16.11.2021 Salz & Pfeffer 6/2021

Typisch Österreich

Text: Wolfgang Fassbender – Fotos: Joerg Lehmann / z. V. g.
Gastronomie funktioniert im Nachbarland der Schweiz anders als in Basel, Gstaad oder Lausanne. Familiär, bodenständig, selbstverständlich – und das bis in höchste Höhen. Also bis zum Döllerer.
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Soll man schreiben, dass Döllerer gleich Golling sei?

Normale Restaurants bieten einen Sommelier auf oder lassen den Weinservice von irgendwem zusätzlich verrichten. Sehr wenige Lokale verfügen über einen Sommelier mit Titel. Master Sommeliers sind gar so selten wie eine totale Sonnenfinsternis. Und im Döllerer, dem gemütlichen Restaurant in Golling an der Salzach? Da gibt es gleich mehrere Diplom-Sommeliers und an der Spitze einen Master Sommelier, den einzigen aktiven in ganz Österreich. Ein netter Herr, jugendlich noch, der ein ganz bisschen so ausschaut und redet wie Peter Alexander. Ob das nur der Eindruck des Zugereisten ist oder ob jene unnachahmliche Melange aus Charme, Schmäh und einem Hauch von Dialekt fast allen Österreichern eigen ist, muss offenbleiben.

Tatsache ist, dass Obersommelier Alex Koblinger selbstbewusst mit Name und Titel zeichnet und, bittet man nicht unverzüglich um mündliche Empfehlungen, gern die Weinkarten reicht. Es sind mehrere, eine umfangreicher als die andere. Weissweine hier, Rotweine da, spezielle Empfehlungen eh. Na geh! Rufen alle, die sich zumindest ein paar Brocken Austriakisch angeeignet haben, und fangen an nachzuzählen. Ein Unterfangen, das von Vornherein zum Scheitern verurteilt ist, denn so lang ist das längste Döllerer-Menü nicht, als dass man hier fertig würde mit der Überprüfung.

Das Staunen beginnt
Nun sind Tausende von Weinsorten und Hunderttausende von Flaschen ja erklärbar mit der langen Tradition des Hauses, mit dem gleichzeitig betriebenen Weinhandel, mit den vielen Jahren, die sich das Haus, einst eine Metzgerei, etabliert hat. Man ist gewachsen und heute ein Imperium. Soll man schreiben, dass Döllerer gleich Golling sei? Das wäre zu viel, denn da gäbe es ja noch die Burg, gleich nebenan. Oder den Wasserfall. Doch als Attraktion gilt der Gasthof ja schon, und Andreas Döllerer, der Küchenchef, wird bei Wikipedia als eine der Persönlichkeiten des Ortes benannt, ein paar Zeilen nach Joseph Mohr, dem Priester und Dichter des Weihnachtsliedes Stille Nacht.

Döllerer leitet übrigens die Küche, aber er ist nicht die einzige Person dieses Namens, die man hier trifft. Die Frau, der Onkel, die Brüder, die Schwägerin, die Nichte – da wimmelt es nur so von Menschen mit dem berühmten Namen, die Grüss Gott sagen und dem Gast den Weg weisen. Hin zum Gourmetrestaurant oder doch lieber zum Wirtshaus. Haben anderswo in der Welt viele Lokale die Zweiteilung abgeschafft (oder gar nie eingeführt), ist sie in Österreich quicklebendig. Kleine Gourmetstuben gibt es landauf, landab, und bei Döllerer ist sie eben gross, die Edelstube, ein elegantes Restaurant. Ein bisschen Ländlichkeit darf trotzdem sein. Muss sie sogar. Die ersten essbaren Kleinigkeiten deklinieren die kulinarischen Welten der Region durch. Radieschen stehen für den Flachgau, der Steckerlfisch für den Tennengau, die Schalotten repräsentieren den Pinzgau.

