«Wenn wir Zucker in der Schweiz herstellen, entspricht er unseren wirtschaftlichen, sozialen und ethischen Prinzipien.»
Sie haben als Chef von zwei Zuckerfabriken vermutlich keinen einfachen Job. Was Sie herstellen, geniesst nicht gerade den besten Ruf.
Guido Stäger: Das ist gar nicht so schlimm. In erster Linie ist es unsere Aufgabe, die Schweiz mit Zucker zu versorgen, und wir sind den Bauern, die unsere Hauptaktionäre sind, verpflichtet. Aber es stimmt, dass wir oft in die Defensive gedrängt werden und erörtern müssen, dass Zucker nicht so schlecht ist wie sein Ruf. Zum Glück ist das recht einfach: Der Mensch braucht Zucker.
Tut er das?
Ja, Zucker gehört in die guten Sachen des Lebens. Stellen Sie sich eine Crèmeschnitte oder eine Glace ohne Zucker vor! Kann man machen, schmeckt aber nicht. Es ergibt absolut keinen Sinn, ein Dessert mit weniger Zucker oder alternativen Süssstoffen herzustellen.
Warum?
Weil man ein Dessert nicht essen muss, sondern will. Also ist die Frage: Esse ich es, lasse ich es bleiben oder entscheide ich mich für ein kleineres Stück davon? Etwas Süsses weniger gut zu machen, nur damit es weniger Zucker enthält – da geht für mich der Schuss nach hinten los. Bei einem Joghurt, als anderes Beispiel, kann eine kalorienreduzierte Variante sinnvoll sein – wenn man es im Rahmen einer Diät isst. Wobei hier die Unterscheidung wichtig ist: Zuckerreduziert ist nicht gleich kalorienreduziert – und was zählt, ist die Anzahl Kalorien.
Sie stellten mir in Aussicht, sogar erklären zu können, warum Zucker gesund ist.
(Lacht) Das muss ich wohl etwas relativieren. Tatsächlich ist Zucker weder gesund noch ungesund. Er gehört zu den Kohlehydraten, die gemeinsam mit den Proteinen und Fetten die Bausteine allen Lebens sind. Und wie ein Auto Benzin oder Strom zum Antrieb braucht, liefern uns die Kohlenhydrate die nötige Energie – ob in Form von Zucker oder beispielsweise als Mehl, spielt kaum eine Rolle. Zucker ist der am schnellsten verfügbare Treibstoff und für den Körper in dieser Eigenschaft je nach Situation durchaus angebracht.
Nun weibeln Sie ja nicht nur für Zucker allgemein, sondern für Schweizer Zucker im Speziellen. Warum ist es wichtig, dass wir unser eigenes Produkt haben?
Die Frage von Sinn und Unsinn der lokalen Zuckerproduktion kann man natürlich stellen. Es gibt Leute, die finden, wir sollten damit aufhören und im Ausland einkaufen. Aber Zucker ist etwas so Wesentliches, dass wir eben der Meinung sind, wir sollten ihn hier produzieren. Schweizer Zucker ist als Rohstoff nicht besser als ausländischer – Zucker ist Zucker –, der Unterschied liegt darin, dass unsere Bauern die Rüben dafür anpflanzen, und zwar nach den Richtlinien der Schweizer Gesetzgebung.
Wenn ich das richtig sehe, bauen unsere Bauern aber nur Rüben an, wenn es dafür vom Bund auch genug Geld gibt.
Das ist nicht ganz richtig und nicht ganz falsch. Grundsätzlich sind Zuckerrüben nicht stärker subventioniert als andere Agrarprodukte, und dass die Schweiz ihre Bauern stützt, ist kein Sonderfall. Jedes Land dieser Welt beschützt seine Landwirtschaft.
Um in Krisenzeiten unabhängig zu sein.
Genau. Die Frage ist: Was ist uns die Selbstversorgung wert? Ich erinnere mich, dass vor einigen Jahren der Weizen knapp war und Russland beschloss, keinen mehr an seine Nachbarn zu verkaufen. Das war ein Problem, ist aber logisch: Wenn Lebensmittel knapp werden, behält man sie fürs eigene Volk. Und in diesem Sinn halte ich es für relevant, dass die Schweiz selber Zucker produziert. Immerhin bringt er, gemessen an der Anbaufläche, am meisten Kalorien. Neben dem Versorgungs- und Sicherheitsaspekt gibt es aber auch das regionale Argument.
Welches?
Wir wissen, wie die Rüben in der Schweiz angebaut wurden. So ist der Einsatz von Spritzmitteln hier wohl erlaubt, aber klar reglementiert. Andernorts gelten andere Regeln und wird weniger kontrolliert. Auch was den Sozialstandard angeht: Wenn wir ein Produkt auf der Basis von Zuckerrohr kaufen, stammt dieses aus einer Gegend, in der die Arbeitsbedin
gungen mit Sicherheit schlechter sind als hier. Und nicht zuletzt fällt die Ökobilanz einer Produktion vor Ort besser aus. Kurz: Wenn wir Zucker in der Schweiz herstellen, entspricht er unseren wirtschaftlichen, sozialen und ethischen Prinzipien.
Warum wird die Schweizer Zuckerproduktion trotzdem immer mal wieder in Frage gestellt?
Vielleicht, weil Zucker etwas so Alltägliches, so Normales ist, vielleicht müssen wir uns aber auch in unserer Kommunikation verbessern. Wir hören von unseren Kunden oft: Schweizer Zucker, ja, gern – nur mehr kosten darf er nicht. Der Preis ist beim Zucker entscheidend, und das macht die lokale Produktion schwierig. Wir finden tatsächlich keinen, der bereit ist, die fünf Rappen mehr pro Kilo auszugeben, mit denen sich 80 Prozent unserer Probleme lösen liessen. Wissen Sie: Die Industrie, die 85 Prozent unserer Ware abnimmt, bezahlt gut 60 Rappen aufs Kilo. Unter diesen Bedingungen und mit unserer Kostenstruktur Zucker in der Schweiz herzustellen, ist so gesehen eine super Leistung.