23.06.2020 Salz & Pfeffer 3_4/2020

Postenlauf

Text: Virginia Nolan – Illustrationen: Rolf Willi
Das Prinzip der Küchenbrigade, die jedem Koch eine bestimmte Funktion zuweist, geht auf Auguste Escoffier zurück. Es prägt die moderne Küche, wenn auch in stark abgespeckter Form, bis heute. Wir nehmen die wichtigsten Positionen unter die Lupe.
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«Vom Spezialisten zum Generalisten, dahin geht auch der Trend in der Ausbildung.»  

Restaurants, wie wir sie heute kennen, existierten vor dem 19. Jahrhundert keine. Spitzenköche hingegen schon, doch beschränkte sich ihr Einsatzgebiet auf die Privatresidenzen Adeliger, während das Gemeinvolk seine Suppe selbst kochte oder sie in einfachen Schenken löffelte. Dann kam die Französische Revolution und mit ihr der Niedergang der Aristokratie, die viele Privatköche um ihren Job brachte – und auf die Idee, es mit Gaststätten für den neuen Mittelstand zu versuchen. Die Geburtsstunde der modernen Restaurants stellte Köche vor Herausforderungen: Speisen mussten nicht nur schneller am Tisch, sondern unterschiedliche Gerichte auch gleichzeitig fertig sein. Es war Auguste Escoffier (1846–1935), der dem noch jungen Gastgewerbe mit einer neuen Küchenstruktur zu mehr Effizienz verhalf. Sein Prinzip der Küchenbrigade basiert auf militärischen Strukturen und weist jedem Küchenmitglied eine Funktion und damit verbundene, klar abgesteckte Aufgabengebiete zu. Auf diesen «Posten», so die Idee, arbeitet ein Koch effizienter, weil er sich nicht an mehreren Fronten verzettelt. Seit Escoffier hat sich viel verändert.

Was von der klassischen Brigade übrig blieb, ist heute hauptsächlich in der Luxushotellerie oder in Grossbetrieben anzutreffen. «Es sind maximal 20 Prozent der Betriebe, die sich eine Brigade von zehn und mehr Spezialisten leisten können», sagt Spitzenkoch André Jaeger. «In der übrigen Gastronomie braucht es heute Allrounder. Dabei denke ich an die unzähligen Schaffer jenseits der Pinzettenküche, die täglich den Spagat zwischen verschiedenen Aufgaben meistern und dabei grossartige Arbeit leisten.» Vom Spezialisten zum Generalisten, dahin geht auch der Trend in der Ausbildung, weiss Mischa Pfeuti, Küchenchef und Dozent an der Schweizerischen Hotelfachschule Luzern (SHL): «Flexibilität ist heute das A und O. Entsprechend vielseitig werden Kochlernende ausgebildet – in der Hoffnung, ihnen damit alle Türen offen zu halten.»

Chef de Cuisine
Kaum ein Posten hat sich in den vergangenen Jahren so stark verändert wie der des Küchenchefs. «Früher war die Brigade nicht unbedingt ein Team», sagt Robert Speth, der mit seiner Chesery zur Ikone der Gstaader Spitzengastronomie wurde. «Der Chef bestimmte, der Rest führte aus.» André Jaeger, ein weiterer Altmeister seiner Garde, erinnert sich an seine Kochlehre im Hotel Beau-Rivage Palace in Lausanne. «Küchenchefs», so der 73-Jährige, «waren Grandseigneurs. Sie schrieben Menüs und Abläufe, delegierten die Arbeit und beschränkten ihren Aufenthalt in der Küche auf Kontrollzwecke.» Diese Autorität bröckelt. «Die Jungen wachsen demokratischer auf, sind es gewohnt, mitbestimmen und sich einbringen zu können», sagt Christian Kuchler, Küchenchef in der Taverne zum Schäfli in Wigoltingen. «Dieses Bedürfnis prägt auch ihre beruflichen Ansprüche, und das muss berücksichtigen, wer als Arbeitgeber attraktiv sein will.» Er selbst, sagt der 35-Jährige, habe seine Sporen mehrheitlich dort verdient, wo nach streng hierarchischer Manier gearbeitet worden sei. Obwohl er anders führe und Jungköche mitentscheiden lasse, erwarte er von ihnen die Bereitschaft, sich unterzuordnen, wenn es die Situation verlange. Als Küchenchef vom hohen Ross zu steigen, sei eine schlichte Notwendigkeit, sagt Speth: «Heute braucht der Küchenchef einen Bezug zum Gast, um erfolgreich zu sein. Dafür muss er mit ihm in Berührung kommen, es reicht nicht, Dirigent im Hintergrund zu sein.» Fachwissen und handwerkliches Können genügten ausserdem nicht mehr, ergänzt Jaeger: «Ein Küchenchef muss gut kommunizieren und Menschen einschätzen können.» Und damit höre es nicht auf: «Wareneinkauf, Hygienekonzepte, Preiskalkulation, Produktedeklarationen, Dienstpläne: Das alles lastet auf seinen Schultern. Es braucht Organisationstalent, um im Papierkram nicht zu ersaufen.» Wer sehr jung in diese Rolle gerate, sei damit nicht selten überfordert.

