07.10.2025 Salz&Pfeffer 3/25

Teure Lizenzen

Text: Tobias Hüberli – Foto: VH-studio/Shutterstock
In der Theorie führt Digitalisierung zu tieferen Kosten. Bei den Lehrmitteln für die Berufe der Gastronomie ist das Gegenteil eingetreten. Vielleicht auch, weil der Markt nicht richtig spielt. Die gute Nachricht: Das könnte sich bald ändern.
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Anfang August haben in der Schweiz wieder über 1000 junge Menschen eine Berufslehre als Koch oder Köchin EFZ oder Küchenangestellte EBA angetreten. Seit einem Jahr und der jüngsten Revision des Kochberufs lernt der Nachwuchs das Handwerk mehrheitlich mithilfe von digitalen Lehrmitteln. Das ist fortschrittlich, aber auch teuer. Vor 2024 zahlte ein Lernender in der Regel 350 Franken für eine gedruckte Ausgabe des Lehr- und Rezeptbuchs Pauli. Dazu kamen vom Eigenverlag der Hotel & Gastro Formation Schweiz (HGF) Unterlagen für die überbetrieblichen Kurse (20 Franken) sowie ein Ordner für die Lerndokumentation (80 Franken). Mit 450 Franken war man dabei.

Im Zuge der Revision drängten andere Anbieter in den Markt, allen voran der Berner Wigl-Verlag. Dessen Gesamtpaket mit dem Lehrmittel für die Schule, der digitalen Lerndokumentation sowie den Lerninhalten für die überbetrieblichen Kurse kostet einen Lehrling auf Stufe EFZ, begrenzt auf drei Jahre, 703 Franken. Um ebenfalls Zugang zur Plattform zu erhalten, zahlt der Lehrbetrieb zudem pro Jahr 79 Franken.

Die Entscheidung, welche Lehrmittel an den Berufsschulen eingesetzt werden, obliegt den Kantonen. In den meisten Fällen ist das heute die Plattform von Wigl. Der Verlag hat sich damit in eine hervorragende Position gebracht, um den Lernenden und Berufsbildnern sein Gesamtpaket mit den schulischen Lehrmitteln, der Lerndokumentation sowie den überbetrieblichen Kursen zu verkaufen. Hilfreich ist dabei auch, dass HGF seit einem Jahr einzig die digitale Lerndokumentation von Wigl explizit empfiehlt. Grundsätzlich steht es aber jedem Betrieb frei, einen anderen Anbieter für die Lerndokumentation zu wählen.
Man darf sich durchaus die Frage stellen, weshalb HGF Schweiz einen Anbieter empfiehlt, mit dem sich die Kosten für Lernende so deutlich verteuern, und das, obwohl man bei der Hotel & Gastro Formation Schweiz und ihren Trägerverbänden während Jahren versucht hat, eben diese Kosten zu senken. Zum Beispiel indem man einen Teil der Lehrmittel mit Geldern aus dem L-GAV bezahlt, was nicht geklappt hat, weil Lernende dem L-GAV nicht unterstellt sind.

Sandra Tappolet, Präsidentin von HGF Schaffhausen
Sandra Tappolet, Präsidentin von HGF Schaffhausen

Für den Wigl-Verlag ist die Empfehlung von HGF Schweiz eine Lizenz zum Gelddrucken. 2024 traten 1485 Personen eine Lehrstelle als Koch/Köchin EFZ an, was einem Potenzial von über einer Million Franken entspricht. Dazu kommen die jährlichen Beiträge der Lehrbetriebe. Und die Ausbildung Koch/Köchin ist nur ein Standbein. Bereits für die zuvor revidierten Lehrgänge Restaurantfachfrau/-fachmann EFZ (2019) sowie Hotellerie/Hauswirtschaft (2024) bietet der Verlag digitale Lerninhalte für alle Lernorte an.

Nicht immer sprudelten die Umsätze bei Wigl so kräftig wie heute. Nach Recherchen dieser Redaktion steckte der von Berufsschullehrer Jörg Wyss gegründete Verlag um das Jahr 2010 herum in finanziellen Nöten. Ausgerechnet die Hotel & Gastro Union, damals unter der Führung von Urs Masshardt, sprang mit einem Betriebsdarlehen in unbekannter Höhe in die Bresche. Der Interessenkonflikt – Masshardt amtete damals als Vorstandsmitglied von HGF Schweiz – war innerhalb der Hotel & Gastro Formation Schweiz bekannt.

Sicher ist: Seit der Finanzspritze ging es wieder aufwärts mit dem Verlag. So erhielt Wigl von HGF Schweiz den Zuschlag für die Lehrmittel der 2013 neu geschaffenen Ausbildung Systemgastronomiefachfrau/-fachmann. Auch bei der Basisqualifikation, den Progresso-Kursen, wurde jüngst auf Wigl umgestellt. Heute kommen Lernende der Berufe Restaurantfach, Systemgastronomie, Hotellerie/Hauswirtschaft, Hotelkommunikation und Küche praktisch nicht mehr darum herum, eine Lizenz für Lerninhalte von Wigl zu lösen. Das könnte sich aber bald ändern.

