13.10.2020 Salz & Pfeffer 6/2020

Profi mit Prinzipien

Interview: Tobias Hüberli – Fotos: Njazi Nivokazi
Das Restaurant Kle von Zineb «Zizi» Hattab hat sich innert Kürze zum kulinarischen Hotspot von Zürich gemausert. Im Interview offenbart die 31-Jährige eine klare Haltung: Das Kle ist weit mehr als ein Geschäft.
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«Die Zürcher empfingen uns mit offenen Armen.»

Kehren wir zurück an den Anfang Ihrer Kochkarriere: Wie ergatterten Sie als Quereinsteigerin gleich drei Stageplätze bei berühmten Drei-Sterne-Köchen?
Zineb Hattab: Ich schrieb ihnen einen schönen Brief und gab mir viel Mühe, zu zeigen, dass ich das wirklich will. Vielleicht war ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Vielleicht brauchten sie aber auch Leute, die gratis für sie arbeiten. Nur Andreas Caminada fragte mich damals, ob ich meinen Ingenieursjob und die damit einhergehende Stabilität wirklich aufgeben wolle. Das Wichtigste in einer Küche ist die Einstellung. Wenn die nicht gestimmt hätte, wäre ich wohl relativ schnell wieder rausgeflogen. Ich wollte aber wirklich dort sein und nirgendwo sonst.

Jungen Köchen rät man eigentlich davon ab, das Handwerk in der Drei-Sterne-Gastronomie zu lernen.
Ich weiss. Aber ich wollte auch nicht lernen, wie man eine Zwiebel schneidet. Die Schneidetechniken, das wusste ich, konnte ich mir mithilfe von Büchern und Training selbst aneignen. Ich wollte zu Köchen, die eine Vision haben und Dinge bewirken. Massimo Bottura zum Beispiel hat die Sicht der Italiener auf ihr Essen verändert in einem Land, in dem die traditionelle Speisekultur fast schon heilig ist. Ich suchte mir Köche aus, die mich beeindruckten: mit ihren Gedanken oder den Werten, für die sie stehen.

Warum wählten Sie Andreas Caminada?
Sein Restaurant lag in der Nähe meines damaligen Wohnorts. Vor allem aber ist Andreas Caminada sehr konsequent und unglaublich gut organisiert. Es gibt keinen Tag, an dem er nicht 200 Prozent gibt. Ausserdem war ich der Meinung, bei ihm zu arbeiten, sei der beste Weg, um die Schweiz und ihre Produkte kennenzulernen.

Ihre anschliessende Zeit im Cosme in New York bezeichnen Sie als Ihren Master. Wieso?
New York ist hart. Jeder, der das Gegenteil sagt, lügt. Alles ist schnell, man ist immer zu spät, jeder ist gestresst und schlecht gelaunt. Man kann es fühlen, in der Subway und in den Strassen. Auf der anderen Seite ist die Stadt unglaublich aufregend, die kulinarische Vielfalt atemberaubend. Ich hatte nirgendwo mehr zu kämpfen als in den zwei Jahren im Cosme. Aber die Zeit war gut für mich. Auch um zu realisieren, dass ich nicht jeden Tag 300 Gäste bekochen will.

Anfang Jahr eröffneten Sie in Zürich das Restaurant Kle, im wohl ungünstigsten Moment überhaupt, kurz vor einer weltweiten Pandemie. Wie überlebten Sie?
Mein Businessplan war relativ pessimistisch angelegt. Ich rechnete nicht damit, dass wir anfangs viele Gäste haben würden. Die Zürcher empfingen uns aber mit offenen Armen, das Lokal lief sehr gut, bis wir zwei Monate später schliessen mussten. Dank einer Versicherung und der Kurzarbeit kamen wir relativ gut durch diese Periode. Ich war froh, zu dieser Zeit nicht in New York zu sein.

Wie viele andere versuchten Sie sich im Liefergeschäft, hörten aber bald wieder auf. Warum?
Das hatte verschiedene Gründe. Die Fahrer der Lieferdienste stehen unter einem konstant hohen Druck. Auch darum kam das Essen nicht in dem Zustand zum Gast, wie ich mir das wünschte. Dann wählen wir unsere Bauern und Produzenten aus ganz bestimmten Gründen aus. Und diese wollen wir unseren Gästen auch kommunizieren. Im Liefergeschäft ist das nicht möglich. Es war eine gute Erfahrung, um zu erkennen, dass ich das nicht machen will.

