«Je grösser ein Unternehmen, desto gewichtiger ist der Spareffekt.»
«Vor zehn Jahren war das digitale Einkaufen eine harzige Geschichte», erinnert sich Gemüsehändler Tiziano Marinello. Die Systeme waren nicht sonderlich ausgefeilt, insbesondere mit der Unterscheidung der Gebinde, also zum Beispiel zwischen Kilo, Stück oder Kisten, gabs oft Probleme. Diese Zeiten sind vorbei. Mittlerweile generiert Marinello etwa 28 Prozent seines Umsatzes über die Plattform des Anbieters Hogalog. «Persönlich wünsche ich mir, dass mehr Kunden online bestellen, für uns ist es einfacher.» Allerdings stagniere das Wachstum seit 2017. «Das Faxgerät wird in den nächsten fünf Jahren sicher nicht verschwinden», so der Zürcher. Für viele Köche sei es noch immer der bequemste Weg, um Waren zu ordern.
«Was in fünf Jahren digital nicht bestellbar ist, wird nicht bestellt werden», prophezeit hingegen Bernhard Kron, Vertriebsleiter bei der Horego AG*. Nur online könne der Gastronom künftig den Überblick behalten, etwa über Preisänderungen oder Aktionen, auch wenn er später im Abholmarkt einkaufe. Seit acht Jahren investiert man deshalb bei der Zürcher Einkaufsgesellschaft kräftig in die Digitalisierung des gesamten Beschaffungsprozesses und liefert sich ein technologisches Wettrennen mit anderen Anbietern. Dabei haben alle dasselbe Ziel: eine Plattform, die nicht nur den gesamten Bestellprozess bündelt, sondern sich auch nahtlos verbinden lässt, etwa mit der Warenwirtschaft und dem Kreditorenmanagement, dem Kassensystem oder der Menüplanungs-Software. Ein weiterer Meilenstein ist der automatische Abgleich mit elektronischen Lieferscheinen. «Daran arbeiten viele unter Hochdruck», so Kron.
«Der Gastronom hat heute eine ganze Landschaft von Systemen vor sich. Wir helfen ihm dabei, diese sinnvoll zu verknüpfen», sagt Roland Kurmann, Leiter des Digital Business bei der Pistor AG. Das in Rothenburg situierte Unternehmen verfolgt eine Digitalstrategie, die genau das einlösen soll. «Wir arbeiten an unserer Vision, die weit über das Bestellen hinaus geht, und sehen uns nicht nur als Händler und Logistiker, sondern vor allem als Lösungsanbieter», so Kurmann.
Dass sich mit komplett vernetzten Bestellsystemen Geld sparen lässt, leuchtet ein. Nur schon der Verzicht auf gedruckte Rechnungen reduziere die Verwaltungs- und Papierkosten eines Betriebs um 61 Prozent, rechnet Kron von der Horego AG vor. Hinzu kommen etwa der gebündelte Einkauf und damit einhergehende bessere Konditionen oder aber ein vielfach effizienteres Kreditorenmanagement. Klar ist auch: je grösser ein Unternehmen, desto gewichtiger ist der Spareffekt.
Kein Wunder ist die Digitalisierung beim Grosscaterer SV Group ein zentrales Thema. «Aktuell befassen wir uns mit der Verbindung unserer internen Systeme; von der Beschaffung bis hin zum digitalen Bezahlen», so Mediensprecherin Manuela Stockmeyer. Ziel sei es, den Prozess durchgängig zu gestalten. Als «Gold der Zukunft» bezeichnet Stockmeyer dabei die Artikelstammdaten des Unternehmens, die «nun auf eine strategische Ebene gehievt werden».
Doch auch Wirte mit tieferen Einkaufsvolumen profitieren von den neuen Möglichkeiten der Technik. Gerhard Kiniger, Präsident der Gilde etablierter Schweizer Gastronomen, erledigt seine Bestellungen zum Beispiel oft online – im Zug auf der Heimfahrt. Als Vorteil nennt der Pächter des Restaurants zum Grünen Glas in Zürich unter anderem, dass die Preise jederzeit klar ersichtlich sind. Allerdings wünschte er sich, dass künftig vermehrt kleinere, regionale Produzenten auf diesen Plattformen zu finden sind.
Genau solchen Nischenanbietern will das Start-up Diversitas eine Bühne bieten. «Wir verfolgen ein anderes Konzept als die üblichen Handelsplattformen», erklärt Firmengründer Tobias Zihlmann. Was er – nach erfolgreicher Testphase – im Sommer 2020 lancieren will, ist ein digitaler Treffpunkt für Köche und Hersteller. «Als Plattformanbieter führen wir selbst keinen Handel, sondern vernetzen Gastronomen direkt mit ausgesuchten Klein-und Kleinstproduzenten», so Zihlmann. Um zu verstehen, was dem Profi im Alltag einen echten Nutzen bringt, schickte er seine UX-Designer direkt zu den Köchen. «Es stellte sich heraus, dass Produzentengeschichten sowie Informationen zu Verfügbarkeit und Herkunft der Lebensmittel genauso wichtig sind wie eine einfache Bedienbarkeit oder ein multipler Zugang zum System.» Mit Biosuisse, Pro Specie Rara, Slow Food, Kagfreiland und Demeter hat der 30-Jährige interessante Partner um sich geschart. «Wir sind einfach der Meinung, dass der Koch auf vielen Ebenen profitieren kann, wenn er seine Lebensmittel direkt beim Produzenten kauft.»
Bewusst telefonisch bestellt Stefan Wieser, Gastgeber im Restaurant Weisse Rose in Zürich. «Ich muss mich mit den Lieferanten austauschen.» Nicht selten kriege er dabei nämlich neue Tipps oder werde auf Produkte aufmerksam gemacht, die besser zu seinem geplanten Menü passen, so der Toggenburger. Andererseits profitiere auch der Lieferant von diesem Wissenstransfer. Dass die neue Effizienz nicht gratis zu haben ist, weiss auch Händler Marinello. «Bei der Digitalisierung geht ein Stück weit die Persönlichkeit flöten, dessen muss man sich bewusst sein.» So spüre man etwa bei einem handgeschriebenen, allenfalls mit Ausrufezeichen versehenen Fax noch, ob der Küchenchef sauer ist oder nicht. «Alle diese Emotionen gibts im Onlinehandel nicht.»
* Die Horego AG gehört zum Firmenkonglomerat des Zürcher Unternehmers Robert Meier, so wie auch die Edition Salz & Pfeffer AG.