10.10.2017 Salz & Pfeffer 7/2017

Stark im Team

Interview: Sarah Kohler – Fotos: Jürg Waldmeier
Fabian Raffeiner mag kein Einzelkämpfer sein. Lieber begegnet er seinen Mitarbeitern freundschaftlich und setzt sich Seite an Seite mit den Berner Kollegen dafür ein, die Region kulinarisch zu beleben.
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Walliser Sanddorn – Ziegenfrischkäse von Pia Mattmann, Schafgarbe
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«Ob jetzt eine Komponente einen Millimeter weiter rechts oder links liegt, ist doch egal.»
Ihre Lehrzeit habe Sie stark geprägt, betonen Sie. Warum?

Fabian Raffeiner: Unter anderem deshalb, weil ich im Hotel Castel in Tirol Dorf mit Küchenchef Gerhard Wieser auf einen Menschen traf, der immer respektvoll mit den Leuten umging und nie laut wurde. Das entspricht mir. Ich pflege zu meinem Team heute ein lockeres Verhältnis; meine Mitarbeiter sind stark auf mich bezogen und kommen zu mir, wenn was ist. Roger Fernandes Diogo beispielsweise arbeitet nun schon im vierten Betrieb an meiner Seite. Er war im Vitznauerhof als Frühstückskoch beschäftigt, blieb aber jeweils nach Feierabend in der Küche, stand mit auf dem Gardemanger-Posten, half mal hier, mal da und arbeitete sich kontinuierlich hoch. Wir wuchsen beide mit Beziehungen in die Gastronomie auf. Das prägt.

Was fasziniert Sie denn so am Kochen?
Das Gefühl, wenn die Leute im Restaurant glücklich sind; wenn ich sehe, wie sie die Teller fotografieren, wie sie Spass haben, wie sie sich dafür interessieren, wie wir einzelne Komponenten herstellen. In meiner Lehrzeit erfuhr ich auch, was in der Gastronomie alles möglich ist, mal für die Formel 1 oder für Frau Merkel zu kochen, zum Beispiel ...

Sie arbeiteten immer im gehobenen Segment.
Ich achtete jeweils schon darauf, wohin ich gehe, ja.

Und welche Faktoren waren da entscheidend?
Ich sag es mal so: Die Küche muss top sein. Wie im Meridiano: Das Restaurant hat einen Namen, steht für hochwertiges Essen.

Einen Namen machten sich auch Ihre Vorgänger; erst Markus Arnold, dann Jan Leimbach. Wie gedenken Sie, dem Meridiano Ihren Stempel aufzudrücken?
Meine Vision ist es, das Meridiano zu einem gastronomischen Leuchtturm zu machen, über der Stadt Bern, dem Kanton und gern darüber hinaus. Dass wir uns qualitativ nochmals steigern, ist explizit gewünscht und auch mein Ziel.

Gibts eine Vorgabe, was Punkte und Sterne betrifft?
Nein. Persönlich wäre ich im ersten Jahr sehr zufrieden, wenn ich einen Stern und 16 Punkte erreichen würde. Im Vitznauerhof erhielt ich nach einem Jahr 15 Punkte und einen Stern – insofern wäre da eine Steigerung drin. Von der Geschäftsleitung werde ich nicht unter Druck gesetzt, da habe ich echt freie Hand und kann tun, was mir Spass macht. Natürlich darf ich nicht aus den Augen verlieren, dass es sich um zahlende Gäste handelt, die uns den Lohn einbringen. Aber ich wuchs ja in diesem Wissen auf; dass neben vielen anderen Faktoren eben auch ein wirtschaftlicher Betrieb zählt.

Wie vereinbaren Sie diese Wirtschaftlichkeit mit Ihrer Anspruchshaltung bei der Wahl der Produkte?
Indem wir zum Beispiel kaum Lebensmittel wegwerfen. Mit den Abschnitten, die bei der Zubereitung der Kartoffelrollen anfallen, stellen wir vielleicht Chips her, die Gemüsereste verarbeiten wir zu Fond, Jus oder einem Püree. Ich habe grossen Respekt vor den Produkten – wie eben auch vor meinen Mitarbeitern. Diese sind ein wertvolles Gut, und wer sie nicht zu schätzen weiss ...

Sie sind kein Einzelkämpfer.
Gar nicht. Ich bin sehr froh um meine Mitarbeiter. Und ich glaube, sie sind froh um mich.

