02.09.2020

Obstdestillate im Fokus

Text: Virginia Nolan – Foto: z. V. g.
Unlängst tagten einige der besten Bartender aus dem deutschsprachigen Raum im Entlebuch. Mitveranstalter Robert Schröter sagt, was es mit dem Gipfeltreffen #Fruchtbrand 2.0 auf sich hat.
«Es ergibt schlicht keinen Sinn, Unsummen für irgendwelche diamant-gefilterten Ultra-Premium-Wodkas auszugeben, wenn das Beste vor der Tür liegt» – Mixologist-Grösse Robert Schröter über heimische Fruchtbrände.
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«Fruchtbrände sind die Champions-League des Destillierens.»

Über 20 Bartender aus Österreich, Deutschland und der Schweiz sind vergangene Woche für ein Brainstorming zum Thema Fruchtbrand nach Escholzmatt gereist. Was war der Anlass zum Treffen?
Es erfolgte auf Einladung der Distillerie Studer, einem lokalen Familienbetrieb mit über 130-jähriger Brennertradition, der sich immer wieder mit innovativen Ideen hervortut. Der Workshop in Escholzmatt sollte Brenner und Barkeeper näher zusammenbringen. Einerseits ging es um Wissensvermittlung: Barkeeper sollten einen Einblick ins Brennerhandwerk erhalten, aber auch mehr über geschmackliche Themen erfahren. So hielten beispielweise Sensoriker Patrick Zbinden und Küchenchef Stefan Wiesner vom Rössli Escholzmatt Vorträge. Andererseits galt es für die Destillerie herauszufinden, was für Bartender und ihre Gäste heute interessant ist, welche Bedürfnisse sie haben. Hintergrund der Veranstaltung ist der Wunsch der Distillerie Studerie, in Bars künftig stärker präsent zu sein. Die nachrückende Generation ist überaus bar-affin, man will der Szene hochwertige Produkte anbieten, die den Schweizer Fruchtbrand im Fokus haben.

Die Verkaufszahlen von Fruchtbränden sind jedoch seit Jahren rückläufig.
In Deutschland sind sie zumindest stabil – aber ja, in Bezug auf die Schweiz stimmt das. Dafür gibt es vielfältige Gründe.

Nämlich?
Ins Gewicht fällt zunächst einmal, dass Obstbrenner meist kleine Betriebe sind, oft mit bäuerlichem Hintergrund, und ohne Marketingbudgets, wie sie die grossen Spirituosenhersteller haben. Dann spielt sicher auch die Preisfrage eine Rolle. Ab zehn Franken kriegt man, wenn es sein muss, eine Flasche Rum oder Wodka, aber bestimmt keinen Obstbrand, dessen Herstellung sehr zeit- und kostenintensiv ist. Sie ist mit viel Handarbeit verbunden, sowohl bei der Verarbeitung der Rohstoffe als auch bei der Ernte, die ausserdem von Saison, Wetter und Schädlingssituation abhängt. Bei qualitativ hochwertigen Obstbränden fällt zudem, etwa im Gegensatz zu Whisky oder Rum, viel Ausschussware an: Nur das Beste darf mit rein. Fruchtbrände sind aber auch deshalb weniger populär, weil sie für den ungeübten Trinker weniger gut zugänglich, also auf den ersten Schluck eine eher sperrige Angelegenheit sind.

Wie meinen Sie das?
Erstmal werden sie, im Gegensatz zu anderen Spirituosen, ausschliesslich pur getrunken. Keiner kippt Cola oder Tonic hinzu, Geschmäcker, die für uns geläufig sind. Dann werden Fruchtbrände nicht im Fass gelagert, was ausgleichend wirken kann, der Spirituose etwas ihre Ecken und Kanten nimmt. Sie konservieren die reine Seele der Frucht, sind daher hocharomatisch. Aber sie treffen den Gaumen mit einer Wucht, die wir uns nicht gewohnt sind. Mit ihrer sensorischen Vielfalt sind Fruchtbrände die Champions-League des Destillierens: Bei den Prämierungen weltweiter Top-Destillate rangieren sie regelmässig auf Spitzenplätzen. Aber man muss den ungeübten Gast heranführen.

Wie?
Das war eine der Fragen, mit denen wir uns am Workshop beschäftigten. Dabei reifte beispielsweise auf mehreren Seiten die Idee, ein Zwischenprodukt zu erschaffen, das den Gaumen langsam mit den Aromen von Fruchtbränden vertraut macht. Diesen Ansatz finde ich vielversprechend.

