13.02.2024 Salz & Pfeffer 1/2024

Raus aus der Bubble!

Interview: Sarah Kohler – Fotos: Stefan Kaiser
Nicole Giger und Violanta von Salis leiten das grösste kulinarische Festival der Schweiz. Mit Food Zurich bieten sie der Gastronomie eine Bühne – und schaffen den Zugang zu einem neuen Publikum.
Leiten Food Zurich als Doppelspitze: Nicole Giger und Violanta von Salis.
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«Wir haben grossen Respekt vor dem Erbe, das wir angetreten haben.» 

Letzten Herbst feierten Sie als Co-Leitung von Food Zurich Premiere. Wie wars?
Violanta von Salis: Es war toll! Dazu haben verschiedene Faktoren beigetragen; das Wetterglück zum Beispiel, vor allem aber das bestehende Team, auf das wir uns verlassen konnten. Da war schon sehr viel Know-how und Wissen vorhanden. Zudem übernahmen wir ein Festival, das gut aufgestellt ist, einen hohen Bekanntheitsgrad geniesst und viel Wohlwollen erfährt. Was uns besonders gefreut hat: So viele Gastronomen und Gastronominnen wie 2023 hatten sich noch nie an Food Zurich beteiligt. Das ist grossartig, zumal wir sehen, wie gross der Aufwand dafür ist. Wir halten das nicht für selbstverständlich. Gleichzeitig ist es genau dieses Engagement, das Food Zurich ausmacht.

Apropos: Inwiefern haben Sie beide das Festival bereits geprägt?
Von Salis: Grundsätzlich wollten wir beide zuerst einmal alles kennenlernen und herausfinden, wie es läuft. Wir haben grossen Respekt vor dem Erbe, das wir angetreten haben. Aber ich finde schon, dass man Nicole rasch herausspüren konnte: Mit ihrer Sprache, ihrer frischen und lebendigen Erzählweise hat sie der Kommunikation ihren Stempel aufgedrückt.
Nicole Giger: Und Violanta hat sich inhaltlich eingebracht: Ohne sie stünde Foodwaste am Festival weniger im Fokus. 2023 führten wir das Foodsave Bankett erstmals im Festivalzentrum an der Europaallee durch – und dieses Jahr rücken wir das Thema mit einem ganzen Foodsave Day noch stärker ins Rampenlicht.
Von Salis: Das ist mir ein grosses Anliegen. Denn genau für solche Themen ist das Festival eine grossartige Plattform.

Warum?
Von Salis: Ein entscheidender Vorteil ist, dass wir mit Food Zurich aus der Bubble von Menschen, die sich ohnehin mit Ernährungs- und Nachhaltigkeitsthemen beschäftigen, herauskommen. Am Standort Europaallee mit seinen Pendlerströmen bewegen wir uns im öffentlichen Raum und haben die Chance, auch Personen anzusprechen, die uns nicht bewusst besuchen. Wie viel der Botschaft am Ende hängen bleibt, lässt sich allerdings natürlich nicht sagen.
Giger: Ich sehe zwei Möglichkeiten: Entweder gestalten wir das Format niederschwellig und holen viele Leute damit ab, oder aber wir legen die Einstiegshürde höher und punkten dafür mit spezifischeren Inhalten. Wir haben uns für ein breites Publikum entschieden – und sind dafür am einen oder anderen Punkt nicht ganz so idealistisch.

Was ist die Quintessenz, die das Publikum aber doch verstehen sollte?
Giger: Dass sich unser Festival der kulinarischen Zukunft widmet. Es geht dabei um eine zukunftsfähige Ernährung von morgen, die zum Wohl von Mensch, Tier und Umwelt ist und den Genuss mit einem bewussten Konsum und Verantwortungsbewusstsein zusammenbringt. Das unterscheidet uns von einem Streetfood-Festival und ist unsere eigentliche Daseinsberechtigung.

Und wie sieht sie denn nun aus, die kulinari- sche Zukunft von Zürich?
Giger: Sie schmeckt gut, ist sicher relativ fleischarm und saisonal ausgerichtet sowie lokal orientiert.

Das gilt aber nicht nur für die Stadt.
Von Salis: Absolut, aber darüber hinaus erheben wir keinen Anspruch auf Einfluss. Und wir sind generell nicht mit dem Zeigefinger unterwegs, sondern bieten im Rahmen des Festivals einfach viele Möglichkeiten, Neues kennenzulernen. Im Zentrum steht immer der Genuss. 

Dieses Jahr wird Food Zurich nicht mehr im Herbst, sondern im Juni stattfinden. Warum?
Von Salis: Das ist das Resultat der Rückmeldungen zahlreicher Akteurinnen und Akteure, die sich das wünschen, weil im September sonst schon viel los ist. Ursprünglich fand das Festival im Sommer statt und wurde dann pandemiebedingt in den September geschoben. Jetzt kehren wir zurück.
Giger: Das ist nicht nur für die Gastronominnen und Gastronomen von Vorteil, die vor der Sommersaison noch etwas frischer sind als danach, sondern auch für unser Team. Die Durchführung im Herbst bedeutete für dieses immer auch, den Sommer durchzuarbeiten.

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Was empfinden Sie in der Festivalorganisation als grösste Herausforderung?
Von Salis: Die Finanzierung ist ein Knackpunkt. Wir sind stark auf Sponsoring angewiesen, ohne Partnerschaften ginge es nicht. Ich glaube, dass sich das Festival da verändern muss. Wir müssen Wege finden, um Geld zu generieren und unser Angebot ein Stück weit zu monetarisieren.

