24.11.2016 Salz & Pfeffer 8/2016

Vom Beifang zur Beute

Text: Claudio Zemp – Fotos: Tina Sturzenegger
Eine Weile lang galten Weissfische als unverkäuflich. Wenn man aber Schwale, Alet oder Brachsmen richtig anpackt, eignen sie sich prima für lokale und saisonale Spezialitäten. Eine Chance für Fischer und Köche.
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Es gab eine Zeit, da konnte man Weissfische nur als Pinguinfutter an den Zoo verklickern. Alle Welt lechzte ausschliesslich nach den Filets von Felchen, Egli oder Zander. Schwalen, Rötel, Brachsmen und Co. dagegen galten als Beifang. Weder der Fischer noch seine Kunden mochten sie besonders, ausgenommen vielleicht jene fischenden Buben mit Uferanstoss, deren Glück darin bestand, irgendeinen Fisch selbst aus dem See gezogen zu haben.

Henä Buri aus Mooseedorf war so einer.Heute ist der gelernte Koch selbst Berufsfischer und Vater von drei Teenagern. Der kantige Händler lässt seit kurzem Weissfische auf Bauernhöfen im Bernbiet in Kreislaufkulturen mästen. Die Knusperli und Rollmöpse, die er daraus produziert, sind begehrt. Die jungen wilden Köche hätten gerne mehr davon, sagt Buri: «Wir führen eine Warteliste und können nicht jeden Betrieb beliefern.» Wie sich doch die Zeiten ändern. Der umtriebige Moosseefischer, der sich selbst als «Wildsau» bezeichnet, redete als Bub berndeutsch von «Schissideckle», wenn er einen Weissfisch an der Angel hatte. Angebissen haben sie ja immer. Man konnte statt dem Wurm sogar Brot verwenden. Im Unterschied zu den Räubern der Seen wie Forelle oder Hecht zählen die Weissfische zu den omnivoren Friedfischen: Sie sind hauptsächlich Vegetarier und in fast allen Gewässern der Schweiz verbreitet.

Die ruhigen Zeiten sind indes vorbei, die Gattung der Karpfenähnlichen wird gerade neu als Brotfisch entdeckt. Der Fischernetzwerker Arne van Grondel zum Beispiel ist auf der Weissfisch-Spur. Er betreibt vor allem Import von nachhaltigen Meerfischen. Nur rund fünf Prozent der Fische, die in der Schweiz verzehrt werden, schwammen in einheimischen Gewässern. Doch die Schwalen in unseren Seen hätten Potenzial, sagt van Grondel: «Das ist die Chance der heimischen Fischereien!» Van Grondel erlebte als Comestibles-Händler in Interlaken auch jene Zeiten, als täglich Tonnen von Felchen aus dem Thunersee gezogen wurden. Damals habe sich das Befischen der Schwalen nicht gelohnt, sagt er: «Schwalen brauchen andere Netze. Sie sind für die Fischer aufwendiger.» So müsse man Weissfische etwa im Winter fischen, wenn das Wasser kalt ist und die Fische magerer sind. Die Schweizer Seen sind heute zudem so sauber, dass die Fische nicht mehr so gross werden wie einst. Die bessere Wasserqualität habe dafür der Artenvielfalt gut getan, so van Grondel, der «Schwalen-Knusperli» als einheimische Winterspezialität promotet.

Auch die Verarbeitungstechnik macht Fortschritte. Die einst gefürchteten Y-Steckgräte der Schwalen werden schon beim Fischer in der Zisliermaschine so verarbeitet, dass im Knusperli keine Grätenmehr zu spüren sind. Van Grondel arbeitet mit Bernhard Zahner aus Gommiswald zusammen. Die Weissfische für seine Knusperli stammen aus dem Bodensee, den Vertrieb übernimmt Arnes Firma Marinex. Das Spezielle aber mache der Teig aus, sagt van Grondel: «Das Rad können wir nicht neu erfinden, aber die Bereifung schon.» Im Backteig geknuspert, kann der Wirt das Fischknusperli sogar mit lokalen Zutaten weiterveredeln. Zahner backt bei Bedarf auch einen Bierteig mit dem Bier vom Dorf – ein besonderer Take-Away-Happen.

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Weissfische im Trend? Patrick Marxer von «das Pure» in Wetzikon ist grundsätzlich skeptisch gegenüber Moden. Aber auch er verteidigt die Schwale. Erstens kann der stumme Fisch sich nicht selber wehren. Zweitens bestreitet Marxer, dass Weissfische so unbeliebt sind: «Das waren bis in die Fünfzigerjahre Brotfische.» Der Räucherer aus Wetzikon ärgert sich über hartnäckige Vorurteile. Etwa jenes, dass der Schweizer halt keine Karpfen esse: «Das stimmt nicht. Für viele Migranten gibt es Karpfen zu Weihnachten.» Marxer selbst lebt natürlich auch nicht vom Weissfisch allein, aber er verwendet das Fleisch sehr gern. Man müsse Weissfisch etwas differenzierter behandeln, sagt er: «Es gibt in unseren Seen genügend Fische. Nur trägt die Gastronomie dem Potenzial noch zu wenig Rechnung.» Erst vereinzelte Betriebe hätten den Weissfisch entdeckt, so Marxer.

