«Ich bin überzeugt, dass dazu mehr gehört als ein Bart, ein paar Tattoos und schönes Design.»
Nach drei Wochen schmissen Sie Ihre Stage im «Noma» hin. Was war so schlimm?
Simon Schneeberger: Die Ernüchterung. Im Vorfeld hatte ich mich irrsinnig gefreut, und dann merkte ich, dass ich nichts weiter bin als eine billige Arbeitskraft, die Thymianblättchen zupft und Baumnüsse schält. Von 65 Leuten in der Küche sind 45 Praktikanten, die nicht nur ohne Lohn arbeiten, sondern sogar draufzahlen, weil nicht einmal die Logis übernommen wird. Und Kopenhagen ist mindestens so teuer wie Zürich. Ausserdem gabs einen Souschef, der im Gordon-Ramsey-Style die Leute plagte: Von «Schwuchtel» bis «behindert» wurde ich alles genannt. Am 22. September 2014 besuchte mich meine Schwester, um meinen Geburtstag zu feiern, und ich bekam von René Redzepi das Okay, mit ihr essen zu gehen. An besagtem Abend machte mich der Souschef deswegen vor versammelter Belegschaft zur Sau. Ich legte meine Schürze ab, packte meine Messer und kehrte nicht mehr zurück. Auch ein Koch braucht ein Minimum an Sozialkompetenz.
Als Glücksfall entpuppte sich Ihre nächste Station: Im «Studio», sagen Sie, machten Sie mitunter Ihre besten Erfahrungen.
Es war meine erste richtige Erfahrung im Spitzenrestaurant, ja. Ich lernte ungeheuer viel; was die Neue Nordische Küche eigentlich ist, mit all ihren Kräuterölen und ihrer eigenen Art des Anrichtens, was Prozesse, Techniken und Hygienestandards angeht, aber auch menschlich. Küchenchef Torsten Vildgaard fordert seine Mitarbeiter auf eine gute Weise.
Wie denn?
Torsten ist ein zwei Meter grosser Hüne, der einen auf den ersten Blick einschüchtern mag, der aber der liebste Mensch ist, den es gibt. Er ist auf dem Boden geblieben und zollt jedem Respekt.
Sie schwärmen von der Gastroszene Kopenhagens. Was unterscheidet diese von, sagen wir mal, Zürich?
Der grosse Unterschied ist, dass Touristen explizit fürs Essen nach Kopenhagen reisen. Dank des «Noma» gibt es ein Publikum, das für kulinarische Konzepte offen ist, was ganz andere Chancen eröffnet. Ich litt, als es um die Entscheidung ging, in die Schweiz zurückzukehren, ich wollte nicht weg. Aber ich wünschte mir schon immer ein eigenes Lokal. Die Chance hier ist einmalig.
Inwiefern werden Ihre Erfahrungen im Norden ins «Fritz Lambada» in Winterthur einfliessen?
Nordisch ist sicher die Abkehr vom A-la-carte-Angebot. Ich werde das Menü vorgeben – und nirgends festhalten. Für den Schweizer ist das bestimmt eine erste Hürde; dass er nicht selbst entscheiden kann. Mir gehts hauptsächlich darum, dass ich ultrasaisonal und regional arbeiten will.
Ihre magische Grenze liegt bei 50 Kilometern.
Das dürfen Sie so aber nicht schreiben.
Nicht?
Na ja, Sie dürfen schon – ich werde mich nur nicht ganz immer daran halten. Ich will nicht dogmatisch sein, möchte einmal im Jahr meine reifen Bergamotten in Italien kaufen und einmachen, bei Willy Schmid einen Käse holen, der 52 Kilometer weit herkommt, oder meinen Freund Jan Geertsema mit seinen wilden Austern aus Holland einladen, weil ich dazu einen persönlichen Bezug habe. Mein Fokus liegt aber klar auf dem Umkreis von 50 Kilometern, innerhalb dessen ich mein Lieferantennetz aufbaue.
Sie werden auf einiges verzichten müssen.