Food Zurich ist also kein Selbstläufer?
Von Salis: Leider nein. Noch nicht!

Sie sind in Zürich beide gut vernetzt. Wie wichtig sind Ihre Kontakte für den Erfolg des Festivals?
Von Salis: Unser Netzwerk ist tatsächlich unser Kapital. Ein weiterer Vorteil ist, dass wir wissen, wie eine Stadt und ihre Verwaltung funktionieren. Damit haben wir beide Erfahrung – ich aus der Eventorganisation, Nicole aus der Politik. Wir kennen die Wege, wir kennen die Leute.

Und Sie kennen einander. Warum haben Sie sich eigentlich zusammen für den Leitungsposten beworben?
Giger: Abgesehen davon, dass Food Zurich davon profitiert, dass wir zu zweit mit verschiedenen Hintergründen breiter aufgestellt sind, hilft es auch, dass wir uns beraten, Sachen spiegeln, gemeinsam eine Lösung suchen und den Druck auf mehrere Schultern verteilen können.

Wann ist der Druck am grössten?
Giger: Für uns vermutlich etwa drei Monate vor dem Festival – wenn die Finanzierung noch nicht vollständig geklärt und das Programm noch nicht komplett bestückt ist. Während des Festivals dann ist es für uns deutlich entspannter als für andere im Team.

Im Rahmen von Food Zurich finden jeweils über 100 Events statt. Können Sie da den Überblick behalten?
Von Salis:
Schwierig (lacht).
Giger: Klar haben wir den!
Von Salis: Aber wir können nicht alles steuern. Wobei wir natürlich versuchen, einen guten Mix an Veranstaltungen fürs Festival zu erreichen.

Und was entscheidet, ob ein Anlass gut läuft?
Giger: Wenn das Publikum die Absenderin kennt, ist das sicher ein Vorteil. Eine Rolle spielen manchmal aber auch banale Aspekte wie der Titel eines Events, ein Bild dazu oder die Location.
Von Salis: Wir versuchen, beratend zu wirken, wenn wir bei einem Format noch Verbesserungspotenzial sehen. Aber am Ende tragen die Veranstalterinnen respektive Veranstalter die Verantwortung und entscheiden selbst über die Ausgestaltung ihres Events.
Giger: Und auch wenn wir einen Teil übernehmen und die Informationen über ganz verschiedene Kanäle streuen, müssen sie ebenfalls kommunizieren, damit ein Anlass läuft – zumal die Teilnahme an Food Zurich bislang kostenlos ist.

Violanta von Salis
Sie ist seit jeher in der Kommunikation und Eventorganisation tätig und betreibt seit über 20 Jahren eine PR-Agentur, wobei sie die Themen Nachhaltigkeit, Ernährung und Genuss seit Anbeginn begleiten: Violanta von Salis (59). Unter anderem fungierte sie sieben Jahre im Stiftungsrat von Blindliecht und verantwortete das Fundraising des Restaurants Blindekuh in Basel. Aktuell koordiniert sie nach wie vor das Biodiversitätsfestival Abenteuer Stadt Natur. Zudem sitzt sie als Co-Präsidentin im Vorstand des Ernährungsforums. Ende 2022 übernahm sie mit Nicole Giger die Leitung von Food Zurich. Von Salis kümmert sich hauptsächlich ums Marketing/Sponsoring und die Umsetzung der Geschäftsführung.

Nicole Giger
Nach dem Germanistikstudium arbeitete Nicole Giger (37) im Journalismus, unter anderem beim Schweizer Fernsehen. Parallel dazu gründete sie den Food-Blog Mags Frisch, mit dem sie die Themen Literatur und Food verbindet. Aus dem Hobby entwickelte sich ein berufliches Standbein, das diverse Mandate generierte. Mit ihrem Einstieg in die Politik als Gemeinderätin machte sich Giger selbstständig. 2019 erschien ihr Kochbuch «Ferrante, Frisch und Fenchelkraut», 2021 gründete sie das Restaurant Venus in ihrer Heimat Zürich-Oerlikon mit. Als Teil der Co-Leitung von Food Zurich kümmert sich Giger seit 2022 überwiegend um die textlichen Belange, Social Media und das Festivalprogramm.

Jetzt bewerben!
Die neunte Ausgabe von Food Zurich findet vom 6. bis 16. Juni statt. Das grösste Foodfestival der Schweiz widmet sich der kulinarischen Zukunft, betreibt in der Europaallee ein Festivalzentrum und fungiert als Plattform für über 100 Veranstaltungen in und um Zürich. 2024 lassen sich diese folgenden Fokusthemen zuordnen: Alpenküche, Simpel, Vergorenes, Gmües, Chuchitisch, Kreislauf, Nachwuchs, Beans, Essthetik und Über den Tellerrand. Gesetzt sind für dieses Jahr das neue B2B-Format Gastrolab am 10. Juni, der Foodsave Day am 14. Juni sowie der Slow Food Market am 8. Juni. Abgesehen davon, läuft aktuell die Ausschreibung: Gastro- nomen, Köchinnen und Produzenten mit einem passenden Projekt oder Event können sich bis am 4. April bewerben. Die Teilnahme ist kostenlos.
foodzurich.com