12.06.2017 Salz & Pfeffer 4/2017

Shitstorm im Appenzellerland

Text: Monsieur Tabasco
«Fremdenzimmer» gibt es keine mehr im Appenzellerland. Und scheuchten früher wortkarge Saftwurzeln an den Bergstationen die fremden Störenfriede so unwillig aus den Kabinen, wie die Kühe sich mit den Schwänzen die Fliegen vom Leib peitschen, ...
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«Kutscher Aeschtons Aescher-Selfie bekam 22000 Likes.»

... so heissen die Bahnführer heute ihre Gäste auf so herzige Weise wöllkomm wie die Bergwirte. Die Appenzeller staunen selber, wie wenig es für ein Lächeln braucht. Und neuerdings: wie wenig für einen Shitstorm.

Es ist nämlich so: Im Aescher wirten s’Knechtles. Etwa seit der Antike. Generation um Generation brieten sie an sonnigen Tagen den Wandervögeln in stoischer Ruhe Rösti um Rösti um Rösti. Dann kamen die Medien. Kamerateams. Titel­blätter. International. S’Knechtles brieten nun auch bei Regen Rösti oder eben Hash­browns. Der Aescher sei das schönste Restaurant der Welt, fand 2014 National Geographic. Promis reisten an. Kutscher Aeschtons Aescher-Selfie bekam 22000 Likes, und nun kommt die ganze Welt in den Alpstein und will Rösti, Wöllkomm und Aescher-Selfie. Die 140 Plätze sind belegt und s’Knechtles verrösten bis zu 120 Kilo Kartoffeln pro Tag. Die Rösti ist immer noch gut, das Wöllkomm hingegen uneinheitlich. Je nachdem, wer Dienst hat. Kaum etwas verletzt tiefer als nicht erwiderte Liebe. Auch bei Gästen. Es folgt Enttäuschung. Grummeln. Leise. Laut. Trip­advisor. Und als im Herbst 2016 ein armes Schweizer Mami um eine zusätzliche Gabel bittet, aber keine zwei zusätzlichen Franken dafür bezahlen mag, obwohl es so in der Speisekarte deklariert ist, stichts dem Boulevard in die Nase: «Steigt dem Aescher der Erfolg zu Kopf?» Und die Trolle hoben an zum Protestgebrüll. Geizkragen! abzoker!! Servisswüste!!! Herzlos!!! Niewieder!!!!!

Wäre es ein deutscher Tourist gewesen, die Content Manager hätten nicht «bat um eine Gabel» geschrieben, sondern «verlangte eine Gabel», und dieselben Trolle hätten «arrogante Sauschwaben!» ge­kreischt, «bleibt, wo ihr herkommt, statt hier blöd zu motzen». Aber es war halt eine Mutter. «Sie half den Kindern mit einem Kafilöffel bei ihren Rösti», schluchzten die Medien. Ein Schuft, wer sich nicht hinter arme traumatisierte Mütter stellt. Oder hinter arme Gästehündchen, die kein Gratis­wasser bekommen sollen. Hätten die Trolle nicht wie üblich schon nach der Schlagzeile shitgestormt, sondern auch den Text gelesen, hätten sie erfahren, dass der Aescher keinen Wasseranschluss hat. Dass er Regen- und Tropfwasser in einer Zisterne sammelt und mit UV-Strahlen aufbereitet. Dass man manchmal zusätzlich Wasser aus dem Tal heraufschaffen muss. Auch fürs Zusatz­besteck.

Es ist im Zeitalter von Social Media taktisch sicher nicht unklug, Hunden Wasser zu geben und Eltern Zweitbestecke oder -gedecke. Nicht alle Kinder essen auf, viele Eltern möchten Portionen aufteilen. Doch wie erklärt man, dass man das nicht gratis machen kann? Ein «Kostet was» reicht nicht. Vielleicht eine Seite in der Speisekarte und auf Facebook mit einer attraktiven Skizze, die erklärt, wie der ­Aescher zu seinem Wasser kommt, dazu die freundliche Bitte um Verständnis?

Der Hurrikan folgte im Frühling 2017. Da schlossen s’Knechtles das Matratzenlager. Zweitens, weil sie mehr Platz für Nahrungsmittel und die Familie brauchen. Und erstens «suchen wir die Ruhe am Abend». Dann sagte Bernhard Knechtle noch, dass die Gäste sich oft auf den Füssen herumtrampelten. Und dass der Befehlston mancher Gäste ihn störe. Das war der Kardinalfehler.

Nie nie nie nie nie darf ein Gastgeber klingen, als würde er sich über seine Gäste beschweren. Da fühlen sich nicht die zehn Prozent herrischen grossmauligen Vollidioten betroffen, sondern auch die 90 Prozent netten Gäste. Und bei nicht erwiderter Liebe ist nun mal die Wortwahl entscheidend. Die Strafe folgte auf dem Fuss: ­«Aescherwirt hat genug von Nerv-Touristen», heulte der «Blick» auf. «Beispiellose Arroganz!», jaulten die Foristen. Manche waren sogar zu blöd, um zu merken, dass der Begriff «Nerv-Touristen» vom «Blick» kam – und nicht vom Wirt. 

Selbstverständlich passierten Fehler. Kein Gast soll ein «Ich habe jetzt keine Zeit!» hören müssen, und keiner gehört belehrt, die Rösti schmecke ohne Ketchup besser. Es ist erlaubt, überfordert zu sein, aber es ist verboten, es sich anmerken zu lassen. Ob allenfalls ein bisschen Kommunikation hülfe? Vielleicht gehört an sonnigen Wochenenden ein grosses Plakat an die Talstation, auf die Website, auf Facebook und auf Insta. Mit einer grossen Entschuldigung: «Der heutige Publikumsansturm sprengt die Kapazitäten unserer kleinen Bergwirtschaft, es tut uns wahnsinnig leid, dass wir komplett belegt sind und die Wartezeit mehr als eine Stunde beträgt, bitte seien Sie nicht böse oder traurig, Schäfler, Eben­alp, Forelle sind auch prima, besuchen Sie uns doch ein andermal, wir würden uns freuen, nochmals ein grosses Sorry, Ihr schwitzendes Aescher-Team».

Der Stauwarnung zum Trotz kämen immer noch genug Gäste, nämlich die Optimisten und die Ungemerkigen, dazu die Wanderer von Seealpsee und Schäfler her. Und dann bräuchte es noch eine Prise Feingefühl bei der Preisgestaltung und -kommunikation, dazu ein Kürsli für einige Leute im Service in Sachen Stressresistenz und Wöllkommenheits-Management, und schon wäre man auf dem Aescher wieder fähig, die Vorfreude der Gäste und ihrer Hunde zu erwidern, und die Trolle könnten sich trollen.

Wer übrigens den Anti-Rollkoffer-Gäste-Clip von s’Fritsches im Restaurant Forelle am Seealpsee noch nicht gesehen hat: herzig, handglismet, humorvoll. Tausende Clicks. Nein, Appenzeller Humor löst nicht jedes Problem, entschärft aber manches. Vielleicht auch oben im Aescher.