
«Viereckiges Porzellan kann Gäste nervös machen.»
Sie sagen, das Restaurant The Fat Duck von Heston Blumenthal sei das Beste, was Sie je gesehen haben. Warum?
Cornelius Speinle: Ich denke einfach, dass es wenige Restaurants auf dieser Welt gibt, die etwas Ähnliches überhaupt hinkriegen, die auch nur annähernd an dieses Level und dieses Wissen herankommen.
Was sind die Gründe dafür?
Heston Blumenthal ist kein gelernter Koch, das spürt man einfach. Ganz egal, wie viel Wissen man als Koch mitbringt, bei ihm fängt man wieder bei null an. Weil Blumenthal nicht mit einer Kochlehre vorbelastet ist, erarbeitet er sich andere Wege. In der Lehre zeigen sie einem zum Beispiel, wie man etwas schmort, und so machen es dann alle. Im The Fat Duck hingegen gibt es zwei Labore, in denen an neuen Gerichten und Techniken geforscht wird. Statt klassisch zu schmoren, legt man die Dinge auch mal in eine Salzlake. Es wird zweimal pro Tag Glace produziert, damit keine Eiskristalle entstehen können. Die Entwicklung von Blumenthals Interpretation einer Schwarzwälder Kirschtorte dauerte zwei Jahre. Die Rezepturen sind so ausgearbeitet, dass sie makellos sind. Es ist einfach eine andere Welt.
Welche Erkenntnisse haben Sie in dieser Zeit gewonnen?
Wir führten zum Beispiel eine Studie mit 5000 Menschen durch. Dabei kam heraus, dass die Teilnehmer für Gerichte, die in einem 45-Grad-Winkel angerichtet sind, am meisten zu zahlen bereit waren. Auf schwarzen Tellern muss man 15 Prozent mehr zuckern und salzen, weil Schwarz den Geschmackssinn hemmt, viereckiges Porzellan hingegen kann Gäste nervös machen. Wenn man solche Dinge weiss, kann man damit spielen.
Wie kriegt man im The Fat Duck eigentlich eine bezahlte Stelle?
Ich musste Probearbeiten und Referenzen einreichen. Zudem haben sich einige meiner ehemaligen Chefs für mich eingesetzt. Zuerst war ich Chef de Partie, später dann Saucier, auch im Labor durfte ich eine Zeit lang arbeiten.
2013 kehrten Sie aus London zurück und eröffneten in Schlattingen ein Gourmetrestaurant mit gerade mal 16 Plätzen. Sie spinnen schon ein bisschen.
Als 27-Jähriger ohne Mittel und Namen war es mir schlicht nicht möglich, zum Beispiel in Zürich etwas aufzumachen. Pacht und Löhne sind in der Stadt einiges höher als hier und wir haben keinen Sponsor im Rücken. Der Anfang war wirklich schwierig. Mit den Auszeichnungen von Gault & Millau und Michelin wurden die Gäste dann aufmerksam auf uns.
Hand aufs Herz: Rentiert der Laden?
Wir sind auf einem guten Weg. Klar, es dürften immer ein paar Gäste mehr sein. Zu Beginn war ich mit einem Koch in der Küche und meine Frau im Service. Dass wir jetzt zu dritt in der Küche wirken können, ist ein gutes Zeichen. Wir arbeiten mit nur einem Menü. Das hilft bei der Kalkulation, wir backen zum Beispiel jeden Tag genauso viele Brötchen, wie wir brauchen. Überschuss gibt es bei uns nicht. Deshalb können wir aber auch keine Laufkundschaft empfangen.
Hatten Sie jemals Zweifel?
Eigentlich nicht. Wenn jemand sportlich ist, sich zum Ziel setzt, die 100 Meter unter zehn Sekunden zu rennen, und seinen gesamten Ehrgeiz reinlegt, dann wird er es irgendwann schaffen. Wenn er einfach nur an den Start geht und mal schaut, was er erreichen kann, wird er hingegen scheitern. In diesem Restaurant steckt sehr viel Passion und sehr viel Arbeit. Ich gebe mein gesamtes Herzblut hier rein. So ist es machbar.
Woher kommt dieser Ehrgeiz?
Ich habe gesehen, was in England möglich ist. Blumenthals Küche ist nicht viel grösser als diese hier. Und ich schaue das Glas als halbvoll an, das ist das Allerwichtigste.