Die Gäste waren vermutlich in Feierlaune am 8. Dezember des vergangenen Jahres, freuten sich auf ein vorweihnachtliches Menü im neuen Hamburger Luxushotel The Fontenay. Doch während der eine oder andere Kunde schon an der Auswahl der Krawatte tüftelte, musste Cornelius Speinle eine dramatische Entscheidung treffen. Kranke Köche und eine Verletzung führten zu einem eklatanten Mangel an Mitarbeitern in der Küche des Restaurants Lakeside, ganz oben im Hotel.
Also wie weiter? Einfach mal fünfe gerade sein lassen und die Gänge rausprügeln, Fehler und Wartezeiten einkalkulieren? Köche aus dem Erdgeschoss-Zweitrestaurant auf die Schnelle nach oben dirigieren? Der Schweizer Küchenchef entschied, den Abend abzusagen. Keine Experimente. Auf die Schnelle wurden die Gäste kontaktiert, fast alle konnten untergebracht werden in anderen Hamburger Toplokalen. Die Kollegialität sei gross gewesen, sagt Speinle.
Nach ähnlichen Begebenheiten kann man in der Branche lange suchen, derartiger Perfektionismus ist auch auf Sterneniveau unüblich. Doch mit offenen Karten zu spielen, schien eine gute Idee. Gerade hier, im neuen The Fontenay, das seit der Eröffnung 2018 argwöhnisch begleitet wird.
Investor Klaus-Michael Kühne ist zwar im Norden geboren, hat seinen Wohnsitz aber in die Schweiz verlagert. Ein Perfektionist soll er sein, erzählen sich die Hamburger, einer, der dem von ihm unterstützten Fussballclub Hamburger SV höchste Leistungen abringen will und auch in der Beherbergungsbranche hohe Ziele vorgibt. Das beste Hotel Deutschlands wolle er eröffnen, hat er mal einer Lokalzeitung gesagt. Druck aufbauen – das kann Kühne.
Doch Chefkoch Speinle ist viel zu erfahren, um sich von der steifen Nordseebrise wegwehen zu lassen. Auch so kurz vor dem Erscheinungstermin des neuen Guide Michelin wirkt er locker. Dass der 32-Jährige enttäuscht wäre, wenn es am 26. Februar nicht wenigstens für einen Stern reichte, darf man vermuten – aber anmerken lässt er sich nichts. Und warum nicht zwei Sterne? Angesichts der finessenreichen Gänge, in Anbetracht des handverlesenen Teams.
Fast alle seien noch mit dabei, sagt Speinle, und das sei ja keine Selbstverständlichkeit in der Branche. Auch die beiden Souschefs bleiben. John Ho, mit dem Speinle zuvor in London gearbeitet hat, David Pérez aus der Schweiz. Englisch spricht man in der Küche des Lakeside, es passt zur grossen Welt, die Hamburg immer schon sein wollte und immer mehr ist. Spätestens seit der Eröffnung der Elbphilharmonie und seit der Etablierung des dreifach besternten Restaurants des Kochs Kevin Fehling (The Table) schliesst die Hansestadt zu anderen europäischen Metropolen auf.
Im Nachhinein muss man feststellen, dass Speinle längst über die Provinz hinausgewachsen ist. Schlattingen, wo er 2014 mit viel Engagement die Dreizehn Sinne im Huuswurz eröffnete, war wohl doch zwei Nummern zu ländlich. Keiner konnte sich Speinle auf Dauer als Landgasthof-Wirt vorstellen. Jenen Mann, der schon als Grünschnabel in die Höhlen der Löwen geklettert war – ins Basler Les Quatre Saisons, in eines der besten Drei-Sterne-Restaurant Deutschlands, zu einer Londoner Legende, nach Singapur.
Fragt man ihn nach Adressen im asiatischen Stadtstaat, rattert er gleich etliche herunter, Nicht nur die edlen, auch die Insidertipps, die, in denen man nach Mitternacht wunderbar zubereitete Krebse essen kann. Die vibrierende Atmosphäre Singapurs mit seinen bis zum frühen Morgen geöffneten Food Courts, sie lag Speinle. Hamburg kommt da wenigstens ein bisschen ran.