Gemeinsame Sache machen Sie auch, wenns ums Schreiben der Karte geht.
Die ersten Ideen entstehen in meinem Kopf, dann setz ich mich aber mit meinen Leuten zusammen, ja. Für die letzte Karte beispielsweise hatte ich die Idee, mit Whisky zu arbeiten, mit dieser rauchigen, holzigen Note. Ich besprach das mit meinem Souschef Thomas Pape, wir suchten gemeinsam nach passenden Komponenten und entschieden uns am Ende für Foie gras und Kastanie.

Was ist für Sie bei der Komposition von Gerichten wichtig?
Das Spiel mit Gegensätzen. Mit Süsse und Säure beispielsweise, mit cremigen und knusprigen Komponenten, insbesondere aber auch mit verschiedenen Temperaturen, die meiner Ansicht nach für die Harmonie am Gaumen entscheidend sind. Beim Anrichten bin ich dann relativ spontan. Ich mache keine Fotos von den Tellern, die in der Küche hängen und die Optik genau vorgeben. Die Kombination muss stimmen, aber ob jetzt eine Komponente einen Millimeter weiter rechts oder links liegt, ist doch egal.

Sie hinterlassen aber schon den Eindruck eines recht ausgeprägten Perfektionisten.
Ist das so?

Ja.
Okay. Ich höre oft, wie ruhig und gelassen ich stets wirke. Innerlich setze ich mich aber tatsächlich sehr unter Druck, das stimmt und ist mir auch bewusst. Ich brenne für das, was ich tue, und wenn ich morgens in die Küche komme, kann ich nicht rumstehen und Kaffee trinken. Da muss es vorwärtsgehen. Ich hab meinen Ehrgeiz, und ja, ich bin vermutlich perfektionistisch veranlagt.

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Fagottini – Steinpilze, geräuchertes Eigelb, Rindsjus
Fagottini – Steinpilze, geräuchertes Eigelb, Rindsjus
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Charolais-Rind aus dem Burgund AOP – Pariser Rüebli vom Brunner Eichhof, Estragon, Bündner Kartoffelrolle
Charolais-Rind aus dem Burgund AOP – Pariser Rüebli vom Brunner Eichhof, Estragon, Bündner Kartoffelrolle
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Ambra-Milchschokolade von Felchlin – Cassisholz vom Brunner Eichhof, Cassis, Erdnuss
Ambra-Milchschokolade von Felchlin – Cassisholz vom Brunner Eichhof, Cassis, Erdnuss
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In der Meridiano-Küche gehts freundschaftlich zu und her. Fabian Raffeiner mit einem Teil seiner Brigade: Roger Fernandes Diogo, Chef Gardemanger, und Katrin Fischer, Chef Entremetier.
In der Meridiano-Küche gehts freundschaftlich zu und her. Fabian Raffeiner mit einem Teil seiner Brigade: Roger Fernandes Diogo, Chef Gardemanger, und Katrin Fischer, Chef Entremetier.
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«Wir verfolgen aber alle das gleiche Ziel: Bern kulinarisch zu beleben.»
Sprechen wir über Ihre Karte. Zur Wahl steht unter anderem ein Viergänger unter dem Motto «Ächt Schwiz» mit Produkten aus der Schweiz. Regionalität steht für Sie aber explizit nicht an erster Stelle.
Ich mag regionale Produkte, klar. Aber ich mag sie nicht über alles stellen. Qualität und Geschmack stehen für mich im Zentrum. Wenn ein regionales Produkt super ist – wie die Blausee-Forelle oder Fleisch vom Hof Holzen –, finde ich das toll. Aber bei einem durchschnittlichen Schweizer Entrecôte bin ich mit der Qualität schlicht nicht zufrieden. Also schaue ich, woher ich eins bekomme, das meinen Vorstellungen entspricht.

Ganz neu im Angebot haben Sie – analog zur Weinbegleitung – die sogenannte Bierreise, mit der sich Ihre Menüs kombinieren lassen.
Die Idee ist noch frisch, ja, und sie kommt hauptsächlich von Restaurantleiter Giovanni Ferraris und seinem Stellvertreter Carlo Esposito. Der Service ist Giovannis Metier; er hat genauso viel Passion dafür wie ich für die Küche.

