10.09.2023

Pilze zum Fliegen bringen

Interview: Andreas Bättig – Fotos: z. V. g.
Im Pre-Lab von «The MushRoom» sollen Gastronomen und Gastronominnen die Angst vor Pilzen ablegen. Diese böten eine unglaubliche Vielfalt an Geschmacksrichtungen, sagt Foodscout Dominik Flammer.
Dominik Flammer will den Köchinnen und Köchen die Pilzwelt näher bringen.
0f4a9889-kopie.jpg

«Das Ziel ist es, Pilzen eine neue Bedeutung in der Gastronomie zu geben.»

Wie sind Sie auf die Idee für das Projekt «MushRoom» gekommen?
Dominik Flammer: Die Idee entstand durch eine einfache Frage: Warum führen Pilze ein stiefmütterliches Dasein in der Gastronomie? Uns war klar: das muss man ändern. Auf Initiative von Laurenz Werner durfte ich in Kooperation mit Soil to Soul mit dem «MushRoom» eine Eventserie planen, die sich drei Wochen lang in einem Pre-Lab dem Thema Pilz widmet.

Was ist das Pre-Lab genau?
Im Pre-Lab bieten wir verschiedene Anlässe zum Thema Pilz an: zu Zucht- wie auch zu Wildpilzen, zu edlen Trüffeln wie zu einfachen Champignons ebenso wie zu essbaren Schimmelpilzen auf Käse, Würsten oder anderen Lebensmitteln. Das Ziel ist es, Pilzen eine neue Bedeutung in der Gastronomie zu geben und Köchen und Köchinnen mehr Erfahrung im Umgang mit Pilzen zu ermöglichen. In Zusammenarbeit mit einer Gruppe von Absolventinnen und Absolventen aus der Talentklasse der Kochberufsschule Zürich werden auch neue Pilzrezepte entwickelt. Auf dem Programm stehen zudem eine Pilzexkursion auf den Zürcher Pfannenstiel, ein Zuchtpilz-Seminar mit Lorenzo Falcone, die Herstellung von Pilzwürsten mit Patrick Marxer sowie ein Trüffelworkshop mit Stefan Spahr. Fabian Fuchs und Werner Tobler zeigen, wie man mit Wildpilzen arbeiten kann. Ralph Schelling, Markus Stöckle und Willi Schmid widmen sich dem essbaren Schimmel. Mit dabei sind auch Martin Real, Vivien Bullert, Zizi Hattab, Maurice Maggi und Andreas Bachofner. Ein Höhepunkt werden sicher auch die Tavolatas sein.

An wen richtet sich das Pre-Lab?
An interessierte Köchinnen und Köche aus allen Bereichen, von der Sterneküche bis zur Gemeinschaftsgastronomie. Wir bieten auch Kurse für professionelle Gastronomen und Gastronominnen an, die Gärten haben und Pilze anbauen möchten. Es ist aber auch für private Pilzzüchterinnen und Pilzzüchter interessant.

Warum sind Pilze für die Gastronomie ein solch spannendes Thema?
Sie bieten eine unglaubliche Vielfalt an Geschmacksrichtungen und Texturen. Sie können sowohl in vegetarischen als auch in Fleischgerichten verwendet werden.

Und weshalb haben Pilze bisher ein stiefmütterliches Dasein geführt?
Es gibt eine allgemeine Angst vor Wildpilzen und einen Mangel an Wissen darüber. In der Schweiz ist es sogar verboten, im Land gesammelte Wildpflanzen zu verkaufen. Ausserdem ist erst seit dem 20. Jahrhundert im Zuge der Industrialisierung der Pilz als Bestandteil eines Gerichtes modern geworden. Vorher hat man Pilze kaum gegessen. Sie lieferten schlicht zu wenige Kalorien.

Austern-Seitlinge sind in der Küche zurzeit sehr in Mode.
Austern-Seitlinge sind in der Küche zurzeit sehr in Mode.
Können vielfältig zubereitet werden und schmecken gut: Die Kaiserlinge.
Können vielfältig zubereitet werden und schmecken gut: Die Kaiserlinge.

Welche Pilze liegen heute im Trend?
Die ersten Trendpilze waren Trüffel und Morcheln, die durch die französische Küche bekannt geworden sind. Dann folgte der erste europäische Zuchtpilz, der Champignon. Heutzutage ist das Angebot an Pilzen gross. In Mode sind der Shiitake oder der Austern-Seitling sowie der Zitronen-Seitling. Die vegetarische und die vegane Küche haben sicherlich geholfen, Pilze als Fleischersatz populär zu machen.