Weltläufigkeit mit Nudelsuppe
Stellt sich nur die Frage, wie man es in der Fine-Dining-Abteilung schafft, sich abzuheben von all den Köstlichkeiten, die in der Wirtschaft, dem Zweitlokal, auf den Teller kommen. Allenfalls in Bayern, gar nicht weit entfernt, bekommen es die Wirte hin, die bürgerliche Küche klammheimlich derart zu verfeinern, dass man als Schweizer oder Norddeutscher ratlos schaut. Ist denn das Wiener Schnitzel vom Tromörthof-Kalb mit hausgemachten Preiselbeeren noch Zweitküche, ist das Wildhendl mit Haxenravioli und karamellisiertem Paprikakraut dem Gourmetmenü nicht schon fast ebenbürtig? Restaurantkritik stösst hier noch nicht an ihre Grenzen, aber sie dringt schon fast in den roten Bereich vor.

Immerhin kommt, um wieder in den grünen zu gelangen, nun der Kaviar (von Walter Grüll) mit Lauch (von Josef Winkler), der über Holzkohle (kein Lieferant angegeben) gegrillt wird. Dazu fermentierter Lauchsaft, Nussbuttercrème, Sellerie-Maggi. Das ist gut. Das wäre Sterne-Küche, wenn es in Österreich ausserhalb von Wien und Salzburg Sterne gäbe. Gibt es bekanntlich nicht, weil Michelin derzeit keinen eigenen Guide fürs Alpenland machen mag. Dass ihn die Nicht-Sterne wurmen, würde übrigens kaum ein österreichischer Koch offen zugeben. Dass der Gault & Millau und À la carte nicht dasselbe Renommee haben, sagt vorsichtshalber auch keiner.

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Kaviar von Walter Grüll, Lauch von Josef Winkler über Holzkohle gegrillt, Erdäpfel, fermentierter Lauchsaft, Nussbuttercrème, Sellerie-Maggi
Kaviar von Walter Grüll, Lauch von Josef Winkler über Holzkohle gegrillt, Erdäpfel, fermentierter Lauchsaft, Nussbuttercrème, Sellerie-Maggi
Goldrübe im Gletscherschliff gebacken und glasiert, tomatengebeizter geflämmter Bluntausaibling, roh marinierte Chioggiarüben und Fichtenwipfel, Fichten-Tomatenfond und Physalis
Goldrübe im Gletscherschliff gebacken und glasiert, tomatengebeizter geflämmter Bluntausaibling, roh marinierte Chioggiarüben und Fichtenwipfel, Fichten-Tomatenfond und Physalis
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Döllerer braucht die Sterne natürlich nicht, lebt von und mit Stammgästen, pflegt nebenbei Kollegialität: auch so typisch österreichisch. Er habe vor vielen Jahren bei Dieter Müller gearbeitet, dem Drei-Sterne-Koch, der einst nahe Köln Furore machte, verrät er dem Gast nach dem Essen an der Bar, hält seitdem Verbindungen nach Deutschland. Dem Kollegen, der ihn neulich anrief und nach Mitarbeitern fragte, konnte er aber auch nicht helfen. Personalengpässe kennt man auf dem österreichischen Lande ebenfalls, fähige Sommeliers oder Köche in die Ferne auszuleihen, kommt nicht infrage. Vielleicht ist die Lage hier in Golling aber doch ein bisschen entspannter als anderswo. Wertschätzung, Heimatverbundenheit, Traditionsbewusstsein sind ja keine schlechten Voraussetzungen, um Mitarbeiter zu gewinnen und zu binden.

