11.02.2020 Salz & Pfeffer 1/2020

Unter der Lupe

Interview: Virginia Nolan – Fotos: Jürg Waldmeier
Für die Sonntagszeitung stellt Karl Wild jährlich «Die 125 besten Hotels der Schweiz» zusammen. Der Journalist erzählt, wie er Gastgebern auf den Zahn fühlt und wieso es in der Schweizer Hotellerie und Gastronomie allen Grund für Optimismus gibt.
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«Aufschlussreich sind Gespräche mit Zimmermädchen.»

Sie gelten seit über 20 Jahren als profiliertester Hoteltester der Schweiz. Wie hat sich die Branche während dieser Zeit verändert?
Karl Wild: Ich beobachte fast nur positive Entwicklungen. Die Schweizer Luxus-hotellerie gehört dank gewaltiger Investitionen von Privatpersonen wieder zur Weltspitze. Im Drei- und Vier-Sterne-Bereich gibt es etwas Nachholbedarf, doch insgesamt haben auch diese Häuser grosse Fortschritte gemacht. Zu dieser Entwicklung beigetragen hat auch eine neue Generation von Hoteliers. Diese verkörpern nicht mehr den Patron, der unantastbar ist, sondern sind Teamplayer.

Ausländische Investoren stecken Hunderte Millionen von Franken in Schweizer Hotelprojekte. Wo bleiben eigentlich die einheimischen Geldgeber?
Diese Investoren aus Asien und dem Nahen Osten sind insgesamt ein eher neues Phänomen. Sie stehen im medialen Rampenlicht, und so entsteht der Eindruck, es mangle an Schweizer Investoren. Das Gegenteil ist der Fall: Die grossen Investitionen kamen meist von einheimischen Geldgebern. Man denke an Thomas Schmidheiny und das Grand Resort in Bad Ragaz, Urs Schwarzenbach und das Dolder Grand oder Thomas Straumann und das Les Trois Rois in Basel. Sie sind nur ein paar von vielen Schweizer Investoren, die ohne grosses Aufsehen eine Menge Geld in die Branche steckten. Dem Gast ist es eigentlich wurscht, wem ein Haus gehört. Ihn interessiert, ob das Hotel gut ist.

In dieser Frage sind Sie Profi. Worauf achten Sie als Hoteltester?
Ich gehe stets nach den gleichen zehn Kriterien vor. Dazu gehören beispielsweise das Preis-Leistungs-Verhältnis, Charakter und Originalität des Hauses oder die Resultate der Qualitätskontrollen durch führende Hotelvereinigungen. Ich lege Hoteliers ans Herz, der Rezeption höchste Beachtung zu schenken. Sie ist die Visitenkarte des Hauses. Sitzt da einer, der unfreundlich ist, steht das Gästeerlebnis unter einem schlechten Stern.

Ihnen passiert das vermutlich nicht – die Leute kennen Sie.
Ja, und natürlich habe ich es deshalb auch mal mit gespielter Freundlichkeit zu tun. Über zwei Tage, die ich jeweils bleibe, lässt sich die aber nicht aufrechterhalten. Dann merke ich schnell: Die haben keine Freude am Job. Das ist der schlimmste Eindruck, den ein Gastgeber vermitteln kann. Und wenn sich alle nur um mich kümmern, läuft in der Regel nebenan alles falsch. Das ist entlarvend. Sobald ich eingecheckt habe, treibe ich mich im Hotel herum, beobachte, rede mit den Leuten, fühle der Atmosphäre auf den Zahn. Besonders aufschlussreich sind Gespräche mit den Zimmermädchen. Ich bewerte ein Hotel anschliessend nach einem Punkteverfahren. Das Zünglein an der Waage spielt aber immer der subjektive Eindruck, der sich mir auf meinen Streifzügen durchs Haus bietet.