Souschef
Er übernimmt das Zepter bei Abwesenheit des Küchenchefs, koordiniert die Posten und ist das Bindeglied zwischen Chef und Teammitgliedern: der Souschef. Was muss ein Koch auf dieser Position mitbringen? «Ehrgeiz, Kreativität und Sozialkompetenz», sagt Fabrizio Zanetti, Küchenchef im Fünf-Sterne-Hotel Suvretta House in St.Moritz. «Die Person soll auch administrativ stark sein. Bei uns koordiniert der Executive Souschef etwa die Dienstpläne.» Auch Mattias Roock, Küchenchef im Fünf-Sterne-Haus Castello del Sole in Ascona, betont Fachwissen und Führungserfahrung. Küchen- und Souschef müssten ausserdem die gleiche Philosophie teilen: «Sonst wird es schwierig.»

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Commis de Cuisine
Nach abgeschlossener Kochlehre ist der Commis de Cuisine, der Rang des Jungkochs, der nächste Karriereschritt. In dieser Position soll der Nachwuchs vor allem eins: auf verschiedenen Posten Erfahrungen sammeln. «Ich kann jedem Commis ans Herz legen, sich dafür genug Zeit zu nehmen», sagt Renato Wüst, Executive Chef im Grand Resort Bad Ragaz. Für Wüst bedeutet das, während mindestens zweier Jahre hinter die Kulissen unterschiedlicher Betriebe zu blicken – «und nicht gleich das nächstbeste Beförderungsangebot zum Demi-Chef anzunehmen, nur weil pro Monat 100 Franken mehr locken». Zwar sei die Aussicht auf den schnellen Aufstieg verlockend, viele Jungköche kassierten dafür aber die Rechnung, weil es ihnen an Erfahrung und Fachwissen fehle. «Dann brennen talentierte Leute aus, manche schmeissen den Beruf hin», sagt Wüst. «Das ist schade. Lehrjahre sind keine Meisterjahre.»

Gardemanger
Am Anfang jeder kulinarischen Reise steht der Gardemanger. Traditionell ist er zuständig für die Herstellung von Salaten, kalten Platten und Buffets, Dressings, Terrinen, Galantinen und Pasteten. Mit dem Aussterben des Hors-d’œuvriers hat er auch dessen Zuständigkeitsbereich geerbt: die Vorspeisen. Und weil sich heute die meisten Betriebe keinen internen Metzger leisten, der die Zerlegung ganzer Tiere oder die Portionierung von Fleischstücken übernimmt, springt der Gardemanger auch da in die Bresche. Etwa im Suvretta House St.Moritz. «Der Gardemanger hat bei uns den wichtigsten Posten», sagt Küchenchef Fabrizio Zanetti. «Er verwaltet Fleisch im Wert von mehreren 1000 Franken und koordiniert den Bedarf für verschiedene Outlets.» Planungsgeschick braucht der Gardemanger auch im Grand Resort Bad Ragaz. «Er muss ein Organisationstalent sein», so Executive Chef Renato Wüst. «Er besorgt Fleisch und Fisch für sämtliche Restaurants und hat bei der Planung von Events eine Schlüsselrolle.» Aber auch im Bereich der Kalt- und Vorspeisen fehlt es dem Gardemanger nicht an Herausforderungen, weiss Zanetti: «Es ist anspruchsvoller, einen guten Salat zu machen, als eine Variation von der Wachtel zu kochen. Die grösste Herausforderung liegt darin, das vermeintlich Einfache richtig gut hinzukriegen.»