Wie nutzten Sie die Zeit, als die Gastronomie stillstand?
Ich schrieb alle Rezepte nieder, die ich während der Eröffnung entwickelt hatte. Und ich dachte darüber nach, wie wir die Wiedereröffnung des Restaurants etwas nachhaltiger gestalten können. Denn während der Eröffnung arbeiteten wir alle sehr hart.

Sie entschieden relativ kurzfristig, im Kle auf tierische Produkte zu verzichten. Wie definieren Sie Ihre Küche?
Ich betrachte sie nicht als vegan. Ich verarbeite die besten Produkte der Saison zu geschmackvollen Gerichten, so gut, wie es mir mit meinem beruflichen Hintergrund möglich ist. Zudem habe ich ein sehr talentiertes Team, das sich einbringt. Ich will meine Persönlichkeit auf den Teller bringen, zeigen, woher ich komme, wo ich gewesen bin und was ich gesehen habe. Mit dem eigenen Lokal fühlte ich einfach, dass ich die Veränderung hin zu einer rein pflanzlichen Küche machen muss.

Erklären Sie.
Ein Restaurant zu eröffnen, ist für mich nicht einfach nur ein Geschäft. Ich habe damit auch einen Einfluss auf die Nachbarschaft oder auf die Lieferanten, bei denen ich einkaufe. Wenn wir einen ehrlichen Blick auf die Dinge werfen, die in der Lebensmittelindustrie passieren, sind wir uns wohl alle einig, dass das nicht okay ist. Zehn Milliarden Menschen können keine Milch von glücklichen Kühen trinken. Wir werden immer mehr, gleichzeitig sollen unsere Lebensmittel immer billiger werden – deshalb wendet die Industrie Methoden an, die einfach nur verrückt sind. Lange habe auch ich diese Fakten ignoriert. Als ich vor der Eröffnung des Kle stand und überlegte, wie viele Kilogramm Fleisch und wie viele Dutzend Eier ich brauchen würde, entschied ich mich für einen anderen Weg.

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Tostada, Erdnuss-Salsa-Macha und gegrilltes Sommergemüse
Tostada, Erdnuss-Salsa-Macha und gegrilltes Sommergemüse
Albulatal-Kartoffeln, Miso-Mayo und gerösteter Randen-Ketchup
Albulatal-Kartoffeln, Miso-Mayo und gerösteter Randen-Ketchup
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Mais-Tamal und Guajillo-Chili-Crème, mit Nussquark überzogen
Mais-Tamal und Guajillo-Chili-Crème, mit Nussquark überzogen
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Wie profitiert die Köchin Hattab von der Ingenieurin Hattab?
Als Ingenieurin lernt man natürlich Physik und Mathematik, vor allem aber entwickelt man die Fähigkeit, Probleme zu lösen, wenn sie erscheinen. Diese Mentalität wende ich auf meine Küche an. Ich lese viel und bilde mich konstant weiter. Dann baut man als Ingenieurin nicht nur Motoren, sondern lernt auch, in einem Team zu arbeiten – mit unterschiedlichen Persönlichkeiten, aber dem gleichen Ziel. Diese Erfahrung hat mir sicher geholfen. In vielen Profiküchen ist man ja bloss Teil einer Armee. Im Kle ist das nicht so. Bei uns kann jeder seine Persönlichkeit ausleben, muss aber auch kommunizieren, wenn etwas nicht stimmt. Empathie ist wichtig. Aber klar, manchmal ist es herausfordernd, wenn alle so sind, wie sie sind.

Welches Ziel verfolgen Sie mit dem Kle?
Ich will pflanzenbasiertes Essen normalisieren. Viele Leute, die bei uns essen, sagen im Nachhinein, dass sie gar nicht glauben können, dass das vegan war. Oft realisieren sie es zuerst gar nicht. Mir ist wichtig, dass unsere Gäste sich mit dieser Art Küche wohlfühlen und sie vielleicht auch mal daheim ausprobieren.