Wie wurden Sie zum Hotelexperten?
Das war Zufall. In den Achtzigerjahren war ich als Sportredaktor oft im Ausland. Damals entdeckte ich meine Liebe zuHotels. Die Faszination des Unbekannten, Menschen aus aller Welt, die da ein und aus gehen – Hotels sind einfach sexy. Jedenfalls ging ich später zur Bilanz, bei der Ratings ein Riesenthema waren, nachdem man gemerkt hatte, wie die Leser darauf abfahren. In einer Redaktionssitzung kam die Idee auf, dass wir nebst den reichsten Schweizern auch eine Rangliste der besten Schweizer Hotels veröffentlichen könnten. Der damalige Chefredaktor fand, ich sei durch meine Reiserei prädestiniert für den Job. So druckte die Bilanz 1997 mein erstes Hotelrating.

Heute engagieren Sie jeweils auch 16 Tester in geheimer Mission. Wer sind diese Leute?
Sie alle verstehen etwas von der Hotellerie. Manche von ihnen waren lange in der Branche tätig oder aber als Küchenchefs in Top-Hotels engagiert, andere sind Schweizer Hoteliers, die im Ausland ein Haus führen und für mich Hotels unter die Lupe nehmen, wenn sie in der Heimat Ferien machen. Gemein ist allen, dass sie die Sache auf eigene Rechnung und wirklich aus Freude machen. Ich pflege ausserdem eine lose Zusammenarbeit mit ein paar Michelin-Inspektoren.

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Wie relevant sind Onlinekommentare für Sie?
Ich lese sie aus Neugier. Ins Rating fliessen sie nicht mit ein.

Warum nicht?
Einerseits gehen Schätzungen seriöser Quellen davon aus, dass gut ein Drittel dieser Bewertungen gefälscht ist – erkaufte Lobhudeleien beispielsweise oder aber anonymisierte Kritik von Mitbewerbern, die ihren Konkurrenten schaden wollen. Zweitens kenne ich die Erwartungshaltung der Gäste nicht, die da kommentieren. Oft gehen die Meinungen so weit auseinander, dass man daraus nicht schlau wird. Hoteliers berichten mir zudem häufig, dass ihnen Gäste mit einem Verriss drohen, wenn sie kostenpflichtige Leistungen nicht gratis anbieten. Bewertungsportale haben sicherlich ihre Berechtigung, sind aber nur bedingt eine Orientierungshilfe.

Auf Ihre Liste schaffen es vor allem Luxushäuser. Wie beurteilen Sie die Zwei- und Drei-Sterne-Hotellerie in der Schweiz?
Ich ergänze das Rating der 125 Besten jeweils um 15 Trouvaillen, die einige formale Kriterien für die Liste nicht erfüllen, im Hinblick aufs Gästeerlebnis jedoch einzigartig sind. Auch in der Kategorie Nice Price hat es tolle Drei-Sterne-Hotels wie etwa das Chesa Randolina in Sils oder das Spitzhorn in Saanen. Solche Häuser sind ein schöner Beleg dafür, dass auch jenseits der Luxushotellerie eine erfreuliche Entwicklung stattfindet.

Dennoch wird in diesem Preissegment oft Österreich als Musterschüler angeführt und die Schweiz als Servicewüste gerügt.
Diese Behauptung kommt meist von Leuten, die seit 20 Jahren nicht mehr in der Schweiz Ferien gemacht haben. Der Österreich-Vergleich ist abgegriffen. Mit derlei Vorwürfen hat es heute nichts mehr auf sich. Hoteliers aus dem Engadin berichten mir zum Beispiel, dass sie immer mehr Schweizer Gäste zurückgewinnen, die früher nach Österreich oder ins Südtirol gingen. Auch die Preise haben sich angeglichen: Österreich ist teurer geworden, die Schweiz hingegen günstiger. Angestaubte Hotels, deren Leistung sich nur auf ein Bett sowie ein Frühstück beschränkt, sterben aus. So kann heute keiner überleben. Fakt ist auch, dass die Schweiz die bestausgebildeten Leute im Service hat, sowohl fachlich als auch im Hinblick auf ihre Mehrsprachigkeit. Das ist einzigartig.

