14.05.2020

Neustart nach Zwangspause

Text: Virginia Nolan – Foto: Free-Photos / Pixabay
Am Montag ist die Gastronomie aus dem Lockdown erwacht. Wie meistern Betriebe die Wiedereröffnung? Wir haben in Zürich nachgefragt.
Tisch an Tisch, voller Laden – das war gestern. Die Corona-Krise wirft über den Haufen, was bisher unsere Normalität war.
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«Insgesamt überwiegt der Optimismus. Das spüre ich deutlich.»

Als der Bundesrat Mitte April über erste Lockerungen der Pandemiemassnahmen informierte, erwähnte er die Gastronomie mit keinem Wort. Zuvor hatte es geheissen, an Restaurantbesuche sei vor Juni nicht zu denken. Vor zwei Wochen gabs plötzlich grünes Licht: Auch Restaurants sollten ihre Türen ab dem 11. Mai wieder öffnen können. Auf die Freude folgte die Verunsicherung, denn das «Schutzkonzept Gastro unter Covid-19», erstmals veröffentlicht am 6. Mai, hat es in sich. Es umfasst einen siebenseitigen Katalog von Auflagen, die Betriebe erfüllen müssen, um ihre Gäste wieder empfangen zu dürfen. Einige davon haben in den vergangenen Tagen für rote Köpfe gesorgt, etwa weil sie – Stichwort Mindestabstand – für kleine Betriebe kaum umsetzbar sind oder in Sachen Datenschutz auf Kritik stiessen. Hitzige Diskussionen bescherten dem Schutzkonzept daraufhin einige Änderungen, aber nicht alle Fragen waren zum Neustart abschliessend geklärt.

«Diese Wiederöffnung ist eine Feuerwehrübung», sagt Nicolas Baumann, Inhaber und Geschäftsführer der Huusbeiz in Zürich. «Es fehlt eine vernünftige Planung, bisher folgte auf eine Hauruck-Aktion die nächste. Ein Unternehmer, der so handelt, würde seinen Betrieb an die Wand fahren.» Seit Montag empfängt Baumann in seinem kleinen Stadtlokal wieder Gäste, neu nur noch an fünf statt sechs Abenden pro Woche, am Mittag bleibt die Beiz, die sonst als Betriebskantine für ein benachbartes IT-Unternehmen fungiert, weiterhin geschlossen. Vorschriftsgemäss stehen nun alle Tische in einem Mindestabstand von zwei Metern zueinander, das hat zur Folge, dass sich die Platzzahl im Restaurant von 50 auf 28 und auf der Terrasse von 28 auf 12 reduziert hat. Für Trennwände zwischen den Tischen, die den Mindestabstand laut Schutzkonzept hinfällig machen, fehle ihm die Liquidität, sagt Baumann: «Wir warten erst ab, wie der Betrieb anläuft, bevor wir Geld ausgeben. Die Verunsicherung der Leute ist noch immer gross, die Nachfrage verhalten.»

Wäre es nach ihm gegangen, hätte Baumann den Verlauf der Infektionsrate nach dem Lockdown sowie den Bundesratsentscheid vom 27. Mai abgewartet, um Geschäftsumfeld und Risiken besser einschätzen und Massnahmen entsprechend planen zu können. «Das jetzt war ein totaler Blindflug», sagt er, «aber man hat uns ja faktisch dazu gezwungen, zumal im Raum stand, dass den Anspruch auf Kurzarbeit verliert, wer nicht aufmacht.» In der Tat liess Bern Gastronomen dahingehend im Dunkeln tappen, bis der Bundesrat am Freitag auf die Nachfrage des Branchenverbands Gastrosuisse reagierte. «Der Bundesrat hat uns bestätigt», sagt Christian Belser, Leiter Rechtsdienst bei Gastrosuisse, «auch ein geschlossener Betrieb hat nach dem 11. Mai 2020 weiterhin Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung, wenn er aufzeigen kann, dass die Wiedereröffnung des Betriebs mit Verlusten verbunden wäre und zu einem erhöhten Risiko von Entlassungen oder einer definitiven Schliessung führen würde.»

Unklar ist, wie diese Beweisführung im Bedarfsfall aussehen soll. Sara Hochuli, Gastgeberin im Miyuko in Zürich, zerbricht sich darüber nicht den Kopf. Sie wird ihr Café, das über zehn Tische und 25 Plätze verfügt, vorerst nicht öffnen – weil es unter den gegebenen Umständen nicht rentiere. «Ich glaube, die Behörden haben weder die Ressourcen noch die Absicht, jeden unter die Lupe zu nehmen», sagt Hochuli. «Es ist im Interesse der Allgemeinheit, dass möglichst viele von uns überleben.» Gleich sieht es Daniel Wiesner, Sprecher der Fredy Wiesner Gastronomie: «Wir können davon ausgehen, dass es nicht der Idee vom Bund entspricht, wenn Betriebe in den Ruin schlittern – was ohne Kurzarbeitsentschädigung der Fall wäre.» Von 31 Restaurants der Fredy-Wiesner-Gruppe haben 25 den Betrieb wieder aufgenommen, die meisten mit eingeschränkten Öffnungszeiten und reduziertem Angebot. Sechs Lokale, alle im Zürcher Niederdorf oder in den Bankenvierteln angesiedelt, bleiben vorerst geschlossen, weil Touristen und Gäste aus den Büros noch auf sich warten lassen. «Wir werden die Lage weiterhin beobachten und die Betriebe öffnen, sobald sich eine entsprechende Nachfrage abzeichnet», sagt Wiesner.

