14.06.2022 Salz & Pfeffer 3/2022

Schritt für Schritt

Interview: Sarah Kohler – Fotos: Njazi Nivokazi
Mit 30 ist Marco Campanella bereits Küchenchef von zwei Restaurants. Dabei lässt sich der detailverliebte Koch eigentlich gern Zeit.
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«Heute ist mir klar, was mir persönlich wichtig ist.»

Seit Sie 2018 im La Brezza das Szepter übernommen haben, gab es in Ihrem Team kaum personelle Wechsel: Sie müssen ein toller Chef sein.
Marco Campanella:
Ich glaube, ich bin ein entspannter Chef. Als ich hier als 26-jähriger Jungspund plötzlich ein Team führen sollte, war das natürlich eine Herausforderung. Ich wusste nicht, wie ich mit den Leuten umgehen soll – war ich zu hart, war ich zu wenig hart? Heute ist mir klar, was mir persönlich wichtig ist: ein familiärer Umgang. Und ich hinterfrage mich ständig.

Inwiefern?
Ende Jahr schaue ich zurück und überlege, wie es lief, wie ich mein Team führte, woran es allenfalls mangelte. Ich möchte das auch von meinen Köchen wissen: Sie sollen mit mir reden, wenn sie etwas auf dem Herzen haben, wenn sie etwas stört. Wobei, inzwischen kann ich ja von den Gesichtern ablesen, ob jemand im Team schlechte Laune oder ein Problem hat. Da frage ich nach, über den Job hinaus. Bei uns ist auch Platz, wenn es privat schlecht läuft. Ich habe immer ein Ohr – auch für den Service.

Die Zusammenarbeit zwischen Küche und Service ist ja oftmals ein Thema für sich.
Bei uns läuft sie super, ehrlich. Natürlich gibt es Reibereien, die gehören dazu, aber wir sind ein grossartiges Team und versuchen, einander zu helfen. Mit der Restaurantleiterin Nicole Schneider arbeitete ich schon 2014 bei Ivo Adam im Seven, wir kennen und schätzen uns.

Sie sind in der Gastronomie aufgewachsen, standen als Kind bei Ihren Eltern im Lokal. War denn für Sie immer schon klar, dass Sie Koch werden würden?
Das war es. Ich rannte bereits nach dem Kindergarten zu Papa in die Küche; stellte mich auf einen umgekehrten Bierkasten und durfte am grossen Marmortisch beim Pizzamachen mithelfen. Das war eine so schöne Zeit! Mit meinem Vater in der Küche, aber auch mit meiner Mutter, die hinter dem Tresen arbeitete. Ich habe einen engen Draht zu meiner Familie, nicht zuletzt zu meinem neun Jahre älteren Bruder, der mich immer unterstützt. Er ist mein Vorbild. Wir beide lernten von unseren Eltern ungeheuer viel. Ich erinnere mich zum Beispiel, wie mein Vater jeweils die Tomatensauce ansetzte. Er sagte immer: Es braucht Geduld, wenn es gut werden soll – übereile nichts, nimm dir lieber ein paar Minuten mehr Zeit, denn am Ende zählt, dass das Resultat stimmt. Das beherzige ich auch im La Brezza, und zwar nicht nur beim Kochen.

Sondern?
Zum Beispiel auch, wenn es darum geht, vorwärtszukommen. Wir machen unsere Sache hier gut, aber ich habe durchaus im Kopf, wohin wir damit wollen. Eines Tages möchten wir zwei Sterne haben, 18 Punkte. Aber: Schritt für Schritt. Ich vertraue darauf, dass sich die Dinge entwickeln. Das ist eine Lektion unserer Eltern: nichts überstürzen, nicht alles auf einmal wollen.

Vom italienischen Restaurant, wie es Ihre Eltern und inzwischen Ihr Bruder führen, sind Sie dann aber doch ein rechtes Stück abgekommen. Was hat Sie in die gehobene Gastronomie geführt?
Dass ich hier landen würde, war mir anfangs nicht klar. Die Ausbildung machte ich in einem Familienhotel mit einer schönen, klassisch-schwäbischen Küche: Maultaschen, Sauerbraten, Rehhaxen. Mit der Sterne-Küche kam ich erst danach in Berührung, als ich meinem Bruder ins Hotel Carlton nach St. Moritz und dann hierher ins La Brezza nach Ascona folgte. Hier arbeitete ich eineinhalb Jahre unter Küchenchef Rolf Krapf. Auch er brachte mir eine Menge bei.

