Soll man schreiben, dass Döllerer gleich Golling sei?
Normale Restaurants bieten einen Sommelier auf oder lassen den Weinservice von irgendwem zusätzlich verrichten. Sehr wenige Lokale verfügen über einen Sommelier mit Titel. Master Sommeliers sind gar so selten wie eine totale Sonnenfinsternis. Und im Döllerer, dem gemütlichen Restaurant in Golling an der Salzach? Da gibt es gleich mehrere Diplom-Sommeliers und an der Spitze einen Master Sommelier, den einzigen aktiven in ganz Österreich. Ein netter Herr, jugendlich noch, der ein ganz bisschen so ausschaut und redet wie Peter Alexander. Ob das nur der Eindruck des Zugereisten ist oder ob jene unnachahmliche Melange aus Charme, Schmäh und einem Hauch von Dialekt fast allen Österreichern eigen ist, muss offenbleiben.
Tatsache ist, dass Obersommelier Alex Koblinger selbstbewusst mit Name und Titel zeichnet und, bittet man nicht unverzüglich um mündliche Empfehlungen, gern die Weinkarten reicht. Es sind mehrere, eine umfangreicher als die andere. Weissweine hier, Rotweine da, spezielle Empfehlungen eh. Na geh! Rufen alle, die sich zumindest ein paar Brocken Austriakisch angeeignet haben, und fangen an nachzuzählen. Ein Unterfangen, das von Vornherein zum Scheitern verurteilt ist, denn so lang ist das längste Döllerer-Menü nicht, als dass man hier fertig würde mit der Überprüfung.
Das Staunen beginnt
Nun sind Tausende von Weinsorten und Hunderttausende von Flaschen ja erklärbar mit der langen Tradition des Hauses, mit dem gleichzeitig betriebenen Weinhandel, mit den vielen Jahren, die sich das Haus, einst eine Metzgerei, etabliert hat. Man ist gewachsen und heute ein Imperium. Soll man schreiben, dass Döllerer gleich Golling sei? Das wäre zu viel, denn da gäbe es ja noch die Burg, gleich nebenan. Oder den Wasserfall. Doch als Attraktion gilt der Gasthof ja schon, und Andreas Döllerer, der Küchenchef, wird bei Wikipedia als eine der Persönlichkeiten des Ortes benannt, ein paar Zeilen nach Joseph Mohr, dem Priester und Dichter des Weihnachtsliedes Stille Nacht.
Döllerer leitet übrigens die Küche, aber er ist nicht die einzige Person dieses Namens, die man hier trifft. Die Frau, der Onkel, die Brüder, die Schwägerin, die Nichte – da wimmelt es nur so von Menschen mit dem berühmten Namen, die Grüss Gott sagen und dem Gast den Weg weisen. Hin zum Gourmetrestaurant oder doch lieber zum Wirtshaus. Haben anderswo in der Welt viele Lokale die Zweiteilung abgeschafft (oder gar nie eingeführt), ist sie in Österreich quicklebendig. Kleine Gourmetstuben gibt es landauf, landab, und bei Döllerer ist sie eben gross, die Edelstube, ein elegantes Restaurant. Ein bisschen Ländlichkeit darf trotzdem sein. Muss sie sogar. Die ersten essbaren Kleinigkeiten deklinieren die kulinarischen Welten der Region durch. Radieschen stehen für den Flachgau, der Steckerlfisch für den Tennengau, die Schalotten repräsentieren den Pinzgau.
Weltläufigkeit mit Nudelsuppe
Stellt sich nur die Frage, wie man es in der Fine-Dining-Abteilung schafft, sich abzuheben von all den Köstlichkeiten, die in der Wirtschaft, dem Zweitlokal, auf den Teller kommen. Allenfalls in Bayern, gar nicht weit entfernt, bekommen es die Wirte hin, die bürgerliche Küche klammheimlich derart zu verfeinern, dass man als Schweizer oder Norddeutscher ratlos schaut. Ist denn das Wiener Schnitzel vom Tromörthof-Kalb mit hausgemachten Preiselbeeren noch Zweitküche, ist das Wildhendl mit Haxenravioli und karamellisiertem Paprikakraut dem Gourmetmenü nicht schon fast ebenbürtig? Restaurantkritik stösst hier noch nicht an ihre Grenzen, aber sie dringt schon fast in den roten Bereich vor.
Immerhin kommt, um wieder in den grünen zu gelangen, nun der Kaviar (von Walter Grüll) mit Lauch (von Josef Winkler), der über Holzkohle (kein Lieferant angegeben) gegrillt wird. Dazu fermentierter Lauchsaft, Nussbuttercrème, Sellerie-Maggi. Das ist gut. Das wäre Sterne-Küche, wenn es in Österreich ausserhalb von Wien und Salzburg Sterne gäbe. Gibt es bekanntlich nicht, weil Michelin derzeit keinen eigenen Guide fürs Alpenland machen mag. Dass ihn die Nicht-Sterne wurmen, würde übrigens kaum ein österreichischer Koch offen zugeben. Dass der Gault & Millau und À la carte nicht dasselbe Renommee haben, sagt vorsichtshalber auch keiner.