Woran denken Sie?
Kaum ein Getränk ist in der Cocktail-Kultur so tief verankert wie Wermut. Er war einer der Grundzutaten der ersten Cocktails, die im Lauf des 19. Jahrhunderts entwickelt wurden, und hat in der Szene bis heute einen sehr hohen Stellenwert. Gerade hier in der Schweiz, die über eine ausgeprägte Apero-Kultur verfügt. Per Gesetz dürfen Hersteller Wermut mit einem Destillat freier Wahl aufspriten, in der Regel wird dafür neutraler Alkohol verwendet. Aus Sicht des Bartenders kann es aber spannender sein, an dessen Stelle einen charaktervollen Fruchtbrand zu verwenden. Ein Wermut dieser Art wäre eine geschmacklich vielversprechende Möglichkeit, Fruchtbrände in Drinks zu integrieren. Dann gibt es natürlich noch andere Ansätze, ich denke da etwa  an «Swissky»: Dahinter steht die Idee, einen Hybrid aus Roggen- und Fruchtbrand zu entwickeln. Es wäre spannend, das Wissen der Fruchtbrenner auf diese Weise in den Whisky zu integrieren. Whisky darf man das Ganze natürlich nicht nennen, interessant wäre es trotzdem.

Was sind weitere Ideen?
Aktuell sind Hard Seltzer in den USA ein Riesenthema: Im Prinzip ist das Mineralwasser, versetzt mit rund fünf Prozent Alkohol und manchmal zugesetztem Fruchtgeschmack. In den USA wird dabei meist mit Alkohol auf Zuckerrohr- oder Malzbasis gearbeitet. Hard Seltzer wird jedoch gebraut, nicht destilliert. In Europa wird der Trend nun auch vermehrt wahrgenommen und getestet. Für Schweizer Fruchtbrenner könnte er interessant sein: Es bestünde die Möglichkeit, ein hochwertiges Pendant zu schaffen, etwa aus fermentierter Birne, die man im Pet-Nat-Verfahren als trüben Schaumwein abfüllt.

Zurück zum reinen, unverfälschten Fruchtdestillat: Glauben Sie, der Gast und Konsument ist bereit dafür?
Ja. Zum einen, weil sich unser Geschmack verändert hat: In den Cocktailbars brauchen wir heute nur noch halb so viel Zucker wie vor zwanzig Jahren. Man kommt weg vom Süssen, Sirupartigen, ist offen für herbere Noten. Zum anderen ist da der Regionaltrend, der sich halten wird. Mehr denn je sind Konsumenten und Gäste interessiert an qualitativ hochwertigen Produkten aus lokalen Rohstoffen. Und zu guter Letzt ergibt es schlicht keinen Sinn, Unsummen für irgendwelche diamant-gefilterten Ultra-Premium-Wodkas auszugeben, wenn das Beste vor der Tür liegt. In den Alpen haben wir eine grossartige Obstbrenner-Tradition, die ein immenses Wissen vereint und Spitzenprodukte hervorbringt. Es gibt so viel zu entdecken.

Das Treffen
Vom 26. bis zum 27. August sind über 20 Top-Barkeeper aus dem deutschsprachigen Raum in Escholzmatt LU zusammengekommen. Sie folgten der Einladung der lokalen Brennerei Studer zu verschiedenen Workshops und Fachvorträgen rund ums Thema Fruchtbrände. Mit dabei waren unter anderem Oliver Ebert und Cristina Neves (Becketts Kopf, Berlin), Markuss Engeler (Zum Kuss, Basel), Wolfgang Bogner (Tales, Zürich), Rebekka Salzmann (Angels’ Share, Basel), Lukas Werle (Bruder, Wien) und Kai Wolschke (Goldfisch, Berlin).

Der Profi
Robert Schröter gehört zu den profiliertesten Bartenders in Deutschland. Seine berufliche Laufbahn hinter der Bar startete er im Jahr 2000 in seiner Heimatstadt Berlin. Seither arbeitete Schröter in Cocktailbars, Nachtclubs und Fine-Dining Restaurants rund um den Globus, darunter in Luxushotels wie dem Ritz Carlton und dem Peninsula. Im Lauf seiner Karriere führte Schröter drei eigene Bars, zuletzt das Kupfer in Berlin. Er ist Gründer der Speakeasy Cocktail Akademie in Berlin und leitet unter anderem das Festival Craft Cocktails Berlin, daneben schreibt er als Fachautor für diverse Getränkemagazine. Mehr Infos zu Schröter und seiner «Cocktail-Mission» gibt es hier.