Sie mischen sich nicht ein?
Ich formuliere schon Wünsche. Und auch wenn Giovanni eher klassisch orientiert ist, finden wir uns. Zum Beispiel beim Thema Brot. Wir hatten bis zu den Sommerferien noch einen Korb mit sechs Sorten, aber ich finde es wirtschaftlich nicht gerechtfertigt, wenn einer zehn Stunden in der Woche Brot bäckt, und schlug vor, nur noch ein Brot aufzutischen, dieses dafür aber frisch zu backen. Erst stiess ich damit auf Widerstand, aber ich konnte überzeugen. Seit Mitte August servieren wir also das Vinschgauer, und das kommt generell gut an.

Im Meridiano gibts auch Lunch. Wie sehen Sie das Mittagsgeschäft?
Natürlich sind uns auch die Mittagsgäste wichtig, sie haben aber oft nicht so viel Zeit, das Essen zu geniessen, wie ich mir das wünschen würde. Ich befürchte manchmal auch, dass der Weg zu uns manchen Leuten zu umständlich ist.

Sie sprechen es selber an: Das Meridiano liegt im verwinkelten Kursaal-Komplex gut versteckt – auf dem Dach mit phänomenalem Blick zwar, aber eben nicht leicht zu finden.
Das ist eine Herausforderung, die auch die Geschäftsleitung erkannt hat, ja. Noch ist nichts spruchreif, allerdings arbeiten wir daran.

Lassen Sie uns noch über den Standort Bern reden. Da gibts gastronomisch durchaus Luft nach oben.
Bern hat ein riesengrosses Potenzial, finde ich. Ich mag die Stadt, fühle mich hier wohl – und gastronomisch geht auch was: mit Markus Arnold in der Steinhalle, mit Simon Apothéloz in der Eisblume, mit Simon Sommer im Schöngrün ... Wie ich wollen sie alle etwas bewegen. Wenn mehrere den gleichen Weg einschlagen, macht das einfach viel mehr Spass als als Einzelkämpfer.

Also keine Rivalität?
Absolut nicht. Wir sind keine Konkurrenten, sondern sehr unterschiedlich. Jeder von uns hat seinen eigenen Stil und geht seinen eigenen Weg – wir verfolgen aber alle das gleiche Ziel: Bern kulinarisch zu beleben.

Wenige 100 Meter von der Schweizer Grenze entfernt wuchs Fabian Raffeiner in einem Südtiroler 80-Seelen-Dorf auf. Im Gastbetrieb seiner Eltern stand er schon als Bub oft in der Küche, und es war früh klar, wohin ihn sein beruflicher Weg dereinst führen würde. Nachdem er als Zwölfjähriger einen Sommer lang auf einer Alphütte als Tellerwäscher und Küchenhilfe gearbeitet hatte, entschied sich Raffeiner, die Matura mit Schwerpunkt Hotelfach abzuschliessen. Ungenügende Noten liessen ihn ein Jahr später einen anderen Weg zum Ziel einschlagen: Raffeiner absolvierte die Kochlehre im Fünf-Sterne-Hotel Castel in Tirol Dorf. Unter dem mit zwei Michelin-Sternen und 17 Gault-Millau-Punkten dotierten Küchenchef Gerhard Wieser lernte er das Handwerk von der Pike auf, wobei die ersten Jahre mit langen Arbeitszeiten und einem sehr strengen Souschef so hart wie prägend waren. 2011 siedelte Raffeiner in die Schweiz über, heuerte als Souschef im Park Hotel Bürgenstock und später im Kronenhof in Pontresina an. Nach zwei Jahren als Souschef im Gourmetrestaurant Sens im Vitznauerhof am Vierwaldstättersee stieg er zum Executive Chief für den gastronomischen Gesamtbetrieb auf und leitete ein Team von 15 Köchen. Gault & Millau zeichnete ihn für seine Arbeit mit 15 Punkten, Michelin mit einem Stern aus. Nach einem Intermezzo im Clouds in Zürich zog der Südtiroler im Herbst 2015 nach Spiez und übernahm im Hotel Eden den Posten des Küchenchefs. Seit Dezember 2016 prägt er im Kursaal Bern die Küche des Fine-Dining-Restaurants Meridiano. Hier übernahm er das Zepter von Jan Leimbach, der dem Haus wie auch sein Vorgänger Markus Arnold 17 Punkte sowie einen Stern beschert hatte. Raffeiners erste Wertungen im Meridiano standen bei Redaktionsschluss kurz bevor.

Restaurant Meridiano 
Kongress + Kursaal Bern AG 
Kornhausstrasse 3
3000 Bern 22
031 339 55 00
www.kursaal-bern.ch