Der Fachkräftemangel bleibt jedoch Dauerthema in der Branche.
Es tut sich aber auch einiges. Die Verbände leisten viel, um Nachwuchs für gastronomische Berufe zu begeistern. Es liegt jedoch vor allem an den Hoteliers und Gastronomen, diesen jungen Leuten Sorge zu tragen und ihnen klarzumachen, wie wichtig sie für den Betriebserfolg sind. Gerade der Service spielt in dieser Hinsicht eine Schlüsselrolle, das haben Beizer und Hoteliers früher nicht erkannt. Wenn diese Berufssparte im eigenen Betrieb keine Wertschätzung erfährt, ist es kein Wunder, wenn ihr Image auch nach aussen leidet.

Als ehemaliger Chefredaktor des Guide Bleu verfolgen Sie auch die Gastronomie aus nächster Nähe. Wie beurteilen Sie deren Entwicklung?
Sie ist ebenso erfreulich wie die der Schweizer Hotellerie. Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl hat die Schweiz heute europaweit die höchste Dichte an Sterne-Restaurants. Es gab noch nie so viele gute junge Köche wie heute, und zwar nicht nur auf Punkte- und Sterne-Niveau. Sie sind die Zugpferde einer Veränderung, die die Schweiz zu einem kulinarischen Hotspot gemacht hat. Zum Erfolg dieser jungen Küchenchefs trägt bei, dass sie keine Scheuklappen haben.

Wie meinen Sie das?
Sie lassen sich nicht festnageln, sind offen. Grosse Erlebnisküche geht heute Hand in Hand mit raffiniert zubereiteter, bodenständiger Kost. Das Paradebeispiel dafür ist Andreas Caminada. Im Schloss Schauenstein zelebriert er eine phänomenale Drei-Sterne-Küche, ein paar Meter nebenan begeistert er die Gäste in der Casa Caminada mit Maluns und Capuns. Seine Ignivs liegen irgendwo dazwischen. Erfolg hat er mit allen Konzepten. Das zeigt: Alles ist möglich, wenn Qualität, Service und Ambiente stimmen.

Welchen Rat geben Sie Gastronomen?
Sucht aufgestellte Leute, die Freude an ihrem Job haben und sie auch weitergeben. Ein zuvorkommender Service ist das A und O für den Betriebserfolg, vorausgesetzt natürlich, dass auch die Küche stimmt. Übrigens darf man getrost davon absehen, diese mit Schlagwörtern wie «regional», «saisonal» oder «ehrlich» zu bewerben. Wer das noch erwähnen muss, weckt eher Misstrauen.

Karl Wild, geboren 1948 in Chur, lernte Schrift- und Maschinensetzer. Als der Beruf ausstarb, heuerte er als Redaktor bei der Zeitung Sport an. Später stiess er zum Wirtschaftsmagazin Bilanz, das 1997 das erste Schweizer Hotelrating aus seiner Feder veröffentlichte. 2002 machte sich Wild als Publizist, Hoteltester, Ghostwriter und Buchautor selbstständig. Seither werden «Die 125 besten Hotels der Schweiz» jährlich in der Sonntagszeitung veröffentlicht. Seit acht Jahren erscheint das Rating auch in Buchform. Für eine globale Allianz von Luxushotels ist Wild zudem international als Tester unterwegs. Als Buchautor machte er mit Bestseller-Biografien über den Unternehmer Werner H. Spross, den Skitrainer Karl Frehsner oder den Lebemann Hans «Hausi» Leutenegger von sich reden. Für die Aufdeckung der Stalking-Affäre um den ehemaligen Armeechef Roland Nef erhielt Wild 2009 den Zürcher Journalistenpreis.