«Die Zürcher empfingen uns mit offenen Armen.»
Kehren wir zurück an den Anfang Ihrer Kochkarriere: Wie ergatterten Sie als Quereinsteigerin gleich drei Stageplätze bei berühmten Drei-Sterne-Köchen?
Zineb Hattab: Ich schrieb ihnen einen schönen Brief und gab mir viel Mühe, zu zeigen, dass ich das wirklich will. Vielleicht war ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Vielleicht brauchten sie aber auch Leute, die gratis für sie arbeiten. Nur Andreas Caminada fragte mich damals, ob ich meinen Ingenieursjob und die damit einhergehende Stabilität wirklich aufgeben wolle. Das Wichtigste in einer Küche ist die Einstellung. Wenn die nicht gestimmt hätte, wäre ich wohl relativ schnell wieder rausgeflogen. Ich wollte aber wirklich dort sein und nirgendwo sonst.
Jungen Köchen rät man eigentlich davon ab, das Handwerk in der Drei-Sterne-Gastronomie zu lernen.
Ich weiss. Aber ich wollte auch nicht lernen, wie man eine Zwiebel schneidet. Die Schneidetechniken, das wusste ich, konnte ich mir mithilfe von Büchern und Training selbst aneignen. Ich wollte zu Köchen, die eine Vision haben und Dinge bewirken. Massimo Bottura zum Beispiel hat die Sicht der Italiener auf ihr Essen verändert in einem Land, in dem die traditionelle Speisekultur fast schon heilig ist. Ich suchte mir Köche aus, die mich beeindruckten: mit ihren Gedanken oder den Werten, für die sie stehen.
Warum wählten Sie Andreas Caminada?
Sein Restaurant lag in der Nähe meines damaligen Wohnorts. Vor allem aber ist Andreas Caminada sehr konsequent und unglaublich gut organisiert. Es gibt keinen Tag, an dem er nicht 200 Prozent gibt. Ausserdem war ich der Meinung, bei ihm zu arbeiten, sei der beste Weg, um die Schweiz und ihre Produkte kennenzulernen.
Ihre anschliessende Zeit im Cosme in New York bezeichnen Sie als Ihren Master. Wieso?
New York ist hart. Jeder, der das Gegenteil sagt, lügt. Alles ist schnell, man ist immer zu spät, jeder ist gestresst und schlecht gelaunt. Man kann es fühlen, in der Subway und in den Strassen. Auf der anderen Seite ist die Stadt unglaublich aufregend, die kulinarische Vielfalt atemberaubend. Ich hatte nirgendwo mehr zu kämpfen als in den zwei Jahren im Cosme. Aber die Zeit war gut für mich. Auch um zu realisieren, dass ich nicht jeden Tag 300 Gäste bekochen will.
Anfang Jahr eröffneten Sie in Zürich das Restaurant Kle, im wohl ungünstigsten Moment überhaupt, kurz vor einer weltweiten Pandemie. Wie überlebten Sie?
Mein Businessplan war relativ pessimistisch angelegt. Ich rechnete nicht damit, dass wir anfangs viele Gäste haben würden. Die Zürcher empfingen uns aber mit offenen Armen, das Lokal lief sehr gut, bis wir zwei Monate später schliessen mussten. Dank einer Versicherung und der Kurzarbeit kamen wir relativ gut durch diese Periode. Ich war froh, zu dieser Zeit nicht in New York zu sein.
Wie viele andere versuchten Sie sich im Liefergeschäft, hörten aber bald wieder auf. Warum?
Das hatte verschiedene Gründe. Die Fahrer der Lieferdienste stehen unter einem konstant hohen Druck. Auch darum kam das Essen nicht in dem Zustand zum Gast, wie ich mir das wünschte. Dann wählen wir unsere Bauern und Produzenten aus ganz bestimmten Gründen aus. Und diese wollen wir unseren Gästen auch kommunizieren. Im Liefergeschäft ist das nicht möglich. Es war eine gute Erfahrung, um zu erkennen, dass ich das nicht machen will.
Wie nutzten Sie die Zeit, als die Gastronomie stillstand?
Ich schrieb alle Rezepte nieder, die ich während der Eröffnung entwickelt hatte. Und ich dachte darüber nach, wie wir die Wiedereröffnung des Restaurants etwas nachhaltiger gestalten können. Denn während der Eröffnung arbeiteten wir alle sehr hart.
Sie entschieden relativ kurzfristig, im Kle auf tierische Produkte zu verzichten. Wie definieren Sie Ihre Küche?
Ich betrachte sie nicht als vegan. Ich verarbeite die besten Produkte der Saison zu geschmackvollen Gerichten, so gut, wie es mir mit meinem beruflichen Hintergrund möglich ist. Zudem habe ich ein sehr talentiertes Team, das sich einbringt. Ich will meine Persönlichkeit auf den Teller bringen, zeigen, woher ich komme, wo ich gewesen bin und was ich gesehen habe. Mit dem eigenen Lokal fühlte ich einfach, dass ich die Veränderung hin zu einer rein pflanzlichen Küche machen muss.
Erklären Sie.
Ein Restaurant zu eröffnen, ist für mich nicht einfach nur ein Geschäft. Ich habe damit auch einen Einfluss auf die Nachbarschaft oder auf die Lieferanten, bei denen ich einkaufe. Wenn wir einen ehrlichen Blick auf die Dinge werfen, die in der Lebensmittelindustrie passieren, sind wir uns wohl alle einig, dass das nicht okay ist. Zehn Milliarden Menschen können keine Milch von glücklichen Kühen trinken. Wir werden immer mehr, gleichzeitig sollen unsere Lebensmittel immer billiger werden – deshalb wendet die Industrie Methoden an, die einfach nur verrückt sind. Lange habe auch ich diese Fakten ignoriert. Als ich vor der Eröffnung des Kle stand und überlegte, wie viele Kilogramm Fleisch und wie viele Dutzend Eier ich brauchen würde, entschied ich mich für einen anderen Weg.