Auch Florian Weber, operativer Geschäftsführer der Péclard-Betriebe, erwartet schleppende Geschäfte für die Innenstadt. «Aufgemacht haben wir trotzdem», sagt er, «mit normalen Öffnungszeiten und dem vollen Angebot. Rentieren wird es nicht. Aber es geht darum, ein Zeichen zu setzen. Unsere Gäste und Mitarbeiter sollen spüren, dass wir mit Zuversicht in die Zukunft blicken. Wer die Wirtschaft ankurbeln will, kann nicht den Laden dichtmachen.» Für die nächsten Monate geht Weber für die gesamte Gruppe, der 14 Betriebe angehören, von einer Umsatzeinbusse über rund 50 Prozent aus. Abgesagte Hochzeiten, Bankette und Geburtstage sorgten für ein beachtliches Minus. «Wir versuchen das etwas abzufedern, indem wir die Stornierungsfrist für solche Anlässe auf drei Tage im Voraus reduziert haben», sagt Weber, «es ist ja durchaus möglich, dass im Sommer wieder grössere Gruppen zusammenkommen dürfen.» Für 40 bis 50 Prozent der 170-köpfigen Belegschaft werde weiterhin Kurzarbeit beantragt.

Schutzmassnahmen setzen Gastronomen unterschiedlich um. In Betrieben der Fredy-Wiesner-Gruppe weisen Bodenmarkierungen Gäste darauf hin, Abstand zu halten, zwischen Tischen und Sitzbänken wurden Kartontrennwände angebracht, um mehr Plätze erhalten zu können. Auf diese Lösung setzt auch das Zürcher Kaffeehaus Odeon am Bellevue, das zur Fred-Tschanz-Gruppe gehört. «Die Tische auseinanderzuschieben, war aufgrund der beschränkten Platzverhältnisse und des schweren Mobiliars keine Option», sagt Kurt Wodiczka, operativer Leiter der Betriebe. In der Gaststube Haldenegg, dem zweiten Restaurant der Gastro-Gruppe, verzichte man hingegen auf Trennwände, weil die Platzverhältnisse es erlaubten, Tische zu versetzen. Masken trage nur, wer in der Küche arbeite, «im Service verzichten wir darauf», sagt Wodiczka, «denn in der Kommunikation mit dem Gast hat die Mimik eine zentrale Bedeutung». Dem stimmt Weber von den Péclard-Betrieben zu, die den Probelauf im Service vorerst ohne Masken wagen. «Wir machen das von den Gästen abhängig», sagt Weber, «es ist denkbar, dass sich die Leute bei höherer Auslastung wohler fühlen, wenn diejenigen, die das Essen bringen oder abräumen, eine Maske tragen. Bei der Aufnahme der Bestellung ist es hingegen kein Problem, den Abstand einzuhalten.»

In vielen Betrieben ersetzt mittlerweile ein laminiertes Kärtchen mit QR-Code die Speisekarte. Gäste scannen den Code mit ihrem Smartphone und erhalten so Einblick ins Menü, in der analogen Variante kommt eine laminierte, leicht zu reinigende Menükarte oder die Wegwerfversion aus Papier zum Einsatz. QR-Code-Lösungen, wie sie etwa die Kommunikationsagentur Voima mit dem Online-Service «ping! Gästekontakt» anbietet, gibt es mittlerweile auch für die Erfassung der Gästedaten. Seit vergangener Woche ist klar, dass es Gästen freisteht, ob sie ihre Koordinaten im Restaurant hinterlegen wollen oder nicht. «Üblicherweise sind diese Angaben im Reservationssystem gespeichert», sagt Weber von den Péclard-Betrieben, «das Thema betrifft also eher Gäste, die spontan kommen. Denen einen Bleistift und ein Blatt Papier auf den Tisch zu legen und die Unterlagen für 14 Tage aufzubewahren, ist kein Wahnsinnsaufwand.»

Abgeschafft gehöre die Massnahme trotzdem, findet Ernst Bachmann, Präsident des Zürcher Wirteverbands: «In keinem Supermarkt müssen sich Kunden registrieren, warum also im Restaurant, wo wir erst noch besser darauf achten, dass die Leute den Mindestabstand einhalten?» Diesen gilt es zu reduzieren, wenn es nach Bachmann geht: «Ein Meter würde reichen, alles andere ist für kleine Betriebe unrealistisch». Bachmann selbst verfügt im Restaurant Muggenbühl über genügend Platz, Tische versetzt anzuordnen. Die Maske haben er und sein Team sich zur Pflicht gemacht – auch im Service. «Die Gäste schätzen das», sagt Bachmann. Und lacht: «Ich wirte jetzt seit über 50 Jahren, ein solches Szenario hätte ich mir nicht im Traum ausgemalt. Es ist eine beachtliche Umstellung, aber die packen wir schon.» Das gelte übrigens für die meisten seiner Branchenkollegen, ist Bachmann überzeugt: «Das Umfeld ist schwierig, aber insgesamt überwiegt der Optimismus. Das spüre ich deutlich.»