«Vom Spezialisten zum Generalisten, dahin geht auch der Trend in der Ausbildung.»
Restaurants, wie wir sie heute kennen, existierten vor dem 19. Jahrhundert keine. Spitzenköche hingegen schon, doch beschränkte sich ihr Einsatzgebiet auf die Privatresidenzen Adeliger, während das Gemeinvolk seine Suppe selbst kochte oder sie in einfachen Schenken löffelte. Dann kam die Französische Revolution und mit ihr der Niedergang der Aristokratie, die viele Privatköche um ihren Job brachte – und auf die Idee, es mit Gaststätten für den neuen Mittelstand zu versuchen. Die Geburtsstunde der modernen Restaurants stellte Köche vor Herausforderungen: Speisen mussten nicht nur schneller am Tisch, sondern unterschiedliche Gerichte auch gleichzeitig fertig sein. Es war Auguste Escoffier (1846–1935), der dem noch jungen Gastgewerbe mit einer neuen Küchenstruktur zu mehr Effizienz verhalf. Sein Prinzip der Küchenbrigade basiert auf militärischen Strukturen und weist jedem Küchenmitglied eine Funktion und damit verbundene, klar abgesteckte Aufgabengebiete zu. Auf diesen «Posten», so die Idee, arbeitet ein Koch effizienter, weil er sich nicht an mehreren Fronten verzettelt. Seit Escoffier hat sich viel verändert.
Was von der klassischen Brigade übrig blieb, ist heute hauptsächlich in der Luxushotellerie oder in Grossbetrieben anzutreffen. «Es sind maximal 20 Prozent der Betriebe, die sich eine Brigade von zehn und mehr Spezialisten leisten können», sagt Spitzenkoch André Jaeger. «In der übrigen Gastronomie braucht es heute Allrounder. Dabei denke ich an die unzähligen Schaffer jenseits der Pinzettenküche, die täglich den Spagat zwischen verschiedenen Aufgaben meistern und dabei grossartige Arbeit leisten.» Vom Spezialisten zum Generalisten, dahin geht auch der Trend in der Ausbildung, weiss Mischa Pfeuti, Küchenchef und Dozent an der Schweizerischen Hotelfachschule Luzern (SHL): «Flexibilität ist heute das A und O. Entsprechend vielseitig werden Kochlernende ausgebildet – in der Hoffnung, ihnen damit alle Türen offen zu halten.»
Chef de Cuisine
Kaum ein Posten hat sich in den vergangenen Jahren so stark verändert wie der des Küchenchefs. «Früher war die Brigade nicht unbedingt ein Team», sagt Robert Speth, der mit seiner Chesery zur Ikone der Gstaader Spitzengastronomie wurde. «Der Chef bestimmte, der Rest führte aus.» André Jaeger, ein weiterer Altmeister seiner Garde, erinnert sich an seine Kochlehre im Hotel Beau-Rivage Palace in Lausanne. «Küchenchefs», so der 73-Jährige, «waren Grandseigneurs. Sie schrieben Menüs und Abläufe, delegierten die Arbeit und beschränkten ihren Aufenthalt in der Küche auf Kontrollzwecke.» Diese Autorität bröckelt. «Die Jungen wachsen demokratischer auf, sind es gewohnt, mitbestimmen und sich einbringen zu können», sagt Christian Kuchler, Küchenchef in der Taverne zum Schäfli in Wigoltingen. «Dieses Bedürfnis prägt auch ihre beruflichen Ansprüche, und das muss berücksichtigen, wer als Arbeitgeber attraktiv sein will.» Er selbst, sagt der 35-Jährige, habe seine Sporen mehrheitlich dort verdient, wo nach streng hierarchischer Manier gearbeitet worden sei. Obwohl er anders führe und Jungköche mitentscheiden lasse, erwarte er von ihnen die Bereitschaft, sich unterzuordnen, wenn es die Situation verlange. Als Küchenchef vom hohen Ross zu steigen, sei eine schlichte Notwendigkeit, sagt Speth: «Heute braucht der Küchenchef einen Bezug zum Gast, um erfolgreich zu sein. Dafür muss er mit ihm in Berührung kommen, es reicht nicht, Dirigent im Hintergrund zu sein.» Fachwissen und handwerkliches Können genügten ausserdem nicht mehr, ergänzt Jaeger: «Ein Küchenchef muss gut kommunizieren und Menschen einschätzen können.» Und damit höre es nicht auf: «Wareneinkauf, Hygienekonzepte, Preiskalkulation, Produktedeklarationen, Dienstpläne: Das alles lastet auf seinen Schultern. Es braucht Organisationstalent, um im Papierkram nicht zu ersaufen.» Wer sehr jung in diese Rolle gerate, sei damit nicht selten überfordert.
Souschef
Er übernimmt das Zepter bei Abwesenheit des Küchenchefs, koordiniert die Posten und ist das Bindeglied zwischen Chef und Teammitgliedern: der Souschef. Was muss ein Koch auf dieser Position mitbringen? «Ehrgeiz, Kreativität und Sozialkompetenz», sagt Fabrizio Zanetti, Küchenchef im Fünf-Sterne-Hotel Suvretta House in St.Moritz. «Die Person soll auch administrativ stark sein. Bei uns koordiniert der Executive Souschef etwa die Dienstpläne.» Auch Mattias Roock, Küchenchef im Fünf-Sterne-Haus Castello del Sole in Ascona, betont Fachwissen und Führungserfahrung. Küchen- und Souschef müssten ausserdem die gleiche Philosophie teilen: «Sonst wird es schwierig.»