Sie suchen sich Ihre Lieferanten sehr genau aus.
In Spanien kennen wir den Ausdruck «retroalimentación». Er bedeutet, dass wir uns gegenseitig ernähren. Die Bauern sind vielen unsicheren Faktoren ausgesetzt. Der Punkt ist, dass wir Köche uns ihnen anpassen, also das verarbeiten, was da ist. Ich bevorzuge es, von Menschen zu kaufen statt von Unternehmen oder Marken. Die Produzenten, mit denen wir kooperieren, sind mit Herz und Seele dabei. Und sie arbeiten mehr als Köche, das will was heissen.

Woran erkennt man Ihre Wurzeln in Ihren Gerichten?
Wahrscheinlich an den Farben, wie man sie auch auf einem marokkanischen Markt antrifft. Bei der Kreation eines Gerichtes achte ich zwar nicht auf die Farben, trotzdem wird das Ganze automatisch ziemlich bunt. Geschmacklich ist unser Essen ein Mix aus Marokko und Mexiko. Ich habe zwar keine Wurzeln in Mexiko, aber die Zeit im Restaurant Cosme hatte einen unglaublichen Einfluss. Damals realisierte ich, dass ich die mexikanische Küche nochmals von vorne studieren muss.

Sie kriegten praktisch mit der Eröffnung 14 Punkte von Gault & Millau auf den Weg. Wie gingen Sie damit um?
Wir waren nicht wirklich bereit dafür, sind aber dankbar, die Wertung unterstützt uns. Allerdings koche ich nicht für Punkte, nicht für Sterne und auch nicht fürs Geld, denn als Ingenieurin hatte ich einen besseren Lohn. Ich koche, weil es mich glücklich macht.

Mit Silvio Germann, Marco Campanella und Daniel Zeindlhofer gehören Sie zu einer neuen, sehr erfolgreichen Generation Köche aus der Talentschmiede von Andreas Caminada. Wie erleben Sie den Zusammenhalt untereinander?
Zu dieser Truppe gehören auch noch Dominik Hartmann, Gino Miodragovic, Livio Felber, Ines Triebenbacher und David Hartwig. Wir sind gute Freunde. Einige von uns haben entschieden, bei Andreas Caminada zu bleiben: Er ist sehr gut darin, Talente zu erkennen und sie für sich zu gewinnen. Die anderen sind ausgezogen. Bei mir wusste er immer, dass ich irgendwann mein eigenes Ding machen werde.

Was hat sich mit dem eigenen Restaurant eigentlich für Sie persönlich verändert?
Früher sagte ich grundsätzlich: «Ich bin easy, ich esse alles.» Irgendwann aber fragte ich mich, ob ich das wirklich will. Das bedeutet nämlich, dass es mich nicht kümmert. Mit der Eröffnung des Kles änderte sich meine Sichtweise. Heute kann ich mich in Menschen einfühlen, die eine Wahl getroffen haben: nicht nur für sich selbst, sondern eben auch für die Umwelt und die Gemeinschaft. Ich selbst esse nicht mehr alles, sondern nur noch Lebensmittel, die nach ethischen und biologischen Prinzipien angebaut wurden, von Bauern, die davon auch wirklich leben können. Das Kle passt zu meinem Verständnis von Essen und davon, wie ich für Menschen kochen will.

Zineb «Zizi» Hattab (31) wurde in Barcelona geboren und wuchs an der spanischen Costa Brava auf. Sie studierte Maschinenbau. 2011 zog sie mit ihrem Mann nach Liechtenstein und arbeitete dort während zweier Jahre als Ingenieurin. Damals entdeckte sie ihre Liebe zum Kochen und beschloss, den Beruf zu wechseln. Ab 2014 absolvierte sie Stages bei den Drei-Sterne-Köchen Massimo Bottura (Osteria Francescana, Modena), Josean Alija (Restaurant Nerua, Bilbao) und Andreas Caminada (Schloss Schauenstein, Fürstenau). Unter Letzterem lernte sie weitere drei Jahre, anschliessend wechselte sie 2017 nach New York ins Restaurant Cosme von Enrique Olvera und Daniela Soto-Innes, in dem sie als Executive Souschef die Küchenleitung innehatte. Weitere zwei Jahre später kehrte sie zurück in die Schweiz. Im Januar 2020 eröffnete Hattab in Zürich-Wiedikon ihr eigenes Lokal. Im Restaurant Kle setzt sie auf eine rein pflanzenbasierte Küche.

Restaurant Kle
Zweierstrasse 114, 8003 Zürich
044 548 14 88
restaurantkle.com