Was fasziniert Sie persönlich an Pilzen?
Mein Vater war ein führender Mykologe, als Kinder waren wir mit ihm fast immer im Wald unterwegs. Als Arzt hat er zudem ein Standardwerk über Giftpilze und Pilzvergiftungen herausgegeben. Ich selbst sammle heute noch regelmässig Wildpilze und möchte nun endlich auch mehr über Zuchtpilze lernen. Pilze wie der Kaiserling oder der Parasol sind einfach faszinierend. Sie bieten eine Vielzahl von Geschmacksrichtungen und können in der Küche auf vielfältige Weise verwendet werden. Auch beim Thema Foodwaste können Pilze ihren Beitrag leisten. So arbeitet etwa die Appenzeller Brauerei daran, ein Substrat aus Biertreber, einem Nebenprodukt des Bierbrauens, zu entwickeln, auf dem Pilze gezüchtet werden können.

Was ist Ihr liebstes Pilzgericht?
Ich selbst bereite gerne den Parasol zu, das ist ein Riesen-Schirmling. Ich paniere ihn und brate ihn in Butter. In der Regel findet niemand heraus, dass dieses «Schnitzel» ein Pilz ist. Eines der besten und dekadentesten Pilzgerichte durfte ich im Piemont verkosten. Auf den Tisch kam ein gebratener Kaiserling mit einem Hauch von weissen Albatrüffeln. Ein sensationelles Geschmackserlebnis, an das ich mich noch heute gerne erinnere.

Das Projekt «MushRoom»
Ob wild gewachsen wie Trüffel, Steinpilz oder Morchel oder gezüchtet wie Zitronen-Seitling, Igelstachelbart oder Shimeji: Pilze weisen eine grosse aromatische Geschmacksbreite auf und erweitern das kulinarische Angebot. Auf Initiative von Laurenz Werner und umgesetzt von der Zürcher Agentur Public History Food in Kooperation mit Soil to Soul, entsteht mit dem «The MushRoom» temporär ein Ort, an dem junge Köche und Köchinnen sowie auch Profis tief ins Thema Pilze eintauchen und sich mit deren Vielfalt vertraut machen können. Ziel der Initiative ist es, Pilzen in den Küchen zu mehr Beachtung zu verhelfen und ihr grosses Nachhaltigkeitspotenzial aufzuzeigen.

In einem ersten Schritt findet vom 26. September bis 14. Oktober das «The MushRoom Pre-Lab» statt. In dessen Rahmen entwickelt eine Gruppe von Absolventinnen und Absolventen der Talentklasse der Kochberufsschule Zürich neue Pilzrezepte. Zudem werden zum Pre-Lab regelmässig Köchinnen und Köche aus namhaften Restaurants der Schweiz eingeladen, um ihre Erfahrungen einzubringen und neue Produkte kennenzulernen. Mit ihnen und verschiedenen Pilzprofis geht es auf Pilztouren und zur Trüffelsuche, gibt es Workshops zu Zucht-, Wild- und Schimmelpilzen. Ausserdem stehen in drei Zürcher Lokalen Tavolatas auf dem Programm: mit Fabian Fuchs am 30. September in der Neuen Taverne, mit Markus Stöckle am 7. Oktober im Rosi und mit Zizi Hattab am 14. Oktober im Dar.

Im Herbst 2024 wird das Projekt «The MushRoom» dann im Rahmen von Soil-to-Soul der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Ein Schwerpunkt des Symposiums Ende Oktober nächsten Jahres wird auf dem Thema Pilze liegen.

Weitere Informationen zum Projekt sowie die Möglichkeit, sich anzumelden, gibt es online.
sotoso.com/events/the-mushroom

Zur Person
Dominik Flammer beschäftigt sich seit Jahren mit der Geschichte von Lebensmittel, deren Verbreitung sowie mit den Trends in der Lebensmittelbranche. Als Foodscout ist er für Profiköche und Delikatessenhändlerinnen rund vier Monate im Jahr weltweit auf der Suche nach traditionellen oder neuen und innovativen Zutaten, Produkten und Herstellungsverfahren oder Zuchtformen. Zudem bildet Flammer Berufsköchinnen sowie Ein- und Verkäufer grosser Handelsketten aus und leitet seit zehn Jahren Kurse, Seminare und Workshops in den Bereichen Gewürze, Fleisch- und Wurstwaren, Getreide und Brote, Milchprodukte, Fische und Meeresfrüchte, Wildkräuter und Wildpflanzen, Früchte und Gemüse sowie über Herstellungsverfahren und Produktionstechniken der Lebensmittelherstellung.