Dieses Jahr entwickelte die Schaffhauser Sektion von HGF eine alternative digitale Lösung, die unter anderem eine Lerndokumentation (Skillsdoc) und ein arbeitsmarktorientiertes üK-Programm beinhaltet. Gestaltet nach den aktuellsten lernwissenschaftlichen Standards in einem hybriden System (siehe Box). «Wir hatten im Kanton eine grosse Anzahl an Lehrabbrüchen zu beklagen», sagt Sandra Tappolet, Präsidentin von HGF Schaffhausen.

Bei der Analyse habe man erkannt, dass für Lernende im Kanton fast ein Dutzend Unterstützungsangebote existieren, aber kein einziges für die Ausbildner. «Eine Umfrage hat zudem ergeben, dass die bestehenden Angebote für die Lerndokumentation bei Lernenden sowie Ausbildnern als zu kompliziert und praxisfern empfunden werden.» Das Resultat: Die Lerndokumentation wurde oft mangelhaft oder gar nicht durchgeführt.

Die mit dem Schaffhauser Innovationspreis Prix Vision ausgezeichnete Lösung Skillsdoc verfolgt einen explizit praxisnahen Ansatz, der es Lernenden und Ausbildnern im Alltag der Gastronomie einfach macht, die vorgeschriebene Lerndokumentation unbürokratisch zu erledigen. Konkret verfolgt die Neuentwicklung einen strikten Mobile-First-Ansatz. «Das Smartphone ist den Lernenden am nächsten, als Tool ist es matchentscheidend», sagt üK-Instruktor und Fachautor Lukas Pem. Die Lösung sei gemacht von der Praxis für die Praxis, mit wenigen Klicks zu handhaben und ohne grosse Reflexionsarbeiten wie bei anderen Anbietern. Dafür sind gezielte analoge Arbeiten fester Bestandteil im didaktischen Konzept. «Die sind zentral für den Lernerfolg», so Pem.

Einzigartig bei der Plattform von HGF Schaffhausen sind die Best-Practice-Anleitungen für Berufsbildende. «Wir wollen die Lehrmeisterinnen und Lehrmeister im unterstützenden Sinn eng begleiten, das beginnt bei der Schnupperlehre und hört damit auf, wie man die Lernenden nach bestandenem Qualifikationsverfahren in die Welt hinausschickt», fasst Tappolet zusammen. Auf der Plattform finden Berufsbildende ab 2026 insgesamt zehn detaillierte Best-Practice-Standards. Zudem werden sie bei Bedarf von einem Supportteam, bestehend aus erfahrenen Gastropersönlichkeiten, unterstützt.

Grundsätzlich kann jeder Schweizer Lehrbetrieb in der Deutschschweiz bei Skillsdoc einsteigen und das System ausprobieren. Dieses Jahr ist die Nutzung kostenfrei. Offizieller Start ist das Schuljahr 2026/2027. Auch dann bleiben die Kosten überschaubar. Ein Lernender zahlt für die gesamte Ausbildung einmalig 99 Franken, für die Ausbildungsbetriebe ist die Nutzung gratis. Zumindest im Nachbarkanton St. Gallen stösst Skillsdoc, das mittlerweile für alle Gastroberufe in den Profilen EFZ und EBA zur Verfügung steht, bereits auf reges Interesse. «Bis jetzt haben sich 45 Ausbildungsbetriebe angemeldet», sagt Martin Erlacher, Fachbereichsleiter des Gewerblichen Berufs- und Weiterbildungszentrums St. Gallen.

Vom Kanton Schaffhausen ausgezeichnet

Im Juni 2025 wurde Hotel & Gastro Formation Schaffhausen der mit 35 000 Franken dotierte Bildungsinnovationsförderpreis Prix Vision zugesprochen. Gemäss Projektleiter Lukas Pem wird der Hauptgewinn in die Weiterentwicklung der Plattform «Hotel Gastro Formation Schaffhausen» sowie deren Inhalte investiert. In dieser kantonalen Lösung sollen die Verbundpartner aller Gastroberufe miteinander vernetzt werden. Dies umfasst alle Lernorte sowie den Prüfungsvollzug und dessen Qualitätssicherung. Sämtliche Inhalte können direkt auf der Plattform in über 130 Sprachen übersetzt werden. Wichtig zu wissen: Die smartphonebasierte Anwendung fürs betriebliche Lernen, «Skillsdoc», kann in allen Kantonen in der Deutschschweiz und für alle Gastroberufe der Stufen EFZ und EBA genutzt werden. Auch nach der Ausbildung behalten die Lernenden ihren Account und können die Plattform weiter nutzen. Einmaliger Kostenpunkt pro Lehrling: 99 Franken.

skillsdoc.ch