«Selbst Diätköchen fällt es schwer, auf Butter und Panaden zu verzichten.»
Es ist Montag, zehn Uhr morgens. Eine Servicemitarbeiterin des Kloster-Cafés der Klinik St. Pirminsberg rupft weisse Blüten mit rosa Rändern aus einem Rosenbouquet und verteilt sie grosszügig auf den zusammengeschobenen Tischen. Derweil gibt sich das Brautpaar, zwei ehemalige Patienten, in der barocken Klosterkirche nebenan das Jawort. Ihr Freudentag könnte ein Symbol sein für eine von ihren Stigmata befreite Psychiatrie – wenn sie denn befreit wäre. Die negativen Bilder einer Psychiatrie, die es so heute nicht mehr gibt, halten sich jedoch hartnäckig in den Köpfen. Und das, obwohl Deckelbäder, Zwangsjacken und Co. längst in den Museen Staub ansetzen. Die Vision der Psychiatrie-Dienste Süd, zu denen auch die 1847 gegründete Klinik St. Pirminsberg gehört, lautet deshalb: «Wir entstigmatisieren die Psychiatrie.»
Die Klinikgastronomie leistet dazu ihren Beitrag; Essen ist ein wichtiger Teil des Behandlungskonzepts. Seit nunmehr gut einem Jahr arbeitet die Klinik nach der Vita-Food-Philosophie, sprich mit Lebensmitteln, welche die Seele wärmen, den Geist erhellen und den Körper stärken sollen. Ebenso wichtig wie das, was drin ist, sind die Tabu-Zutaten. Dazu gehören Palmfett, Glutamat und gewisse E-Nummern. Goldene Culinarium-Kronen auf den Menüs verweisen zudem auf den hohen Anteil regionaler Produkte. Alfred Kral, Leiter Hotellerie und Kopf des Konzepts, weiss wie schon Hippokrates vor ihm und Küchenchef Patrick Schwendener nach ihm um das empfindliche Zusammenspiel von Körper und Geist.
Als er 2006 nach Pfäfers in die Klinik kam, traf er auf eine gute, jedoch nicht sehr gesunde Küche. Das Problem: «Die Menschen nehmen von den Medikamenten teilweise extrem schnell zu. Nach zehn Tagen haben die solche Bäuche», erzählt Kral und formt mit seinen Armen einen stattlichen Kreis. Besonders wichtig sei die Ernährung bei Patienten mit Depressionen oder mit Entzündungen: «Es gibt Leute, die regen sich so stark auf, dass sich Magen- und Darmschleimhäute entzünden.»
Wenn Alfred Kral von seinen grossen Zielen und den vielen, kleinen Schritten auf dem Weg dorthin spricht, wird klar: Das ist ein Mann mit Mission, und die ist mitunter heikel. Zuweilen muss er seine Begeisterung zügeln und sich in Geduld üben. Den Vorwurf missionarischen Übereifers will Kral um jeden Preis vermeiden, ebenso jegliche Form von Zwang: «Wir wollen die Leute mit unterschwelligen Angeboten auf den Geschmack von gesundem Essen bringen.» Einfach geht das auch in Kleinkinderschritten nicht: Zwischen Sollen und Wollen liegen häufig Welten. Gerade wenn es um Essen geht, lassen sich alte Gewohnheiten nur schwer ablegen. Hier setzt der zweite Teil von Krals Konzept an: die Food-Kaskade.