04.02.2019 Salz & Pfeffer 1/2019

«Reklamationen sind ein Fest»

Interview: Virginia Nolan – Fotos: Njazi Nivokazi
Der Gast ist König – sie weiss, wie das geht: Zita Langenstein amtet als Butler, mitunter gar bei der Queen. Hauptberuflich ist sie Leiterin Weiterbildung bei Gastrosuisse und wünscht sich, dass ihre Branche zum Vorzeigebeispiel für alle Dienstleister wird.
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«Dienen spielt in sämtlichen Berufen eine wichtige Rolle.»

Schon als Mädchen wollten Sie Butler werden – ein ungewöhnlicher Kindheitstraum.
Zita Langenstein:
Für eine Bauerntochter vielleicht erst recht. Wir haben uns als Kinder oft «Graf Yoster gibt sich die Ehre» angesehen, eine damals beliebte Fernsehserie. Besagter Graf hatte es uns angetan, wir malten uns aus, wie es wäre, auf einem Schloss zu leben. Während meine Freundinnen sich sicher waren, dass Prinzessin werden muss, wer in den Palast ziehen will, ahnte ich, dass es mit dem Krönchen nichts wird. Stattdessen beschloss ich, mir Johann als Vorbild zu nehmen, den Butler von Graf Yoster. Ich sagte meiner Mutter, dass ich Butler werden wolle, sie nickte und meinte: Aha. An meinem Hirngespinst war sie nicht unschuldig: Sie wusste viel über Königshäuser, hatte Bücher und Bildbände. Ich mochte nicht nur die Royals, sondern auch das Kochen und das Servieren – meine Voraussetzungen als Butler schienen mir günstig zu sein.

Das Hirngespinst erwies sich als hartnäckig: Sie waren die erste Frau, die am British Butler Institute in London aufgenommen wurde.
Ja, nachdem man mir 20 Jahre lang einen Korb gegeben hatte, was ich mit Fassung trug. Dass in diesem Beruf keine Frauen erwünscht sind, erwähnten die Absagen nie, dafür sind die Engländer zu höflich. Stattdessen hiess es: Sammeln Sie noch ein bisschen Erfahrung, gehen Sie nach Amerika, in den Fernen Osten, in ein arabisches Land. Ich leistete den Empfehlungen Folge – weil ich diese Erfahrungen sowieso machen wollte – und probierte es jedes Jahr aufs Neue. So kam es, dass ich 2000, 19 Jahre nach meiner ersten Bewerbung, tatsächlich angenommen wurde.

Dienen, sagen Sie, sei nicht nur Aufgabe eines Butlers, sondern auch die wichtigste Fähigkeit eines guten Gastronomen.
Ich würde sagen, Dienen spielt in sämtlichen Berufen eine wichtige Rolle. In der Gastronomie sollten wir allen anderen vormachen können, wie es richtig geht.

Nämlich?
Dienen hat heute nichts mehr mit unterwürfigem Verhalten zu tun. Wobei: Es existiert nach wie vor den Typ Kunde oder Gast, der es schätzt, hofiert zu werden, dann gibt man ihm das. Bei Butlereinsätzen ergeben sich solche Bedürfnisse aus der Vorbesprechung mit dem Kunden.

In der Gastronomie entfällt diese Absprache im Vorfeld meist.
Bei Banketten und anderen Festen haben wir diese Gelegenheit auch im Restaurant, und wir müssen sie gut nutzen. Bei der Frage, was der Gast will, geht es um mehr als das Menü und den Wein: Wünscht er einen zurückhaltenden oder sehr präsenten Service? Will er sich selbst oder seine Gäste ins Zentrum rücken? Je mehr wir wissen, desto angenehmer wird das Erlebnis für den Gast. Im Tagesgeschäft können wir ihm seine Wünsche nicht von den Lippen ablesen, aber wenn wir ihm auf Augenhöhe begegnen, ist schon viel getan.

Auf Augenhöhe begegnen – was heisst das?
Es vollzieht sich in Gesten und Ritualen. Im Service kann das so aussehen: Ich gehe an den Tisch und sage: Guten Abend, ich heisse Zita, ich arbeite hier und darf Sie heute Abend bedienen. Möchten Sie vielleicht einen Aperitif, haben Sie Spezialwünsche? Indem ich mich als Zita vorstelle, schaffe ich Klarheit in der Frage, wie der Gast mich nennen kann, er muss nicht überlegen, soll er nun «Fräulein» oder «Service» rufen, wenn er mich braucht. Das Vorstellungsritual hat weitere Vorteile: Der Austausch mit den Gästen vermittelt mir ein Gefühl davon, wie sie ticken, meine Schwerpunkte setze. Die Kunst jeder Dienstleistung liegt darin, sich über den Kunden zu informieren.

Wie gut beherrschen Schweizer Gastronomen sie?
Es gibt etliche Vorzeigebetriebe und zum Glück auch andere. Denn die Guten brauchen die weniger Guten, um zu merken, dass sie gut sind, und wer Luft nach oben hat, muss sich auch nach oben orientieren können. Ein Blick auf die wichtigsten Bewertungsplattformen zeigt, dass die Schweizer Gastronomen ihre Arbeit insgesamt richtig gut machen, auch im internationalen Vergleich. Da und dort gibt es sicher Nachholbedarf.

Zum Beispiel?
Es betrifft einerseits Themen der Infrastruktur: funktionierendes WLAN, zeitgemässe Fernsehapparate in Hotelzimmern. Andererseits müssen wir uns noch stärker bewusst machen, dass der Umgang mit dem Gast Training erfordert.

