21.08.2018 Salz & Pfeffer 5/2018

Viel Rauch um alles

Text: Wolfgang Fassbender – Fotos: Simon Pynt
Ein BBQ-Thekenrestaurant ist massgeblich für die Entwicklung Singapurs zur Fooddestination verantwortlich. Bei gegrillter Taube und australischem Rotwein lernt der Gast, dass beim Essen Konsequenz zählt – und dass der Michelin etwas gründlich missverstanden hat.
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«Warum man einen solchen Gang nicht mit zwei Sternen prämiert, weiss keiner.»

Selbst schuld, wenn man den Hals nicht vollbekommt oder den Guide Michelin Singapore kauft. Ob die Gäste neben mir Zweiteres getan ha­ben, weiss ich nicht, aber dass sie die Por­tionen im Burnt Ends unterschätzen, wird nach wenigen Minuten klar. Setzt der be­leibte Herr nach dem dritten Gang noch ein zufriedenes Lächeln auf, den Gürtel gelockert, kommt er beim vierten bereits ins Schwitzen; auch seine Partnerin ist nun der finalen Sättigung nah.

Gut möglich, dass sich das Pärchen im Charakter des Lokals getäuscht hat, denn Fine Dining muss ja nicht bedeuten, dass es etepetete zuginge. Keine Happen zum Hungrigwerden, sondern ordent­liche Batzen. Auch was die Verfeinerung der Produkte angeht, lässt Chef David Pynt die Kirche im Dorf. Erste Koch­erfahrungen sammelte der Australier in Perth, das ja als abgelegener Geheimtipp unter den Essmetropolen des fünften Kontinents gilt. Stages im Noma, im Lon­doner St. John (Nose to tail!) und im bas­kischen Asador Etxebarri folgten. Grill­gerichte auf grossartige Weise: Pynt war angefixt. In London versuchte er es mit einem BBQ­-Pop­-up, und 2013 übernahm er in einem überschaubar grossen Lokal in einem jener typischen Altstadtviertel Singapurs die Rolle des Patrons. Zwei­geschossige Häuschen, Bars und Imbisse, ein Mischmasch aus Tempeln, Kirchen und Moscheen in Laufweite, der nächste Food Court nur einen Katzensprung ent­fernt. Vor dem Eingang zum Burnt Ends stehen immer ein paar, die nicht reserviert haben (drei Monate im Voraus schaden nicht) und dennoch hungrig sind. Sie ha­ben vom Konzept gelesen und wissen vielleicht sogar, dass der Laden auf der 50-­Best-­of-­Asia-­Liste auf Platz zwölf rangiert, nur ein paar Stellen hinter dem ebenfalls im Stadtstaat beheimateten Odette.

Dessen Chef allerdings ist Franzose und wurde vielleicht auch deshalb mit zwei Sternen im Guide Michelin bedacht, wäh­rend David Pynt in der soeben erschiene­nen Ausgabe nur eines einzigen Sterns für würdig befunden wurde. Eine absurde Entscheidung, die zeigt, wie sehr der be­rühmteste aller Restaurantführer zumin­dest in Asien den Trends hinterherhinkt oder, noch schlimmer, alles gründlich missverstanden hat. Oder wie soll man es nennen, wenn der Michelin einem sympa­thischen Schnellimbiss wie Hawker Chan einen Stern verleiht? Für ein – tatsächlich knuspriges – Huhn mit trockenen Nudeln und Sojasauce, wie man es in ähnlicher Qualität an Hunderten von Ständen und Beizen im essverliebten Singapur finden kann? Dessen malaysischer Chef, ein herz­licher kleiner Kerl, der kein Wort Englisch spricht, mutierte auf diese Weise über Nacht zum Star; die Schlangen für seine vier, fünf Franken kostenden Speisen wurden länger und länger.

Bei Chef Pynt geht es mit Recht teurer zu. Und rauchiger, denn nicht nur die Sil­houette des riesigen Holzofens mit zwei Temperaturzonen prägt den Raum, des­sen Duft legt sich auf angenehme, appetit­anregende Weise über die Insassen des Burnt Ends. Sie sitzen gequetscht an der Theke, müssen aufpassen, dem Nachbarn nicht die Ellenbogen in die Rippen zu stossen, und schauen den Köchen auf der anderen Seite zu, wie diese Fleisch vom Knochen lösen und Mandelholz nachle­gen. Klar könnten sie alle auch daheim grillieren, aber das Ursprüngliche scheint zu reizen. Und ja, es gibt Schlimmeres, als an einem jener typischen feuchtwarmen Tage Singapurs im klimatisierten Inneren zu sitzen und sich geräuchte Auberginen mit Miso oder gegrillte Hühnernacken mit weissem Pfeffer vorsetzen zu lassen. Von den saftigen Auftakt-­Fleischhappen bekomme ich gleich zweimal aufgetischt, was Versehen oder Aufmerksamkeit sein könnte. Die Gäste nebenan, die Menü-­ und Vielesser, sind derweil schon weiter, lassen nicht nur Quantität walten, son­dern auch Qualität. Die Produktauswahl des Burnt Ends, in dem auch schon Star­köche wie Andreas Caminada vorbeige­schaut haben, ist anspruchsvoll. Fürs Flat-­Iron-­Steak mit Knochenmark und gegrillten Zwiebeln zahlt man nicht viel, für die Zwei­Personen-­XXL­Portion eines 45 Tage trockengereiften Mayura Beef sind stolze 490 Singapur­-Dollar fällig.

