in der Hand des Konsumenten respektive der Konsumentin. In der Schweiz engagieren wir uns dafür über die Swiss Aluminium Capsule Recycling Organisation, die wir mitgegründet haben. Die notwendige Infrastruktur gibt es aber nicht in allen Ländern, und sie hat auch ihre Grenzen. Weltweit werden jährlich Milliarden von Aluminium- und Plastikkapseln verkauft. Die meisten davon, rund 70 Prozent, landen im Abfall. So entstehen über 100000 Tonnen Kapselmüll pro Jahr. Deshalb haben wir Coffee B ins Leben gerufen mit der Mission, die Welt von Kapselmüll zu befreien. Möglich macht das ein kleiner, vollständig kompostierbarer Ball aus frisch geröstetem Kaffee. Wer Coffee B trinkt, geniesst also die Vorteile herkömmlicher Einzelportionsysteme, allerdings ohne Abfall – unsere Vision für eine nachhaltige Zukunft.

Wenn Sie in Zukunft schauen: Welche Themen bei der Nachhaltigkeit im Kaffee werden relevant?
Wie schon angesprochen, ist der Klimawandel eine grosse Herausforderung für den Kaffeeanbau. Manche Studien gehen davon aus, dass wir in Zukunft aufgrund der Erwärmung massiv weniger Kaffee anbauen können. Das kann zur Folge haben, dass der Preis steigt und wir sehr sparsam mit dem fertigen Kaffee umgehen müssen. Deshalb könnten sich in Zukunft Extraktionslösungen noch mehr durchsetzen, die eine möglichst kleine Menge Kaffee benötigen. Einzelportionierter Kaffee könnte eine noch wichtigere Rolle spielen.

Die Delica AG wurde im Jahr 2021 gegründet und ist ein Zusammenschluss aus den Unternehmen Chocolat Frey, Delica, Midor, Riseria und Total Capsule Solutions. Unter dem Namen Delica vereint sich Genusskompetenz unter dem Dach der Migros-Industrie. An fünf Standorten in der Schweiz sowie zahlreichen Niederlassungen im Ausland beschäftigt Delica rund 2200 Mitarbeitende.