Weltläufig darf es dann aber auch sein. Döllerer lässt Alpin-Ramen auftragen, eine Nudelsuppe, wie man sie in dieser Intensität selbst in Tokyo, Peking oder Singapur nicht allzu häufig bekommt. Dinkelramen, das zwei Tage gebeizte Ei, Kohl und Mangold, ein bisschen Bio-Hendl. Würde so etwas in Berlin gereicht, in London oder Kopenhagen, ständen die Voter der 50 Best wohl Schlange. Im Döllerer stehen sie nicht. Nur das Steirereck in Wien vertritt im berüchtigten Ranking die österreichische Gastronomie. Just an diesem Tag werden die Gewinner zelebriert, in Antwerpen, im Scheinwerferlicht, mit San-Pellegrino-Begleitung. Döllerer weiss genau, was dort gerade vor sich geht. Vielleicht schimmert nun doch ein bisschen Wehmut durch, international nicht gar so wahrgenommen zu werden wie andere?

Luxusweine und Eierspeisen
Man könnte sich zu Suppe, Fisch und Fleisch natürlich mit österreichischem Wein begnügen; die Auswahl an Grünen Veltlinern aus der Wachau ist gigantisch, und an Rotweinen aus dem Burgenland ist alles da, was Rang und Namen hat. Aber man findet auch Reifes aus dem Jura, aus Burgund oder Savoyen – manchmal günstiger als in Frankreich. Wer nicht die Weinbegleitung nimmt, läuft übrigens Gefahr, einen der Sommeliers zu enttäuschen. Die mit Diplom oder jenen mit Mastertitel.

Ausser der normalen Abstimmung von Weinen und Speisen existiert auch eine, die Luxustropfen aneinanderreiht und 385 Euro für sieben Gläser kostet. Es gibt sie ja, die Nachfrage nach Verfeinerung – warum sollte man sie nicht stillen? Angemessen geschäftstüchtig sind sie, die Österreicher. Aber erstens ist keiner gezwungen, teuer zu konsumieren, zweitens wird auch das Edelste mit jenem Schmäh gereicht, der jedweden Gedanken an Protz auf der Stelle zunichtemacht. Und drittens holt einen spätestens das Frühstück am nächsten Morgen wieder auf den Boden der Austria-Tatsachen zurück, sollte man doch mal kurz abgehoben sein. Semmeln, Aufstriche, Eierspeisen repräsentieren beste Regionalität. Die Wurst sucht man sich selbst in der Metzgerei nebenan aus. Nur Peter Alexander ist um diese Tageszeit noch nicht im Dienst.

Verlagspartnerschaft: Der thematische Input für diesen unabhängig recherchierten Artikel stammt von Österreich Werbung. Reisetipps und Infos gibts online: austria.info/kulinarik.

Ein gastronomisches Imperium
Metzgerei, Weinhandel, Wirtshaus und Gourmetrestaurant sind Teile des Döllerer-Imperiums, und auch die Hotelzimmer und die Bar gehören dazu, neuerdings ausserdem der imposante Terrassengarten, der hinter dem Haus in die Höhe steigt.

Döllerer Genusswelten
Markt 56, 5440 Golling, Österreich
+43 6244 42200
doellerer.at

Mozart, Sacher und die Legende der Bischofsgeliebten
Kulinarische Traditionen gibt es nicht nur in Österreich; auch die Schweiz schwärmt ja von der Klassik. Nur dass man dort gern trennt. Hier die deftigen Delikatessen fürs Volk, dort die feinen Köstlichkeiten; beide Welten haben auch in Deutschland selten viel miteinander gemein. In Österreich ist das anders. Die Klassik wird gepflegt, und zwar bis in die Gourmetgastronomie hinein. Sachertorten zum Beispiel (angeblich 1832 entstanden), Mozartkugeln (ziemlich sicher im Jahre 1890 erfunden) oder Salzburger Nockerln (Sechzehnhundertundnochwas angeblich von der Geliebten eines Erzbischofs gebacken). Zumindest die letzte Anekdote sagt einiges über den Charakter der Österreicher aus. Eine Mozartkugelpraline wird übrigens auch im Döllerer serviert, ganz zum Schluss, zusammen mit Esterházyschnitte und Linzertorte. Grandios!