Die Eltern selbst blieben tief mit ihrer Herkunft und auch mit ihren kulinarischen Gewohnheiten verbunden.
Prallvoll sind die Feigenbäume im Garten, aus dem verfallenen Glashaus wachsen üppige Bananenstauden, der Blick schweift hinauf zum prächtigen Château Vaumarcus, das die Gegend überragt. Hinter dem Haus donnern im Zehnminutenrhythmus die Neigezüge dem Jurasüdfuss entlang. Und nicht nur der verwilderte und üppige Garten erinnert daran, dass hier einst eine Gärtnerei zu Hause war, auch das Schild an der verwitterten Hausfassade: Horticulteur A. Fruttiger. In dem historischen Häuschen, das einst der lokalen Gendarmerie als Wachposten diente und das noch früher eine Poststation beherbergt hatte, veredeln die Brüder Tomas und Eleuterio Alcala seit bald zehn Jahren bestes Schweinefleisch zu einer aussergewöhnlichen Delikatesse.
Geschichtsträchtig ist nicht nur das Haus, das die beiden für ihre Leidenschaft entdeckt haben, sondern ebenso der Weg, der sie zum Schinken führte. Ihre aus dem spanischen Süden stammenden Eltern kamen in den Sechzigerjahren auf der Suche nach einer Anstellung in die Schweiz und arbeiteten schon kurz darauf in der Kantine der Schuhfabrik Bally. Wenige Jahre später zogen sie nach Neuenburg, wo sie Arbeit in einer Zigarettenfabrik fanden – sowie eine neue Heimat für ihre zwei Söhne. Die Eltern selbst blieben tief mit ihrer Herkunft und auch mit ihren kulinarischen Gewohnheiten verbunden. Nur leider fanden sie in der Schweiz keinen Schinken, wie sie ihn aus der spanischen Kultur mit der lange gereiften Pata Negra kannten, da diese zu jener Zeit aus seuchenpolizeilichen Gründen nicht importiert werden durfte. Vater Alcala kaufte kurzerhand beim lokalen Metzger eine Handvoll Schweinekeulen, leerte das Salzregal im dörflichen Usego-Laden und begann damit, zu Hause den eigenen Schinken herzustellen.
Keine Pata Negra zwar, weil die schwarz-klauigen Schweine Spaniens in der Schweiz nicht zu haben waren, sondern eine Pata Blanca, wie Alcalas Söhne diesen Schinken später taufen sollten. Als die Eltern Mitte der Neunzigerjahre entschieden, nach Spanien zurückzukehren, standen ihre beiden Söhne bereits mitten im Berufsleben. Tomas Alcala hatte eine Lehre als Elektromechaniker hinter sich und einen Fachhochschulabschluss, der acht Jahre jüngere Eleuterio ein Diplom als Betriebswirtschafter an der Universität Neuenburg. Die Rückkehr ihrer Eltern nach Spanien stellte die beiden vor ein Problem: Woher den Schinken nehmen, den ihr Vater über fast drei Jahrzehnte hinweg zu Hause veredelt hatte?
Beide begannen in ihren Häusern, es ihrem Vater gleichzutun, mit dem Schinken der damals jüngst in der Schweiz angesiedelten ungarischen Wollschweine – auch Mangalitza genannt. Vorerst jedoch nur für den Eigenbedarf und für enge Freundinnen und Bekannte. Tomas Alcala verfolgte seine Karriere bei einem französischen Elektrokonzern, sein Bruder war als Manager bei zahlreichen internationalen Firmen tätig. Ihre Schinken machten die Runde, irgendwann begannen die Leute im Umfeld, mehr davon nachzufragen, und eines Tages klingelte bei Tomas Alcala das Telefon: Georges Wenger, der legendäre Koch aus dem jurassischen Le Noirmont, lud ihn zu sich ein, nachdem ihm ein Freund der Familie von diesem Schinken erzählt hatte.
Tomas Alcala strahlt vor Leidenschaft, wenn er die Geschichte davon erzählt, wie er und sein Bruder im Jahr 2009 damit begannen, überhaupt erst Schinken zu verkaufen. Beide blieben noch einige Zeit ihren Arbeitgebern treu, bevor sie den Schritt wagten, ganz auf die Schinkenveredelung umzusatteln. Am 11. Februar 2012 liessen die Alcalas ihre Firma unter dem Namen Jural im Handelsregister des Kantons Neuenburg eintragen. Mit viel Umsicht und noch mehr Eigenleistung restaurierten sie das neu erworbene Haus, kachelten die Arbeitsräume, beschafften sich im Second-Hand-Handel die eine oder andere Maschine und eröffneten im Erdgeschoss einen kleinen Laden, in dem sich heute alles um den Schinken und mittlerweile auch um zahlreiche andere spanisch angehauchte Produkte der beiden innovativen Brüder dreht.