«Als Bub fühlte ich mich in der Küche wie auf einem Piratenschiff.»
Lassen Sie uns erst zurückschauen: Sie sind in der Gastronomie grossgeworden.
Carlos Navarro: Sozusagen. Meine Eltern hatten sich früh getrennt, und die Zeit, die mein Bruder und ich mit meinem Vater hatten, verbrachten wir hauptsächlich in dessen Restaurant. Wir halfen mit, rüsteten zum Beispiel Zwiebeln. Die Küche faszinierte mich schon immer, vor allem auch der menschliche Aspekt.
Wie meinen Sie das?
Mein Vater stammt aus ländlichen Verhältnissen in Spanien. Als er in die Schweiz kam, arbeitete er nicht in erster Linie mit professionellen Gastronomen zusammen, sondern eher mit seinen Landsleuten oder mit Menschen aus anderen Nationen. Das ergab eine kunterbunte Mischung an Sprachen und Mentalitäten und liess Raum für viele kulinarische Einflüsse. Ich liebte die Stimmung, die brodelnden Töpfe, die Geräusche und Gerüche. Als Bub fühlte ich mich in der Küche wie auf einem Piratenschiff.
Schon klar, dass Sie Koch werden wollten.
Zumindest ein Stück weit lag das auch an meinem Nachbarn; acht Jahre älter, gelernter Koch und für mich ein grosses Vorbild. Er arbeitete in verschiedenen Betrieben, in denen ich ihn manchmal besuchte. Da trugen die Leute Kochjacken und Hüte, und ich als Teenager fand dieses Uniformierte schon auch cool. Dann absolvierte ich die Lehre in einem klassisch französischen Restaurant, der Umgangston war rau und ich hatte zu kämpfen. Ich verstehe das noch immer nicht: Warum geht man in einem Beruf, der eh schon sehr streng ist, grob miteinander um? Das löschte mir zwischenzeitlich echt ab. Das Kochen wollte ich deswegen aber nie aufgeben; es gibt mir so viel.
Was denn?
Ich mag es, dass ich damit Freude bereiten kann. Wer kocht, macht Menschen glücklich, wer sich mit positiven Vibes umgibt, ist selber froh. Und nie hungrig. Sie wirken nicht nur, aber auch was den Beruf angeht, sehr leidenschaftlich. So bin ich. Ich knie mich voll rein. Als ich beim Caterer Franzoli war, kochte ich nach der Arbeit daheim weiter. Und die ersten zwei Jahre im Rechberg verliess ich die Küche kaum: Ich war ständig hier, nahm Tiere auseinander, machte Lebensmittel ein. Wenn ich rausging, dann aufs Feld, zu den Produzenten. Das war schon cool.
Heute überlassen Sie die Küche immer öfter Ihrem Team.
Das hat mehrere Gründe. In erster Linie sind wir ein Team mit einem unglaublichen Potenzial: Alle übernehmen Verantwortung und bringen grosse Freude in die Küche. Diese Dynamik hebt unser Schaffen auf ein neues Level, und weil wir die Verantwortung teilen, habe ich auch Luft, mich wieder mehr den kreativen Arbeiten zu widmen und meinen Horizont zu erweitern. Um die Grenzen zwischen Küche und Service zu brechen, schufen wir beispielsweise einen Dienst, bei dem wir Köche auch im Gastraum präsent sind. Das alles hilft mir, ein besseres Verständnis fürs grosse Ganze zu bekommen. Ich erlebte einen grossen Schub an Freude und Motivation, erfuhr viel über mich und meine Rolle im Team.
Können Sie das erklären?
Ich lernte, mich in gewissen Situationen zu zügeln und den anderen Teammitgliedern mehr Raum zu lassen. Ich bin eher laut, vor allem in meiner Begeisterung: Wenn mir etwas gefällt, will ich darüber reden, mein Umfeld dafür gewinnen. Ich erkannte, dass diese Art die Freude und Motivation meine Kollegen ersticken und dazu führen kann, dass sich jemand fragt: Warum bin ich selbst nie so wahnsinnig überzeugt von meinen Ideen? Also halte ich mich etwas zurück.
Ist das nicht schade?
Ich verliere meinen Enthusiasmus ja nicht, ich teile ihn nur gezielter. Und ich glaube, ich habe in meiner Kommunikation grosse Fortschritte gemacht.