Wie soll dieses aussehen?
Jedenfalls reicht es nicht, zu sagen, soundso empfangen wir Gäste, das ist unser Standard. Training braucht Wiederholung. Mit Rollenspielen, zum Beispiel. Ich weiss schon, keiner mag sie, man blamiert sich, findet das Ganze lächerlich. Seit der Butlerschule weiss ich, dass Rollenspiele ihre Berechtigung haben, gerade da, wo es auf bestimmte Verhaltensweisen ankommt. Wenn wir diese proben, aussprechen, uns dabei auch mal verplappern, verinnerlichen wir sie. Was Verhaltensschulung angeht, gibt es in der Gastronomie noch zu tun. Trainieren müssen wir die Besten, die 30 Prozent Top Shots, die jeder Betrieb hat. Sie ziehen die anderen mit.

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Ein Dauerbrenner im gastgewerblichen Alltag sind Beschwerden. Wie gehen wir richtig damit um?
Reklamationen sind ein Fest.

Das müssen Sie erklären.
Eine Reklamation ist nichts Aussergewöhnliches mehr: Die Gäste haben heute so vielfältige Erwartungen, die wir unmöglich alle erfüllen können. Auch, und darauf will ich hinaus, stellt jede Beschwerde eine Chance dar. Analysen zeigen, dass Gäste, die ihre Reklamation aussprechen – selbst wenn sie danach noch immer unzufrieden sind –, dem Betrieb eine höhere Kundentreue entgegenbringen als solche, die ihre Kritik verschweigen. Gäste, die nach ihrer Beschwerde zufriedengestellt sind, erreichen in Sachen Kundentreue sogar noch höhere Werte als Gäste, die nichts zu bemängeln hatten. Sie sehen: Beschwerden sind eigentlich sogar wünschenswert. Wir müssen sie bloss richtig bearbeiten.

Was gilt es dabei zu beachten?
Bei Routinebeschwerden – ich bringe einen Espresso statt einen Café crème – sieht die adäquate Reaktion so aus, dass man dem Gast für den Hinweis dankt, ihn um Entschuldigung bittet und das Richtige bringt. Dann gibt es Fälle, die der Service womöglich nicht im Alleingang lösen, aber entgegennehmen können muss. Ein Beispiel: Das Essen ist tadellos, aber bei meiner Nachfrage stellt sich heraus, dass es den Geschmack des Gastes nicht trifft. Dann sage ich: Vielen Dank, dass Sie das so direkt mitteilen, gerne leite ich diese Information weiter. Gibt es zum Abschluss einen Wunsch, den ich Ihnen erfüllen kann? Die allermeisten Gäste erwarten an dieser Stelle übrigens keine Zugeständnisse, sie freuen sich einfach über die Aufmerksamkeit. Beschwerden, die der Service nicht selbst bearbeiten kann, sind Chefsache. Darunter gibts auch mal Fälle, in denen gerade keiner weiterweiss.

Und dann?
Sollten wir nicht versuchen, unsere Überforderung zu verheimlichen? Ich denke da an einen Fall von letzthin: Ein Gast fand sein Auto in der Hotelgarage mit einer Beule vor. Da bleibt mir als erste Ansprechperson nichts anderes übrig, als ihn wissen zu lassen: Es tut uns sehr leid, mehr können wir im Moment nicht sagen – Sie können sicher sein, dass wir uns darum kümmern. Dann muss schnellstens ein Chef her, der das Gleiche sagt.

Bei Gastrosuisse sind Sie Leiterin Weiterbildung. Wo wird der Branchenverband hier in Zukunft Schwerpunkte setzen?
Blended learning, die Kombination von Kursbesuchen und E-Learning, wird eine immer wichtigere Rolle spielen. Inhaltlich möchten wir sämtliche Themen rund um Auftritt, Service und Kommunikation vertiefen. Mit der Impulstagung Hochgenuss setzt Gastrosuisse zudem einen Schwerpunkt auf das kulinarische Handwerk in der Schweiz. Hier gibt es noch einiges zu tun, was Fachkompetenz betrifft.

Inwiefern?
Produkte entwickeln sich rasant – darum auch die Vielzahl an Sommelier-Lehrgängen, die Gastrosuisse lanciert hat. Es gibt sie in den Bereichen Spirituosen, Wein und Bier, 2018 ist Wasser dazugekommen, dieses Jahr startet der Käsesommelier. Es geht darum, das Potenzial heimischer Produkte besser auszuschöpfen. Die Mehrheit der Betriebe etwa hat kein Käseangebot. Dabei würden schon drei, vier Sorten ausreichen und attraktive Zusatzverkäufe generieren. Aus dem gleichen Grund braucht es bei Wein, Bier und Softgetränken mehr Expertenwissen, und zwar in allen Preissegmenten.

Aus der Innerschweiz in den Buckingham Palace
Zita Langenstein (56) wuchs in Nidwalden auf. Ihren Kindheitstraum, Butler zu werden, legte die Bauerstochter zunächst für eine Lehre als Hotelfachassistentin und eine weitere als Servicefachangestellte auf Eis. 1981 bewarb sich Langenstein erstmals am Butler Institute in London, 2000 wurde sie als erste Frau angenommen. Heute verantwortet Langenstein den Bereich Weiterbildung beim Branchenverband Gastrosuisse, nebenberuflich amtet sie als Butler. Zu ihren Kunden gehört das britische Königshaus, wo sie unlängst mithalf, Prinz Charles’ 70. Geburtstag auszurichten.