06.10.2017

«Unser Essen ist ein Klimakiller»

Text: Virginia Nolan – Fotos: z. V. g.
Das ETH-Startup Eaternity lanciert eine neue App, die Gastronomen zeigt, wie sie klimafreundlicher kochen können. Mitgründerin Judith Ellens erklärt, wie das funktioniert.
Die neue Eaternity-App ermöglicht Köchen, die Klimabilanz eines Menüs von der Produktion bis auf den Teller zu berechnen.
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«Ein Cheeseburger hat die gleiche Auswirkung aufs Klima wie 500 Stunden Fernsehen.»

Ab 2018 werden Sie klimafreundliche Restaurants mit dem «Eaternity Award» auszeichnen. Worauf müssen Gastronomen achten, die etwas für den Klimaschutz tun wollen?
Judith Ellens: 
Zuallererst sollten sie mehr pflanzliche Nahrung auf die Speisekarte setzen. Dass wir mehr Gemüse, Früchte und Vollkornprodukte essen, ist die wichtigste Voraussetzung, damit unser Essen klimafreundlicher wird. Erfreulicherweise gibt es immer mehr Gastronomen, die Gemüse nicht als Beilage sehen, sondern ins Zentrum rücken. Das ist, wenn Sie so wollen, der zukunftstauglichste Trend. An zweiter Stelle kommt eine saisonale Küche: Köche tun viel fürs Klima, wenn sie auf Gemüse aus Gewächshäusern verzichten. Die verbrauchen in der Regel sehr viel Energie für Beleuchtung, Bewässerung und Heizung. Im Winter ist tiefgekühltes oder konserviertes Gemüse klimaverträglicher als Gemüse aus dem Gewächshaus. An dritter Stelle kommt der Fokus aufs Regionale. Wenn wir essen, was in unserer Umgebung und ohne beheiztes Gewächshaus wächst, trägt dies dazu bei, die durch unseren Lebensmittelkonsum verursachten Treibhausgase zu reduzieren.

Wie stark fallen diese denn überhaupt ins Gewicht?
Weder der Verkehr noch Stromverbrauch oder Heizung sind Hauptverursacher für den Klimawandel, es ist unsere Ernährung. Die Nahrungsmittelkette ist verantwortlich für einen Drittel der weltweit ausgestossenen Treibhausgase, dabei entfallen allein 80 Prozent auf die Produktion. Ein Cheeseburger hat die gleiche Auswirkung aufs Klima wie 500 Stunden Fernsehen. Die gute Nachricht: Es liegt in unserer Hand, etwas zu ändern, und es ist nicht einmal schwer. Würden wir uns in der Schweiz bereits dreimal pro Woche klimafreundlich ernähren, hätte dies aufs Klima die gleiche Wirkung, wie wenn auf unseren Strassen 750 000 Autos weniger unterwegs wären.

Die neue Eaternity-App soll Gastronomen Aufschluss geben darüber, wie klimafreundlich sie kochen. Wie funktioniert das?
Wir haben in den vergangenen Jahren die weltweit grösste CO₂-Datenbank für Nahrungsmittel aufgebaut. Sie umfasst 76 000 Menüs, die aus über 4600 Nahrungsmittelkomponenten bestehen. Diese Daten erlauben uns, die Klimabilanz eines Menüs von der Produktion bis auf den Teller präzise zu berechnen. Köche können ihre Rezepte in die App eingeben und erfahren, was die Wahl ihrer Produkte in Bezug auf Klima, Wasserverbrauch oder Waldabholzung bedeutet. Sie sehen auch, wie ihr Gericht im Vergleich zu den anderen Menüs in der Datenbank abschneidet. Der «Vita Score» verrät dagegen, ob ein Menü als gesund einzustufen ist oder nicht.



«Erfreulicherweise gibt es immer mehr Gastronomen, die Gemüse nicht als Beilage sehen, sondern ins Zentrum rücken», sagt Judith Ellens, Mitgründerin und wissenschaftliche Leiterin von Eaternity.
«Erfreulicherweise gibt es immer mehr Gastronomen, die Gemüse nicht als Beilage sehen, sondern ins Zentrum rücken», sagt Judith Ellens, Mitgründerin und wissenschaftliche Leiterin von Eaternity.

Was bedeutet gesund in dieser Hinsicht?
Hierbei stützt sich unsere Analyse auf die Forschungsdaten von «Global Burden of Disease», einem wissenschaftlichen Projekt, an dem unter anderem die Weltgesundheitsorganisation beteiligt ist. Vereinfacht gesagt ermittelt der «Vita Score» auf unserer App, wie sehr die Komponenten in einem Menü dazu beitragen, das Risiko von ernährungsbedingten Zivilisationskrankheiten wie Krebs, Herz-Kreislauf-Krankheiten oder Diabetes aktiv zu senken. Auch in dieser Hinsicht gibts in der Gastronomie Luft nach oben.

Inwiefern?
Eine repräsentative Untersuchung von Eaternity in der Schweizer Gastronomie zeigt, dass lediglich 30 Prozent der servierten Mahlzeiten als gesund einzustufen sind – und weitere 30 Prozent als klimafreundlich. Gesund und klimafreundlich zugleich sind derweil lediglich 10 Prozent der aufgetischten Speisen. Es wäre schön, wenn sich diese Schnittmenge erhöhen würde.

Die Eaternity-App speziell für Köche wird spätestens Anfang 2018 betriebsbereit sein. Mehr Informationen zu Eaternity gibt's auf www.eaternity.org.