Der Wurstfachmann aus Wetzikon arbeitet mit vier bis fünf Fischern aus dem Zürichsee zusammen, deren Weissfische er verarbeitet. Die mögliche Menüpalette sei enorm: «Ein guter Koch hat mit Weissfisch kein Problem.» Marxer legt die Schwalenfilets unter anderem in Essig ein und verkauft sie als «Saure Schwalen» im Glas auch an Privatkunden. Dabei löst sich auch das Problem der letzten Gräte übrigens wortwörtlich (im Essig) auf. Mit Resten vom Hecht sind Weissfische der Hauptbestandteil des Fischburgers von Das Pure. Im Burger ist ein Ei drin, aber kein Brot: «Deshalb ist unser Burger glutenfrei», so Marxer. Und dann gerät er doch noch ins Schwärmen, wie dankbar die einheimischen Arten für Köche wären. Die Schleie etwa, nach einem uralten Rezept als ganzer Fisch zubereitet: «Mit ihrer blauen Farbe macht sie sich gut auf dem Teller.» Wenn man dem einheimischen Fischbestand gebührend Respekt zolle und weniger selektiv fische, verheisst Marxer den Weissfisch-Spezialitäten eine grosse Zukunft in den Küchen. Das Filet Royal der Brachsmen, nasskalt geräuchert, als Carpaccio Bianco. Oder das Filet aufgeschnitten und nur mit Sauerrahm serviert, Schwalen pur, Weissfisch eben: «Man kann sehr viel machen damit.»

Der Weissfisch ist für die Industrie nicht sehr interessant, aber eine Chance für kleine, lokale Produzenten. Deshalb ist auch Henä Buri heute ein Fan des «chüschtigen» Fleisches: «Ich liebe Weissfisch über alles.» Mit dem Verein «Fisch vom Hof» lässt Buri Weissfische in kleinen Kreislaufkulturen züchten. Zum Beispiel bei Bauer Niklaus Jenni, der auf seinem Hof in Moosseedorf in einem ungenutzten Kuhstall und einem alten Feuerwehrteich eine kleine Fischmast eingerichtet hat. Als Ergänzung zur Schweinezucht und zum Ackerbau hatte es im Teich schon früher Karpfen. Der omnivore Weissfisch hat gegenüber Zander oder Egli in der Zucht aber einen schlagenden Vorteil, so Bauer Jenni: «Der vegetarische Fisch ist für mich der wertvollste, weil ich das Futter selbst produzieren kann.» So geht die Rechnung für Bauer und Fischfachmann Buri auf – solange die Produktion klein bleibt. Im Kanton Bern werden bis zu sieben Tonnen Fischmast pro Jahr in der Landwirtschaftszone toleriert. Und Schwalen brauchen immer noch etwas mehr Aufwand beim Marketing, betont Buri. Denn die Vorurteile beim verwöhnten Gast schwirren halt doch noch herum. Aber Buri kennt ein paar gute Rezepte dagegen. Zum Beispiel das herbstliche Fischkraut; dabei liefert er dem Koch nicht nur das Weissfischfilet, sondern auch eine dünne Scheibe Buchenholz, in dem es eingewickelt wird. Sauerkraut dazu und fertig ist das währschafte Wildgericht. Das gibt es eben nicht überall. Und das Kernstück kommt aus heimischen Gewässern.

Das Rotauge (Rutilus rutilus) wird auch Plötze oder in der Schweizer Mundart Schwale genannt. Bei Anglern ist der Fisch aus der Familie der Karpfenfische beliebt, weil er in fast jedem Gewässer vorkommt. Die Schwale bevorzugt kiesigen Grund und sucht bei Hochwasser auch auf Wiesen nach Futter. Laichzeit ist von April bis Mai.

Der Alet (Leuciscus cephalus) gehört zur Familie der Karpfenartigen. Er wird auch Döbel, Aitel oder Dickkopf genannt, ist scheu, stellt aber kaum Ansprüche an den Lebensraum. Der Alet lebt mit Vorliebe im Mittellauf von Flüssen und frisst Kirschen und Trauben, die ins Wasser fallen. Räubert gelegentlich auch Kleinfische.

Der Körper des Brachsmen (Abramis brama), auch Brassen oder Blei genannt, ist hochrückig, abgeplattet und sehr schleimig. Er wird bis zu 80 Zentimeter lang und neun Kilo schwer. Der Brachsmen lebt in Schwärmen und bevorzugt grössere Seen und träge Flüsse. Er wühlt gern im schlammigen Grund und laicht von Mai bis Juli.