15.11.2017 Salz & Pfeffer 8/2017

Unter der Cloche

Text: Delia Bachmann
Mithilfe von manipulationssicheren Kassensystemen rückt der Fiskus im nahen Ausland Steuerhinterziehern aus der Gastronomie auf den Leib. In der Schweiz ist das kein Thema. Trotzdem tut eine saubere Kassenbuchführung not.
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«Die Kasse hat eine steile Karriere hinter sich.»

Es wäre überzogen, die Kasse als Herz oder Seele einer Gaststätte zu bezeichnen – zu viel Hartschalenplastik, zu wenig Gefühl. Der Status eines lebenswichtigen Organs gebührt ihr aber allemal, ohne sie käme der Service ebenso ins Rotieren wie der Pilot ohne seine Instrumente: Die Kasse eröffnet, splittet und schliesst Tische, kommuniziert mit der Küche, berechnet Rabatte, druckt Belege und erinnert den Service erst mit gelber, dann mit roter Ampelfarbe daran, wieder einmal bei Tisch sieben vorbeizuschauen. Auch der Wirt profitiert von der Gedächtnis- und Rechenleistung der Maschine; sie behält im Hintergrund den Lagerbestand im Blick, bereitet die Buchhaltung vor und spuckt bei Bedarf Umsatzstatistiken aus. Ohne Frage: Die Kasse hat eine steile Karriere hinter sich, die als mehrbessere Geldschublade begann und als virtuelles Gehirn einer fast jeden Gaststätte ihren vorläufigen Höhepunkt findet.

Die Kasse spielt auch immer eine tragende Rolle, wenn jemand Geld am Unternehmen oder am Fiskus vorbei in die eigene Tasche schleust. So zum Beispiel der Mitarbeiter des Zürcher Globus-Restaurants, der 2013 insgesamt 56 000 Franken mithilfe von Zwischenquittungen und nachträglich stornierten Buchungen «verdiente». Wie sich im Trainingsmodus registrierte Mittagsmenüs und nachträglich stornierte Rechnungen zu Steuerausfällen in Millionenhöhe zusammenläppern können, zeigt ein viel beachteter OECD-Bericht von 2013. Der Fokus auf die Gastronomie ist dabei kein Zufall; als bargeld-intensive Branche gilt sie – wie auch der Detailhandel – als besonders anfällig für Diebstahl und Steuerhinterziehung.

Zumindest im nahen Ausland soll solchem Treiben nun ein Ende gesetzt werden. In Österreich geht seit dem 1. April kein Schnitzel mehr unregistriert über den Tresen – und kein Gast ohne Quittung zur Tür raus. Die Daten der Transaktionen müssen verschlüsselt und auf einem externen Gerät gespeichert werden, damit sie das Finanzamt jederzeit exportieren kann. In Deutschland sind Kassendaten ab 2020 manipulationssicher zu speichern. In Italien ist das ein alter Zopf: Den sogenannten Fiskalspeicher kennt man hier seit 1983, die Belegpflicht seit 1987. Und in Frankreich tritt 2018 ein neues Gesetz in Kraft, das die Einführung zertifizierter Kassen fordert, von Experten aber als zu wenig sicher kritisiert wird.

In der Schweiz sind manipulationssichere Kassen zwar erhältlich, aber kein Thema. Zwar prüft die Eidgenössische Steuerverwaltung jedes Jahr Gastronomiebetriebe – 2017 waren es 477 Kontrollen, 2016 deren 667 –, führt aber keine Statistiken über manipulierte Registrierkassen. Und die Finanzdirektion der Stadt Zürich schreibt gar, dass ihr keine Fälle bekannt seien. Bei den eigenen Betrieben ging die Stadt im Jahr 2009 auf Nummer sicher: Die interne Revision beauftragte ein externes Unternehmen damit, die Kassen der städtischen Restaurants zu überprüfen und wenn nötig manipulationssicher zu machen.

«Die Zahl von verurteilten Steuerhinterziehungsdelikten in der Schweizer Gastronomie ist sehr tief», sagt Jakob Huber von der Treuhandfirma Gastroconsult. Dass es eine Dunkelziffer geben muss, bestreitet er zwar nicht, im Grossen und Ganzen beurteilt er die inländische Steuerehrlichkeit allerdings als «gut». Ein viel grösseres Problem für die Branche ortet Huber in der unsauberen Kassenbuchführung, welche die Existenz von so manchem Restaurant bedrohen kann (siehe Kasten). Auch Daniel Deutscher, Gründer der Deka Gastronomie-Treuhand AG, glaubt nicht an flächendeckende Steuerhinterziehung in der helvetischen Gastronomie: «99,9 Prozent der Gastronomen verfügen nicht über das Know-how, um die Registrierkasse beziehungsweise das Protokoll, das im Hintergrund läuft, zu manipulieren.»

Bei den Anbietern von Kassensystemen schaut die Situation wieder ein bisschen anders aus. «Die Kunden fragen nicht direkt nach Möglichkeiten zum Tricksen, aber je nach Situation kann man es sich denken. Zum Beispiel, wenn der Besitzer einer kleinen Bar ohne viel Personal nach einem Trainingsschlüssel fragt», sagt etwa Roger Roth von der Cashpos St. Gallen GmbH. Auch André Etter von der Baldegger + Sortec AG erhält ähnliche Anfragen: «Fast jeder fragt nach einem Trainingsschlüssel, vermutlich aus Gewohnheit.» Der Unterschied: Während Etter seinen Kunden eine manipulationssichere Kassensoftware verkauft, vertreibt Cashpos St. Gallen die ebenfalls aus Deutschland importierten Kassen mit einer auf die Schweiz angepassten Software – unter anderem ausgerüstet mit einem Trainingsmodus.

Unsaubere Kassenbuchführung
Schlecht geführte Bücher können das Ende eines Gastronomiebetriebs bedeuten. Computerbasierte Kassensysteme verstärken dabei den Trend zu unsauberer Buchführung: «Heute druckt zum Beispiel kaum einer mehr die Kassenprotokolle aus. Wird das Gerät ersetzt, gehen die Daten darauf meist verloren», sagt Treuhandexperte Daniel Deutscher. Kommt es deshalb zu einer Einschätzung durch den Steuerprüfer, werden mitunter horrende Nachsteuern fällig. Dem gesetzestreuen Wirt verbleiben somit zwei Möglichkeiten. Entweder er kauft sich freiwillig ein manipulationssicheres Gerät, oder er setzt sich allabendlich hin, stürzt die Kasse, zählt, was rausging, was reinkam sowie was bleibt und trägt es ins Kassabuch ein, mit Füllfeder oder, wer es moderner mag, mit Kugelschreiber.