«Wir wissen eine Menge über Cabernet, Merlot und Chardonnay, aber nur wenig über die Kaffeesorten.»
Es war auf einem Flug von London nach Zürich. Şeyma Baş blätterte in einem Kaffeemagazin und staunte nicht schlecht: Was sie da las, war der Weinexpertin verblüffend vertraut. «Die beschäftigen sich mit den gleichen Fragen wie wir», erkannte sie – und beschloss, die Parallelen von Wein und Kaffee genauer unter die Lupe zu nehmen. In Philipp Schallberger fand sie bald einen ebenso kompetenten wie neugierigen Partner von der «Gegenseite»: Seither diskutieren die beiden über «ihre» Getränke. Darüber, was diese ausmachen, darüber, wie Klima, Böden oder Handelsstrukturen auf sie wirken, vor allem jedoch über den Fermentationsprozess. Aber dazu später.
Dass nicht nur Baş und Schallberger, sondern ganze Branchen über die Analogie von Wein und Kaffee nachdenken, liegt primär am Siegeszug der sogenannten Spezialitätenkaffees. Für diese kommen nur einwandfreie Bohnen von der Farm zum Rohkaffeehändler, der die Qualität physikalisch und sensorisch prüft. Der Röster erhält die Wertigkeit der Bohne, ein geschulter Barista sorgt für die optimale Zubereitung. Mit dem Resultat in der Tasse lassen sich Tastings bestreiten, die einer Weindegustation in nichts nachstehen. «Wenn wir Kaffee und Wein vergleichen», sagt Schallberger, «reden wir sinnvollerweise von Spezialitätenkaffee.»
Erste Ähnlichkeiten liegen auf der Hand: Beide sind Genussmittel und Naturprodukte, bei denen das Terroir eine tragende Rolle spielt und von denen diverse Varietäten existieren. «Wir wissen eine Menge über Cabernet, Merlot und Chardonnay, aber nur wenig über die Kaffeesorten», sagt dazu Baş und führt die lange Tradition des Weinbaus in Europa an. «Wir wachsen in einer Gesellschaft auf, die dem Wein nahesteht. Entsprechend gehört es zumindest in der gehobenen Gastronomie zum guten Ton, einen Sommelier einzustellen, der dem Produkt gebührend Aufmerksamkeit schenkt.»
Dazu kommen kurze Lieferketten: Oft verkauft der Winzer sein Produkt direkt, und selbst in der Massenproduktion, für die der Wein in Containern transportiert und erst am Verkaufsort abgefüllt wird, profitiert man vom Image der Nahbarkeit. Kaffee aber stammt von weither, wird überwiegend in Schwellen- oder Entwicklungsländern kultiviert, ist kaum fassbar. Über 20 Millionen Kleinbauern verkaufen ihre Früchte ohne Bezug zum Endprodukt. «Eine personifizierte Herkunft gibts da nicht», sagt Schallberger. Immerhin: Mit dem Spezialitätenkaffee kam etwas Schwung in die Chose, ein Koffeinboost nach langen schläfrigen Jahren. Seit sich der Begriff über die Kafi-Nerds hinaus eingebürgert hat, loben auch immer mehr Kaffeeverkäufer Herkunft und Varietät ihres Produkts aus.
Schallberger findet, dass die Branche beim Marketing oft auf eine falsche Karte setzt: «Sie kommuniziert die Entwicklungsseite, betont Fair Trade und Bio, ohne ein Wort über die Qualität zu verlieren», sagt er. Die Basler Kaffeemacher, zu denen er gehört, beschreiten einen anderen Weg. Sie besitzen eine Farm in Nicaragua und decken die Kette vom Kultivieren der Pflanze bis zum Rösten ab. «Wir können die Geschichte der Herkunft also erzählen. Aber wir wollen unseren Kaffee über die Qualität positionieren.» Vorbild ist erneut der Wein. Bei dessen Einordnung zählt in erster Linie die Güte: gemessen etwa in Parker-Punkten, nicht in Labels. «Wenn wir wollen, dass die Gesellschaft Kaffee als so hochwertiges Genussmittel wie Wein anerkennt, müssen wir anfangen, über Qualität zu reden: Er muss gut schmecken», bringt es Schallberger auf den Punkt.
Und da wären wir beim liebsten Thema der beiden Profis für Trinkkultur: der Qualität respektive damit verbunden dem Fermentationsprozess, der den Charakter von Wein und Kaffee prägt. Tatsächlich weiss man exakt, wie sich ein Wein mittels Fermentation lenken lässt. Was jedoch passiert, wenn die entpulpten Kaffeefrüchte im Wasserbad liegen? «Das ist leider nicht so klar», sagt Schallberger. Fakt ist: 99 Prozent der Kaffees vergären spontan, während fast alle Weine mit zugegebener Hefe gesteuert fermentieren. «Die Kaffeebranche ist sich kaum bewusst, welches Potenzial in diesem Schritt steckt, dass man damit wirklich am Geschmack des Endprodukts schrauben kann», bedauert der Röster.