Saucier
Saucen, Jus, Braten, Grillstücke, Rouladen, Frikassee und Schmorfleisch: Das sind die Hoheitsgebiete des Sauciers. In der gehobenen Gastronomie stand dem Saucier früher ein Rôtisseur zur Seite, zuständig für Braten und Grosses Pièces, also grosse Stücke vom Schlachtfleisch, Wild und Geflügel. Heute stemmt der Saucier diese Aufgaben meist in Eigenregie. Auch der Posten des Poissonniers, der sich um Fischgerichte, Schalen- und Krustentiere kümmert, fällt aus Spargründen oft in sein Aufgabengebiet. Altmeister Robert Speth bedauert diese Entwicklung, vor allem im Fleischbereich: «Die fehlende Spezialisierung hat zur Folge, dass immer weniger Grosses Pièces auf den Tisch kommen. Mit ihnen verschwindet auch das Knowhow über Fleisch. Viele Commis können ein Schweins- kaum von einem Kalbskarree unterscheiden.»

Entremetier
Neue Gesellschafts- und Foodtrends haben unsere Sichtweise aufs Fleisch und die Hierarchie auf dem Teller verändert. Was früher Beiwerk war, rückt ins Rampenlicht. «Dem Entremetier, in der klassischen Küche für Gemüse, Eierspeisen, Kartoffeln, Reis und Teigwaren zuständig, kommt damit eine neue Bedeutung zu», sagt Altmeister André Jaeger. «Früher war der Posten wenig beliebt und unterschätzt.» Die Aufgaben des Entremetiers werden in Zukunft komplexer, ist Jaeger überzeugt: «Denken wir an veränderte Ernährungsgewohnheiten aufgrund von persönlichen Überzeugungen oder Allergien: Da sind individualisierte Lösungen gefragt.» Der Posten habe auch an Kreativität gewonnen: «Nur schon die Vielfalt an wiederentdeckten und neuen Produkten – eine Freude! Die wahre Magie findet nicht mehr in der Fleischküche statt.»

Patissier
Grosses Finale, Krönung, Tüpfelchen auf dem i – Synonyme für das Dessert bewegen sich alle im Bereich der Superlative, und entsprechend sind auch die Erwartungen des Gastes an den letzten Gang. Sie bestenfalls zu übertreffen, ist Aufgabe des Patissiers: Er bäckt Kuchen, Torten und Kleingebäck, bereitet Crèmes, Glacen und Sorbets zu. Patissiers sind gelernte Köche oder haben ihre Ausbildung im Bereich Konditorei-Confisserie abgeschlossen. «Beide Berufssparten bringen für den Job gute Voraussetzungen mit und beherrschen die nötigen Techniken», sagt Mischa Pfeuti, der an der SHL den Bildungsgang Küche leitet. Die Patisserie habe in der Küche eine Sonderrolle: «Sie ist ein Spezialgebiet, das selbst ein versierter Allrounder nicht einfach so mal übernehmen kann. So ist der Posten des Patissiers oft der einzige, auf dem sich selbst kleinere Betriebe einen Spezialisten leisten.»

Tournant
Ein Allrounder, der stets zur Stelle ist: Der Tournant springt ein, wo es ihn braucht. «Diese Funktion übernimmt in der Regel ein erfahrenes Teammitglied, das die Küche kennt», sagt Zanetti. «Eine Carbonara kochen, den Fleischposten übernehmen, Salat machen: Ein Tournant muss alles können. Kein Tag ist wie der andere.» Jungköche scheuten sich zunächst vor dieser Position, weiss Küchenchef Christian Kuchler: «In der Tat ist der Tournant aber eine der spannendsten Positionen, man lernt nicht nur inhaltlich, sondern durch die unterschiedlichen Teamzusammensetzungen auch menschlich sehr viel.»