«Natürlich können nicht alle so verrückt sein wie ich.»
In Ihrem Team heisst es: Claudia Pronk ist das Nira Alpina, das Nira Alpina ist Claudia Pronk. Wie sehen Sie das?
Claudia Pronk: Das stimmt irgendwie. Ich stehe voll hinter dem Hotel, nehme es sehr persönlich und viel mit nach Hause – auch wenn ich am Ende die Managerin bin, nicht die Eigentümerin.
Inwiefern setzen Sie diese Identifikation mit dem Betrieb bei Ihren Leuten voraus?
Tatsächlich erwarte ich von meinen Angestellten viel. Darüber denke ich ab und zu nach: Kann ich die Latte für sie so hoch legen wie für mich?
Und?
Ich denke schon. Natürlich können nicht alle so verrückt sein wie ich, aber in unserem Team sind viele sehr gern hier und scheuen sich nicht, ein bisschen mehr zu machen. Es zählen jedoch nicht nur die Stunden und Tage, sondern geht auch um die inhaltliche Identifikation: Wir sind das Nira Alpina, wir wollen hier einen bestimmten Stil pflegen. Meine Leute wissen, dass ich mich überall einmische und Bescheid wissen will, aber ich lasse ihnen auch viele Freiheiten. Sie dürfen mitbestimmen, Ideen einbringen. Ein gutes Beispiel ist das Schutzkonzept, das wir während der Pandemie hatten.
Erzählen Sie!
Seit Ausbruch der Pandemie vor zwei Jahren redeten wir viel, fällten alle Entscheidungen diesbezüglich im Team. Tragen wir auch nach Wegfallen der behördlichen Anordnung noch Maske? Wie kulant sind wir bei Stornierungen? Für mich ist der Leitfaden immer: das Richtige tun, also nicht nur nach Lehrbuch handeln, sondern eine Situation individuell anschauen. Ich komme von grossen Ketten und habe bei diesen wahnsinnig viel gelernt, aber im Nira Alpina ist es eben schön, dass wir unseren eigenen Weg definieren, flexibel reagieren können. Klar haben wir Guidelines, was Stornierungen angeht, aber wenn die Absage eines Gastes, der jedes Jahr bei uns Ferien macht und im Restaurant isst, genau in die Stornofrist fällt, machen wir vielleicht auch mal eine Ausnahme. Ich gebe den Rahmen vor, innerhalb dessen mein Team entscheidet. Es ist spannend, zu sehen, was passiert, wenn man Menschen die Verantwortung überträgt.
Wie wählen Sie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus?
Zuallererst: nach ihrer Freundlichkeit. Ob jemand die Kasse schon versteht oder mit dem Buchungssystem umgehen kann, ist in dem Moment irrelevant.
Fachkräftemangel macht dem Schweizer Gastgewerbe zu schaffen. Wie geht es Ihnen?
Das Thema beschäftigt uns auch. Im Housekeeping haben wir viele langjährige Angestellte, für diese Konstanz bin ich sehr dankbar, gerade auch, weil Hygiene noch wichtiger wurde. Andere Bereiche sind schwierig, Service zum Beispiel. Da zerbrechen wir uns den Kopf darüber, wie wir die Positionen attraktiver gestalten könnten. Mit vielen Teildiensten ist der Job noch recht altmodisch konzipiert.
Woran denken Sie?
Vielleicht könnten wir einen Durchdienst einführen, sodass jede und jeder im Team zwei-, dreimal die Woche keine Zimmerstunde hätte. Dafür müssen wir allerdings unser Lunchbusiness ankurbeln, denn wenn wir nur Frühstück und Abendessen haben, ergibt sich dazwischen eine Pause. Wie auch immer: Leute für den Service zu finden bleibt eine Herausforderung. Wir haben dieses Jahr zum ersten Mal auch Menschen im Team, die bei Stellenantritt kein Deutsch sprachen. Das geht gegen mein Prinzip, aber die Situation erfordert, dass man gewisse Regeln irgendwann über Bord wirft. Ich glaube, dass die Gäste mit ein paar Angestellten, die die Sprache nicht beherrschen, umgehen können. Das A und O ist, dass sie sich gut aufgehoben fühlen. Das gilt überall auf der Welt.
Aber unterscheidet sich die Vorstellung davon nicht je nach Kultur?
Die Basis ist immer das Bedürfnis, sich wohlzufühlen. Aber ja, bei der Umsetzung erwarten die Menschen in Asien sicher etwas anderes als hier.
Sie sind in der Welt herumgekommen. Wie fliesst diese Erfahrung ins Nira Alpina ein?
Ich glaube, da blieb viel Asien hängen. In Bezug aufs Essen, aber auch in meiner Einstellung. Ob auf den Malediven oder in Bangkok: Ich hatte mit sehr fordernden Menschen zu tun, bewegte mich in einer Kultur, in der erwartet wird, dass man alles für die Gäste macht und rund um die Uhr zur Verfügung steht. Da muss man schlucken können, was ich nicht schlecht finde: es nicht persönlich nehmen und eine Lösung suchen. In der europäischen Kultur wird das Dienen leider als etwas Minderwertiges angesehen, in Asien jedoch sind die Leute stolz auf diesen Job. Ich lernte in den Jahren sicher auch, mit vielen Menschen zusammenzuarbeiten, egal, woher sie kommen.
Wie war das?
Auf den Malediven hatten wir 24 Nationalitäten im Team. Die mussten alle miteinander im Resort essen, schlafen, leben. Auf sehr wenig Raum.
Konflikte sind da programmiert.
Statistisch gesehen, müsste es fast jeden Tag eine Schlägerei geben, aber erstaunlicherweise funktioniert das. Man muss den gemeinsamen Nenner kennen: Alle leben weit entfernt von ihren Familien. Nummer eins in der Personalunterkunft war deshalb funktionierendes Internet, Nummer zwei das Essen, Nummer drei das Cricket-Feld. In dieser Reihenfolge. Wenn das passte, war alles gut. Auf einer Insel unternimmt man viel Soziales im Team, ich musste auch Cricket spielen oder Karaoke singen. Da lachten sich jeweils alle tot.