Zum Beispiel?
Als ich nach eineinhalb Jahren bei ihm weiterzog, riet er mir: Nimm an den verschiedenen Stationen, die nun kommen werden, immer das Gute mit und lass zurück, was dich nicht weiterbringt. Und so machte ich das: bei Martin Dalsass, bei Ivo Adam, bei Rolf Fliegauf, bei Andreas Caminada. Überall pickte ich heraus, was mir gefiel, und notierte es detailliert in meinem kleinen Buch. Dabei ging es bei Weitem nicht nur um das Kochtechnische. Wie Andreas Caminada seine Leute führt zum Beispiel, beeindruckte mich sehr; wie er sich Zeit nimmt, wie er den einzelnen Mitarbeitenden pusht und wie er erkennt, wer welches Potenzial mitbringt.

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Snacks des Menüs Inspiration (Airbread mit Gambero rosso, schwarze Waffel mit Rinderzungensalat, Tartelette mit Entenpaté, frittiertes Brötchen mit Haxe und BBQ-Chimichurri, mariniertes Radieschen)
 Snacks des Menüs Inspiration (Airbread mit Gambero rosso, schwarze Waffel mit Rinderzungensalat, Tartelette mit Entenpaté, frittiertes Brötchen mit Haxe und BBQ-Chimichurri, mariniertes Radieschen)
Mit Restaurantleiterin Nicole Schneider sorgt Marco Campanella für eine gute Zusammenarbeit ihrer Teams.
Mit Restaurantleiterin Nicole Schneider sorgt Marco Campanella für eine gute Zusammenarbeit ihrer Teams.
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Rotmeerbrasse, Spargel, Zitrus
Rotmeerbrasse, Spargel, Zitrus
Black Cod, Erbse, Lardo
Black Cod, Erbse, Lardo
Sie erinnern sich gut und gern an ihre Kindheit in der Gastronomie: Marco Campanella und sein Bruder Tommaso im Garten von dessen Osteria da Ketty & Tommy in Ascona.
 Sie erinnern sich gut und gern an ihre Kindheit in der Gastronomie: Marco Campanella und sein Bruder Tommaso im Garten von dessen Osteria da Ketty & Tommy in Ascona.
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Rhabarber, roter Shiso, Buttermilch
Rhabarber, roter Shiso, Buttermilch
Petits fours des Menüs Inspiration (Mini-Berliner mit Giandujacrème, Schokoladenpraliné mit Früchteteeganache, Crème caramel mit Erdnusssablé, Tiramisù-Keks, Schokoladenbombe mit Limoncello)
 Petits fours des Menüs Inspiration (Mini-Berliner mit Giandujacrème, Schokoladenpraliné mit Früchteteeganache, Crème caramel mit Erdnusssablé, Tiramisù-Keks, Schokoladenbombe mit Limoncello)
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Sie lernten also bei sehr starken, prägenden Küchenchefs: Woran erkennt man heute Ihre eigene Handschrift?
Das ist gar nicht so einfach. Gerade in meinen Anfängen hier hörte ich oft, man sehe auf dem Teller, dass ich von Andreas Caminada komme. Im Prinzip ist das ja etwas Gutes. Wenn eine Sauce, wie wir sie bei Rolf Fliegauf zubereiteten, toll war, machen wir sie im La Brezza natürlich ebenfalls so – aber eben doch ein bisschen anders.

Haben Sie dafür ein konkretes Beispiel?
Nehmen wir die Jus, für die Rolf Fliegauf fünf Tage aufwendet. Erst röstet er die Knochen an, ganz langsam, dann den Ochsenschwanz, löscht mit Rot- und Weisswein ab. Es folgt der Kalbsbauch mit viel Gemüse, anschliessend kommen karamellisierte Zwiebeln dazu. Im fünften Durchgang erfolgt das Finishing mit Essig, Butter, Rosmarin. Bei uns ist an diesem Punkt aber nicht Schluss. Wir machen einen zusätzlichen Ansatz mit Gemüse und Fleischresten und fügen ausserdem etwas von unserem Grundansatz mit Knollensellerie zur Jus hinzu. So wird diese sehr intensiv. Mir ist wichtig, dass bei aller Leichtigkeit, die meine Küche auszeichnet, in den Geschmäckern richtig Power steckt. Dafür investieren wir viel Zeit.

