«Ich wollte zuerst das klassische Handwerk beherrschen, im Leben sollte man nicht alles gleichzeitig versuchen.»
Der Hauptsitz des Weinguts Cru de l’Hôpital liegt etwas ausserhalb des Weindorfs Môtier-Vully, mitten in den Reben und in Sichtweite des Murtensees. Das Gebäude mit dem schicken Betonvordach wirkt auf den ersten Blick wie ein ganz normaler Zweckbau. Doch der Schein trügt. Tatsächlich berücksichtigte Architekt Bernhard Dürig bei der Planung in den Siebzigerjahren die Richtlinien der heiligen Geometrie. Baumeister (insbesondere von Kathedralen) verstehen darunter die Lehre der Welt. Kurz erklärt, glauben sie, dass das Universum nach einem perfekten geometrischen Plan konstruiert ist. Bereits die Ägypter wie auch die Römer und die alten Griechen orientierten sich für ihre Bauwerke an den Grundsätzen der heiligen Geometrie.
«Unser Keller hat die exakt gleichen Proportionen wie der Tempel von Salomon, in dem die Zehn Gebote aufbewahrt waren», sagt Chefönologe Christian Vessaz und freut sich sichtlich über das Erstaunen, das er bei den Besuchern damit erzeugt. Sicher ist: Ein für den biodynamischen Weinbau favorables Umfeld wurde im Cru de l’Hôpital gelegt, lange bevor ihn Vessaz ab 2012 peu à peu einführte. «Die Architektur begünstigt den Energiefluss im Haus, und das wiederum hilft unseren Weinen. Egal, was wir hier ausprobierten; es hat immer von Anfang an funktioniert.»
Vessaz kam direkt aus dem Önologiestudium, als er vor 19 Jahren die Leitung des Weinguts übernahm. «Es war früh und nicht einfach», sagt er rückblickend. Aber die Verantwortlichen – Cru de l’Hôpital gehört der Bürgergemeinde Murten – schenkten ihm viel Vertrauen und eine Carte blanche. «Ich konnte machen, was ich wollte.» Vessaz, der in Môtier-Vully aufgewachsen ist, ging langsam vor, produzierte ein paar Jahre lang konventionell, bis er sich für den biodynamischen Weg entschloss. «Ich wollte zuerst das klassische Handwerk beherrschen, im Leben sollte man nicht alles gleichzeitig versuchen.»
Die in den Dreissigerjahren von Rudolf Steiner entworfenen Methoden der biodynamischen Landwirtschaft sind mittlerweile international anerkannt, auch wenn gewisse Massnahmen, etwa der Einsatz von Kuhhorn im Dünger, etwas abenteuerlich tönen. «Es sind Kräfte, die nicht erklärbar sind, die aber einen Effekt auf unsere Böden und letztlich auf den Wein haben», so Vessaz.
Nur gerade zwölf Prozent aller Schweizer Winzer sind biozertifiziert. Von den biodynamisch produzierenden Weinmachern existieren keine Zahlen, Vessaz schätzt ihren Anteil aber auf zwischen zwei und drei Prozent. In Môtier-Vully sind es mittlerweile drei Winzer von 24. «Zum Glück spürt man beim Wein den Unterschied zu einer konventionellen Produktion», sagt Vessaz. Das mache eine direkte Vermarktung viel einfacher. «So können wir die ganze Wertschöpfung in unsere Böden zurückinvestieren.» Seine 13 Hektaren bewirtschaftet der 43-Jährige ohne jeglichen Einsatz von Pestiziden oder Herbiziden. Erlaubt ist einzig der Einsatz von Kupfer, wobei dieser im Cru de l’Hôpital sehr gering ausfällt. «Gegen den Mehltau spritzen wir pro Jahr etwa zwei Kilo – auf 10 000 Quadratmeter.»
«Es gibt zwei Dinge, die den Wein beeinflussen», so Vessaz. Einerseits sei da die Fotosynthese. Dabei absorbiert die Rebe über ihr Chlorophyll Licht und wandelt es zusammen mit Wasser und Kohlendioxid in Sauerstoff und Glucose um. Letztere bringt den Zucker in die Traube. Der zweite Faktor liegt unter der Erde. Die Wurzeln der Rebstöcke ziehen Mineralsalze aus dem Boden, sie bescheren der Traube die Mineralität und dem Wein seine Komplexität. «Beide Faktoren müssen im Gleichgewicht sein, deshalb sind die Böden derart wichtig.»
Bei der Wahl der Traubensorten vertritt Vessaz eine dezidierte Meinung: «In der Schweiz haben wir zu viel Diversität, wir sollten unseren Fokus auf die Qualität weniger Sorten legen.» Im Fall von Vessaz sind das zweifellos die Chasselas- und die Pinot-noir-Traube.