Richtig, auf Olivenöl oder Zitronen zum Beispiel. Bei den Gewürzen bin ich unschlüssig; ich werde sicher kein Curry auffahren, aber Pfeffer ... Ich weiss nicht, ob ich darauf verzichten kann und möchte. Schwierig ists auch beim Wein: Die Karte wird zu 100 Prozent mit Naturweinen bestückt sein, und dafür reicht das Angebot aus der Schweiz schlicht nicht aus. Meinen nordischen Einfluss erkennt man sicher im Versuch, für gewisse Produkte einen Ersatz zu finden, aber wenns nicht geht, gehts nicht. Was ich nach Winterthur tragen möchte, ist vor allem die Idee des Redzepi in seinen Anfängen: die enge Zusammenarbeit mit den regionalen Produzenten. Ich möchte mit meinen Lieferanten zusammenwachsen.
Wie meinen Sie das?
Ich will effektiv eine Nachfrage schaffen und gemeinsam mit den Produzenten und Lieferanten auch Neues kreieren. Ich möchte die Schweiz aus ihrer Komfortzone führen – ohne jemanden zu bevormunden, sondern indem ich ein Angebot mache.
Zum Beispiel?
In Seuzach gibt es einen Gemüsebauern: Roger Flori. Er begann als Selbstversorger, macht aber so gutes Gemüse, dass er mittlerweile Restaurants beliefert. Ich stehe mit ihm in Kontakt, weil ich möchte, dass er für mich ein Feld mit meinem Saatgut bestellt. Mal schauen, was daraus wird – aber das wäre meine Vision: Anbieter, die eigens für mich produzieren.
Im «Fritz Lambada» wollen Sie Gemüse und Getreide ins Zentrum rücken. Womit beschäftigen Sie sich aktuell?
Bärlauchkapern sind in Kopenhagen längst Standard, und ich möchte sie nun auch hier machen: Sie sind grossartig und regional! Ausserdem werde ich in meinem Restaurant eine Pasta kochen, wenn auch keine im italienischen Sinn, sondern eine aus Birkenrinde. Die hole ich im Wald, trockne sie, blitze sie zu Pulver und mische sie mit Hartweizengriess. Die Teigware schmeckt nach Wald – für mich eine Kindheitserinnerung.
Was Fleisch angeht, haben Sie in Skandinavien eine kritische Haltung entwickelt.
Ich bin ultravorsichtig geworden. Im «Bror» gilt die Noseto- Tail-Devise, die ich grundsätzlich befürworte. Tatsächlich passierte aber Folgendes: Wir kauften einfach Innereien ein. So sollte es nicht sein.
Sondern?
Na, eben von der Schnauze bis zum Schwanz: Man sollte alles verarbeiten. Nicht bloss die billigen Teile. Letzten Dezember verkauften wir im «Bror» etwas mehr als 700 Kilo Rindernacken – ich überschlug das: über 100 Kühe, von denen wir je ein Stück brauchten! Das beelendet mich.
Wie werden Sie es in Winterthur mit Fleisch halten?
Ich setze auf Kleintiere wie Poulet und Kaninchen, vielleicht mal ein Schwein, aber wohl eher nicht. Beim Fisch gibts Wildfang aus Schweizer Seen oder Zucht, je nachdem, da schaue ich mir noch die Produzenten an. Dann so viel Wild wie möglich – und effektiv nose to tail: Ich kaufe ganze Tiere ein und verarbeite sie. Mit allem.
Werden Sie die Leute überfordern?
Eher: fordern. Es wird viel Überzeugungsarbeit brauchen, die Leute an etwas heranzuführen, das sie nicht kennen. Aber die Zeit ist reif. Die Branche bewegt sich, in Zürich passiert viel. Junge Köche, Gastronomen, Unternehmer und Quereinsteiger wagen etwas, kommen aus der Komfortzone raus. Klar, ich bewege mich stark in einem vom Slow-Food-Gedanken geprägten Umfeld, aber ich glaube, dass das Bewusstsein generell wächst: dass sowohl wir Köche als auch wir Konsumenten eine Verantwortung tragen.