«Eine vollautomatische Maschine, die gut konfiguriert ist, macht den besseren Kaffee als eine halbautomatische, die von einem ungeschulten Mitarbeiter misshandelt wird.»
Dass der Café crème heisst, wie er heisst, liegt am Kaffeerahm, der mitserviert wird. So weit, so klar? Mitnichten. Tatsächlich rührt die Bezeichnung von der feinen Crema her, die der Café crème aufweist und ihn von seinem Vorgänger, dem Filterkaffee, unterscheidet. Und schon sind wir mittendrin im Verwirrspiel ums meistverkaufte Kaffeegetränk der Schweizer Gastronomie. Denn wie die meisten nicht wissen, woher der Name kommt, so hat auch kaum einer eine Ahnung, was einen guten Café crème von einem schlechten unterscheidet.
Das will Benjamin Hohlmann schleunigst ändern. Der Geschäftsführer der Kaffeemacher GmbH mit Sitz in Münchenstein ist ein glühender Verfechter des (gut gebrühten) Café crème und hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Qualitätsdiskussion zu lancieren. Seine Grundannahme: Wir trinken viel zu oft viel zu schlecht gemachten Café crème – obschon dieser als Massengetränk grosses Potenzial hat, gerade in der Schweiz, die in der Herstellung von vollautomatischen Kaffeemaschinen den Weltmarkt anführt. Und deren Geschichte ist untrennbar mit jener des Café crème verknüpft. Wir schreiten zur Bestandsaufnahme.
In den meisten Schweizer Gastronomiebetrieben steht heute ein Vollautomat. Die halbautomatischen Siebträgermaschinen, die hauptsächlich aus Italien stammen und sich hier Ende der Neunzigerjahre etablierten, sind in der Unterzahl, gelten dafür aber als Inbegriff von Espresso und hochwertiger Kaffeekultur. Doch so einfach ist es nicht, sagt Hohlmann: «Eine vollautomatische Maschine, die gut konfiguriert ist, macht den besseren Kaffee als eine halbautomatische, die von einem ungeschulten Mitarbeiter misshandelt wird.» Nun achtet aber kaum ein Gast beim Betreten des Restaurants auf die Kaffeemaschine – und passt seine Bestellung der Infrastruktur an. Nein, er ordert seinen Café crème auch dann, wenn mit einer Siebträgermaschine gearbeitet wird, deren Zeichen alle auf Espresso stehen. Damit konfrontiert, improvisierte die Schweizer Gastronomie mit dem «Lungo». Hohlmann schüttelts, wenn er nur daran denkt: «Man presst einfach so viel Wasser durch den für den Espresso fein gemahlenen Kaffee, bis die Tasse voll ist.» Die höhere Wassermenge bewirkt eine Überextraktion: Der Kaffee ist nicht nur wässrig, sondern schmeckt auch bitter. Hohlmann demonstriert in seinem Schulungsraum in Münchenstein, was er meint, und bereitet uns nach allen Regeln der Kunst einen schlechten Lungo zu. Schon die Crema verheisse nichts Gutes, sagt er und zeigt auf die hellen Stellen: Die Blondphase hat eingesetzt – ein Zeichen massiver Überextraktion. Und so schmeckt das Resultat dann: schrecklich. Und leider auch schrecklich vertraut.
Immerhin, beschwichtigt Hohlmann, habe man erkannt, dass das nicht funktioniere mit dem Lungo. «Deshalb betreiben immer mehr Gastronomen ihre Espressomaschine mit einer zweiten Mühle, die die Bohnen für den Café crème gröber mahlt.» Das gröbere Mahlgut reduziert die prozentuale Auslösung (unter anderem der Bitterstoffe) aus der Bohne.
Der Café crème gilt als meistverkauftes Kaffeegetränk und Umsatzbringer in der Schweizer Gastronomie. Obschon konkrete Zahlen fehlen, machen die Schätzungen einen verlässlichen Eindruck. So hat eine Erhebung von Cafetiersuisse, die sowohl Rückmeldungen von Röstern und Kaffeemaschinenherstellern als auch von Verbandsmitgliedern umfasst, ergeben, dass es sich im Jahr 2015 im Schnitt bei mindestens jedem dritten in der Deutschschweizer Gastronomie verkauften Kaffeegetränk um einen Café crème handelte. Der Rest verteilt sich auf Espresso, Cappuccino sowie in kleineren Anteilen auf Filterkaffee und weitere Kaffeemilchmischgetränke. Cafetiersuisse-Geschäftsführer Julian Graf schätzt, dass die Gewichtung des Café crème im Segment der klassischen Schweizer Gastronomie gar noch höher liegt: «Da sind wir wohl eher bei 50 Prozent.» Entsprechend schwer wiegt das Thema für den Verband. «Oft wird über die Spitze gesprochen, über die Betriebe, die Trends setzen. Wir repräsentieren aber auch die breite Masse, und für die ist der Café crème sehr relevant.» Dass sich Cafetiersuisse neben den betriebsökonomischen Aspekten zunehmend auch der qualitativen Diskussion widmet, trifft sich gut. Der Austausch – unter anderem mit Hohlmann – läuft.
In Münchenstein lässt dieser den schlechten Lungo nicht auf sich sitzen und bereitet einen zweiten Café crème zu – einen guten, bei dem er die Stärke hochfährt und die Extraktion in einem vernünftigen Rahmen hält. Dafür braucht er nicht nur gröber gemahlenes Pulver, sondern vor allem mehr davon. Das ist langfristig ein Kostenfaktor, aber für Hohlmann ein Muss: «An ein paar Gramm mehr pro Tasse führt kein Weg vorbei.» Das Resultat gibt ihm recht: Den Kaffee ziert ein gedecktes Schäumchen, er hat mehr Körper und Volumen – und er setzt sich im Mundgefühl klar vom Filterkaffee ab. So schön also kann Café crème sein.
Und doch scheint der Konsument kaum Ansprüche an ihn zu stellen. Warum, fragen wir uns, lässt der qualitätsverliebte Schweizer im Alltag auch eine bittere Brühe als Café crème durchgehen? Das liege, sagt Hohlmann, hauptsächlich am mitservierten Rahm. «Der Café crème trägt in seinem Namen schon seine Gegenmassnahme.» Kaffeerahm gleicht Bitterkeit und Säure aus und trägt zu einem vollen, viskosen Getränk bei. Diese Eigenschaft erkannte man schon früh – als die vollautomatische Kaffeemaschine den Markt zu erobern begann.