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David Pynt hat es unter die besten Köche Asiens gebracht.
David Pynt hat es unter die besten Köche Asiens gebracht.
Signature Dish mit Krallen: die im Heu gereifte Taube
Signature Dish mit Krallen: die im Heu gereifte Taube
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Nicht alles wird geräuchert oder gegrillt, aber vieles: wie die Wachteleier mit Raucharoma.
Nicht alles wird geräuchert oder gegrillt, aber vieles: wie die Wachteleier mit Raucharoma.

Gar so weit geht das Pärchen nebenan nicht. Aber beim Hauptgang, vor Käse und Dessert, werden die Schweissperlen grösser. Gegen die hilft Wein, klar. Der Sommelier naht von der Küchenseite der Theke – auf der anderen wäre nicht genug Platz zum gepflegten Einschenken – und brüllt Empfehlungen herüber. Das Lautstärkelevel erinnert ans Oktoberfest. Aber vielleicht ist ja genau das gewollt. Irgend­ wann gerät man nämlich unweigerlich in einen angenehmen Trance-Zustand, der in einem normalen Restaurant – leise Kla­viermusik, Zweiertische – unmöglich er­reicht werden könnte.

Alkohol tut das Übrige. Grosse australi­sche Rote, sorgfältig dekantiert und ten­denziell etwas teurer als in der Schweiz, feine Sake der Junmai-­Daiginjo-Kategorie (tendenziell etwas billiger), witzige Cock­tails wie der All­-Australian-­Negroni und sogar deutsches Bier. Könnte allenfalls zur Burrata mit gegrilltem Fenchel und Oran­gen passen. Frisch, balanciert, dezente Rauchtöne. Ein feiner, milder Zwischen­gang. Ein Hoch auf den Souschef mit Baseball-­Cap, der meinen Hauptgang vor­bereitet und, im Trubel nie den Überblick verlierend, zwischen zwei Bons immer mal wieder Textnachrichten von seinem Mobile abruft.

Während die Gourmands nebenan vor den letzten Stücken des Rindfleischs kapitu­lieren und den Ärger über begrenzte Ma­genkapazität mit Wein hinunterspülen, naht meine Taube. Eine ganze natürlich, keine dekorative Brusthälfte, wie heut­zutage üblich in der Gastronomie. Die knusprigen Schenkel zum Abnagen ragen dekorativ in die Höhe, das Fleisch ist rosa und knusprig, die Jus toll, der Salat fein. Erwähnte ich das ausgezeichnete Sauer­teigbrot? Warum man einen solchen Gang nicht mit zwei Sternen prämiert, weiss keiner. Ob Michael Ellis, der internatio­nale Michelin-­Chef, wegen solcher Eska­paden den Verlag verlassen hat?

David Pynt scheint weit über solchen Fra­gen zu stehen. Liegt vielleicht daran, dass man in Australien noch ohne Michelin­-Sterne essen geht und Marotten nie künst­lich pflegt. Der halbgeschmolzene Käse mit geröstetem Brot, der im Burnt Ends den Käsewagen ersetzt, wäre auch in der Schweiz nicht köstlicher zu haben. Und die Eiscreme mit dezentem Rauchge­schmack schmiegt sich, ganz zum Schluss, auf feine Weise an die Schokoschnitte an. Schnell mache ich den Platz frei. Die nächsten Gäste warten schon im Regen­waldklima vor der Tür, um authentisches Essen zu erleben, cool angerichtet, tief­gründig im Geschmack. Und sollte an­ schliessend jemand wider Erwarten noch Lust verspüren auf grossartige Nudelsup­pe: Singapurs Food Courts haben häufig die ganze Nacht geöffnet. Für die vielen Einheimischen, die daheim auf eine eigene Küche verzichten, oder für die Besucher im asiatischen Essparadies.

Im Burnt Ends zahlt man für Haupt­gänge zwischen 50 und 345 Singa­pur-­Dollar, umgerechnet also 36 bis 250 Schweizer Franken.

Burnt Ends
20 Teck Lim Road
Singapur 088391
+65 6224 3933
www.burntends.com.sg

Heuschrecke zum Trinken
Wer das Burnt Ends mag, wird das Native lieben. Die internationalen Spirituosen­vermarkter dagegen machen einen Bogen um den Laden in einem Obergeschoss in der dicht bevölkerten Amoy Street. Gründer Vijay Mudaliar und sein Team mixen ausschliesslich mit asiatischen Bränden und Likören. Ebenso authentisch sind die Cocktails. Der Grasshopper besteht aus Zitronengras, geeister Kokos­milch, weissem Rum und einem Pulver von getrockneten Insekten.

Native
52A Amoy Street
Singapur 069878
+65 8869 6520
www.tribenative.com