«Für mich ist Kochen ein Weg, zu überprüfen, wo ich selbst stehe.»
Vor kurzem wurde der Chnächt, das Lokal für Ihre kulinarischen Happenings, von einer Jugendbande zerstört. Was jetzt?
Sandra Knecht: Es ist schrecklich; die Gang brach an zwei Wochenenden in die Scheune ein und machte sie beim letzten Mal völlig kaputt. Anschliessend kündigte mir die Versicherung. Mir bleibt also nichts anderes übrig, als den Chnächt aufzugeben. Aber vielleicht ist es an der Zeit: Ich begann vor zehn Jahren, mich mit Heimat und Identität zu beschäftigen, und baute den Ort in diesem Kontext auf. Nun interessieren mich aber zunehmend auch andere Sachen. Ich glaube, ich ziehe im Sommer vorerst mein künstlerisches Fazit zum Heimatbegriff – und mache dann etwas Neues.
Eine grosse Reise steht an.
Genau, das ist mal wieder so ein knechtsches Experiment. Ich spanne zwei meiner vier Geissen – Otto und Hugo – vor einen kleinen Wagen und mache mich mit ihnen quasi auf den Weg eines Handelsreisenden von anno dazumal. Wir marschieren vom Hafen in Basel bis ins Val Lumnezia, wo ich für eine Ausstellung eingeladen bin. Im Gepäck habe ich drei Liter selbst gebrannten Burgermeister und ein getrocknetes Geissenbein, die ich unterwegs gegen andere Lebensmittel eintausche. Am Ende koche ich auf einem Maiensäss im Val Lumnezia während einer Woche, was ich auf dem Weg erstanden und gefunden habe.
Klingt abenteuerlich. Was kommt danach?
Das Thema Diversität hat mich gepackt. Biodiversität zum einen, aber auch die Diversität von Produkten – und jene innerhalb eines Lebensmittels. Mich interessieren die verschiedenen Identitäten.
Lebensmittel haben eine Identität?
Auf jeden Fall. Das ist mit ein Grund, warum ich keine Kälber, Lämmer oder Gitzi essen und verkochen will. Die haben ihre geschmackliche Identität noch gar nicht entwickelt. Aber von wegen Diversität: Ich möchte anfangen, Produkte in Editionen herzustellen. Also: ein Tier, ein Rezept. Oder: eine Pflanze, ein Rezept. Kürzlich verwurstete ich eine Rehgeiss mit auf ihr Fleisch abgestimmten Gewürzen. Dann eine Ziege, einfach mit anderen Zutaten. Als Nächstes würde ich am liebsten eine alte Kuh verwursten. Wenn im Frühling die Wildpflanzen wuchern, kanns auch gut sein, dass ich mich denen widme.
Sie beschäftigen sich intensiv mit Essen, betonen aber, Sie seien keine Köchin.
Ich bin Künstlerin, ganz simpel. Und ich koche, um Sachen herauszufinden. Als Köchin im gastronomischen Sinn sehe ich mich nicht, obwohl ich auch in Profiküchen arbeitete. Ich war mit 20 Küchenchefin bei McDonald’s.
Da haben Sie sicher einiges gelernt.
Durchaus. Zum Beispiel, dass McDonald’s damals eine super Lehre in der Systemgastronomie anbot. Jugendliche, die nicht so gut rechnen konnten oder Probleme mit der deutschen Sprache hatten, bekamen selbstverständlich Nachhilfeunterricht – während sie andernorts schon im ersten Jahr als billige Arbeitskräfte die kalte Küche übernehmen mussten.
Apropos: Wäre eine eigene Beiz etwas für Sie?
Nie im Leben!
Warum nicht?
Immer mit den Gästen? Nein, nein ... Ich bin so gern allein und habe meine Ruhe. Wissen Sie: Ich rede gern, aber am liebsten rede ich nicht. Ich brauche viel Zeit zum Nachdenken, für meine Inhalte und Ideen.
Worüber haben Sie zuletzt nachgedacht?
Kürzlich fragte mich Viva con Agua, ob ich den traditionellen Brunch an der Art Basel mit zwischen 800 und 1000 Gästen ausrichten wolle. Ich sagte zu und suchte nach einer passenden Idee. Ich werde da nun einen ausgehöhlten 150-Kilo-Eisblock aufstellen, in den Gletschermilchpulver und Wasser kommen. Dann gibts für jeden Gast einen Gletschermilch-Shot. Das ist für mich die Essenz dessen, wofür sich die Organisation einsetzt. Eine Botschaft in ein Essen verpackt auf den Punkt zu bringen, ist toll – braucht aber Zeit und Energie.
Energie, die sie gern aufbringen?
Unbedingt! Und ich mag, dass sich keins meiner Projekte wiederholt. Der Gastronom braucht ja Teller, die immer gleich aussehen, und Essen, das konstant schmeckt. Ich hingegen setzte im Chnächt kein Rezept zweimal um. Für mich ist Kochen auch ein Weg, zu überprüfen, wo ich selbst stehe. Früher nahm ich Mixtapes auf, und wenn ich die hörte, wusste ich genau, wie ich mich beim Zusammenstellen gefühlt hatte. Ähnlich ist das heute mit meinen Essen.
Sie hätten im Chnächt aber auch Erwartungen enttäuscht, sagen Sie selbst. Warum?
Klar. Zum Beispiel in Bezug auf die Portionen. Ich koche oft ohne Kohlenhydrate und ohne Zucker, und ich glaube, dass das bei manchem Gast das Gefühl hinterlässt, er sei nicht satt. Aber bei den «Immer wieder sonntags»-Events gehts mir um die Essenz eines Produkts, da will ich keinen Magenfüller wie Brot nebendran. Brot gibts bei mir nur, wenn es als Teil eines Gerichts Sinn ergibt. Dafür kommen immer mindestens drei Getreide auf den Tisch – oft einfach als Korn. Aber manche Leute verwechseln Heimatküche mit Comfort Food.
Was meinen Sie damit?
Die regen sich auf, wenn sie in den Chnächt kommen, weil sie erwartet haben, dass sie in ein wohlig-warmes Setting geraten und da selig und satt wieder herauskommen. Das alles gibts bei mir aber nicht unbedingt. Ich erinnere mich an einen Gast, der total hässig wurde, weil es an diesem Abend ausgerechnet ein getrocknetes Ziegenherz gab. Aufgeteilt auf 30 Personen. Das passte ihm überhaupt nicht. Es gehört aber zu meiner Art, Heimatküche zu erforschen.