05.11.2022

Perspektive ohne Pause

Interview: Simone Knittel – Fotos: z. V. g,
Das Zehendermätteli ist in Bern eine Institution – eine, die von den Pächtern neu auch im Winter betrieben wird. Was dahintersteckt, erklärt Simon Tauber.
Ein Trio mit klaren Visionen fürs Zehendermätteli: Anna und Simon Tauber (rechts) mit Marcel Geissbühler
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«Wir sehen uns als Gastronomen mit einem Auftrag: Wir möchten die Menschen über gutes, nachhaltig produziertes Essen aufklären.»

Das Zehendermätteli hat den zweiten Sommer mit Ihnen als Pächter und einem frischem Konzept hinter sich. Sind Sie zufrieden?
Simon Tauber: Der Start im letzten Sommer war wie überall in der Schweiz aufgrund der Pandemie sehr schwierig. Bei uns in der Aareschlaufe gab es zudem Überschwemmungen. Aber dieser Sommer hat uns für vieles entschädigt: Das gute Wetter und die vielen Gäste haben uns eine Top-Saison beschert. Vieles pendelt sich langsam ein. Doch es steht schon die nächste Änderung vor der Tür: Wir werden dieses Jahr auch im Winter offen haben.

Wie kam es zu diesem Entscheid?
Meinen Geschäftspartnern Anna Tauber sowie Marcel Geissbühl und mir ist Nachhaltigkeit sehr wichtig. Das Zehendermätteli im Glück soll eine Oase sein, ein vielseitiges Ökosystem, bestehend aus Gastronomie und Landwirtschaft, Kultur und Sozialem. Das bedeutet zum Beispiel, dass wir ehrliches Slow Food anbieten und unser Land nach den Prinzipien der Permakultur betreiben. Es bedeutet aber auch, dass wir uns für Werte wie soziale Gerechtigkeit und Inklusion einsetzen. In unserem Betrieb arbeiten Menschen, die erschwerten Zugang haben zu Gesellschaft und Arbeitsmarkt. Das sind zum Beispiel anerkannte Geflüchtete oder auch Menschen, die in die Langzeitarbeitslosigkeit gerutscht sind. Für sie ist es wichtig, dass wir auch im Winter Perspektiven bieten. Abgesehen davon, ist das Zehendermätteli auch im Herbst und Winter, bei Nebel oder Schnee ein toller Ausflugsort. Ob man bei uns nach einem Spaziergang am Buvette-Fenster einen Kaffee trinken möchte oder mit dem Unternehmen einen Event plant – wir haben ein vielseitiges Angebot, das sich an alle richtet. Unsere Eventlocation im Gewächshaus wurde sogar von Swisslocation ausgezeichnet.

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Wie locken Sie die Gäste im Winter zu sich?
Wir haben ein Fine-Dining-Angebot, für das Jungkoch Benjamin Jann verantwortlich ist. Er hat die Restaurants Essort und Marzer in der Stadt Bern mitgeprägt. Benjamin kocht sehr kreativ aus den Produkten, die Wald, Wiese und Wasser bei uns hergeben, ein tolles Gourmet-Menü zu einem fairen Preis. Letztes Jahr gab es beispielsweise ein Sorbet aus Trüffel (aus dem Wald hinter dem Zehendermätteli) oder aus Tomatenessenz, dieses Jahr steht unter anderem ein Gang mit Quitte, Kürbis und Sanddorn auf der Karte. Fisch und Fleisch gibt es auch, sie stehen aber nicht im Fokus. Bald schlachten wir unsere Schafe, deren Fleisch dann ebenfalls auf der Karte landen wird. Speziell ist auch die alkoholfreie Saftbegleitung, die wir auf Wunsch servieren: Sie besteht aus verschiedenen, hausgemachten Säften.

Hinter Ihrem Konzept steckt eine Menge Arbeit: Landwirtschaft auf vier Hektaren, hausgemachte Produkte, verschiedene Tiere, ein kleiner Fährbetrieb… Hand aufs Herz: Ist das nicht alles sehr viel?
Doch, es ist viel Arbeit und es stellen sich immer wieder neue Herausforderungen. An manchen Prozessen feilen wir beständig, und immer wieder passiert auch Überraschendes. Ein Beispiel: Letztens hat der Fuchs unsere Lauf-Enten, die unseren Garten frei von Schnecken hielten, gefressen. Teilweise arbeiten in unserem Betrieb bis zu 40 Personen, alle mit anderen Aufgaben und in verschiedenen Bereichen. Wir setzen darum auf einen partizipativen Führungsstil und räumen den einzelnen Mitarbeitenden viel Verantwortung ein. Das ist für alle Seiten herausfordernd, aber auch gewinnbringend. Uns treibt auch unsere eigene Motivation an: Wir sehen uns als Gastronomen mit einem Auftrag: Wir möchten die Menschen über gutes, nachhaltig produziertes Essen aufklären und dafür begeistern.

Das Zehendermätteli im Glück liegt wenige Kilometer nördlich von Bern am Waldrand in einer Aareschlaufe. Seit 200 Jahren wird dort gewirtet. Zuletzt wurden die Gasträume 2021 umgebaut und saniert. Anfang 2021 übernahmen die aktuellen Pächter – Simon und Anna Tauber sowie Marcel Geissbühl – den Betrieb. Sie hatten die Eigentümer mit ihrem Konzept überzeugt, das die Bewirtschaftung des Restaurationsbetriebes, aber auch von vier Hektaren Land nach nachhaltigen Prinzipien vorsieht. Unter ihrer Ägide ist das Zehendermätteli erstmals auch im Winter geöffnet. Mehr Informationen dazu gibt es hier.