Das sei, sagen Sie, insbesondere auch in der veganen Küche ein wichtiges Thema.
Allerdings, vegane Gerichte muss man deswegen ganz anders denken. Ich beschäftige mich mit dem Thema seit 2019 intensiv, als das Konzept Moving Mountains für die Betriebe der Tschuggen Hotel Group entwickelt wurde, in dem auch die Ernährung eine wichtige Rolle spielt. Seither steht bei uns immer auch ein veganes Menü auf der Karte. Besonders viel darüber lernte ich während meiner Stage im Lafleur in Frankfurt, in dem Andreas Krolik als erster Koch für eine rein vegane Küche zwei Sterne erhielt. Er lehrte mich vor allem, wie viel Zeit die fleischlose Küche braucht – und wie viel mehr Produkte.

Was heisst das?
Für zwei Liter seiner veganen Jus verarbeitet er 15 Kilo Knollensellerie. Das ist doch der Wahnsinn! Oder ein anderes Beispiel: In unserem Pilzfond stecken stolze 30 Kilo Pilze. Das versuchen wir den Gästen zu vermitteln: Ein Gemüsefond kann so gut schmecken wie einer auf Fleischbasis, schön umami und kraftvoll – aber darin steckt enorm viel Produkt, Zeit und Reduktion.

Lassen Sie uns zum Schluss noch in den Winter blicken: Dann bespielen Sie mit Ihrem Team jeweils das La Brezza in Arosa. Worin unterscheidet sich Ihre Küche da von dem, was Sie hier im Tessin tun?
Der Ansatz bleibt gleich, aber die Produkte sind anders. Als wir 2020 in Arosa starteten, fand ich es eine sehr schöne Aufgabe, auch mit Lebensmitteln wie Schwarzwurzel, Topinambur, Kürbis und Co. einen eigenen Stil zu finden. Ausserdem ging mit dem zweiten Restaurant für mich ein lange gehegter Traum in Erfüllung. Jetzt möchte ich das so, wie es ist, einfach mal ein paar Jahre durchziehen. Und währenddessen in der Küche jeden Tag tüfteln ... damit wir uns stetig entwickeln, immer weiter.

Marco Campanella wuchs auf der Nordseite des Bodensees auf und stand dort schon als Kind in der Restaurantküche: Seine Eltern führten ein auf apulische Gerichte spezialisiertes Lokal. Die Ausbildung absolvierte Campanella in einem Vier-Sterne-Hotel mit klassisch schwäbischer Kost. Anschliessend folgte er seinem neun Jahre älteren Bruder Tommaso in die Schweiz, erst ins Hotel Carlton in St. Moritz, dann – erstmals – ins Eden Roc in Ascona. Unter Küchenchef Rolf Krapf stand er hier eineinhalb Jahre am Herd. Anschliessend sammelte er bei mehreren Meistern des Fachs Erfahrungen: bei Martin Dalsass im Talvo, bei Ivo Adam im Seven, bei Andreas Caminada im Schloss Schauenstein (sowie zuletzt als Souschef in dessen Igniv) und bei Rolf Fliegauf im Giardino. Seit 2018 amtet Campanella nun als Küchenchef im La Brezza, dem Gourmetrestaurant des Eden Roc. Seine Küche ist inzwischen mit einem Stern sowie 17 Punkten dotiert. Seit Ende 2020 verantwortet er mit seinem Team zudem die Küche des La Brezza im Schwesterbetrieb Tschuggen Grand Hotel in Arosa. Campanella ist 30 Jahre alt, verheiratet und wird im Herbst zum ersten Mal Vater.

Hotel Eden Roc
Restaurant La Brezza
Via Albarelle 16,6612 Ascona
091 785 71 71
edenroc.ch