«Heute werden zwar weniger, aber deutlich teurere Spirituosen getrunken als früher.»
Sie gehören zu den renommiertesten Spirituosen-Experten im deutschsprachigen Raum. Und Sie sind Spirituosen-Sommelier. Was macht ein solcher?
Arthur Nägele: Das Gleiche wie ein Wein-Sommelier: Er ist Genussberater. Er sollte über alle Spirituosen Bescheid wissen, er kennt Geschichte, Herkunft sowie Produktionsmethoden und er lässt seine Gäste Geschmackskombinationen entdecken, die sie so noch nicht kennen. Ein Spirituosen-Sommelier weiss, wie man Speisen und Spirituosen aufeinander abstimmt, er empfiehlt auch die passende Zigarre zum Drink.
Diese Fähigkeiten vermittelt das Intensivseminar zum Spirituosen-Sommelier, das Sie in Zusammenarbeit mit Gastrosuisse anbieten. Wer kommt in die Kurse?
80 Prozent der Teilnehmer kommen aus der Gastronomie, davon sind etwas über die Hälfte Barkeeper. Sie wollen mehr als Drinks mixen, sich besser auskennen mit den Produkten, die sie anbieten. Manche haben gemerkt, dass ihre Gäste mehr wissen als sie selbst. Denken Sie an Whisky-Liebhaber – die sind das Schlimmste, was einem als Gastgeber passieren kann.
Warum?
Sie kennen nicht nur die Brennerei XY, sondern auch das Entenpaar auf dem Teich dahinter. Sie wissen, kurz gesagt, über jedes Detail Bescheid. Da ist geliefert, wer sich als Gastgeber nicht auskennt. Beim Wein haben die Gastronomen inzwischen aufgeholt. Im Bereich Spirituosen gibt es noch viel Luft nach oben. So kommen vereinzelt auch Küchenchefs in unser Seminar, Tobias Funke zum Beispiel. Er wollte das Thema nicht einfach seinen Leuten an der Bar überlassen, sondern sich selbst informieren. Die meisten Gastgeber haben ein Basiswissen über Spirituosen; das reicht nicht, um sich mit dem Gast darüber zu unterhalten.
Von Absinth über Obstler bis zu Whisky, Wodka und Rum – die Bandbreite an Spirituosen ist riesig. Das Sommelier-Seminar dauert sechs Tage. Wie will man sich da einen Überblick verschaffen?
Das Programm ist dicht, das Arbeitsmaterial umfangreich. Wir widmen uns an zwei Tagen Geschichte, Herkunft und Produktionsmethoden. Dann werden die Teilnehmer in die Degustationsmethode des Wine & Spirit Education Trust eingeführt, sie lernen blind zu degustieren und das Handwerk der Brenner vor Ort kennen. In einem zweiten Teil geht es darum, dieses Wissen verkaufsfördernd einzusetzen. Dazu gehören Themen wie der Umgang mit Spirituosen an der Bar, die Abstimmung des Angebots aufs Betriebskonzept und das Pairing mit Zigarren und Speisen. Dennoch kratzt das Seminar nur an der Oberfläche, es versteht sich als Basis, auf der die Teilnehmer aufbauen können – oder eher: sollten.
Nun ist der Spirituosen-Konsum seit Jahren rückläufig. Lohnt es sich überhaupt, auf Edelbrände zu setzen?
Heute werden zwar weniger, aber dafür deutlich teurere Spirituosen getrunken als früher. Für den Gastgeber stellt das ein grosses Potenzial dar. Wer sein Angebot nicht dem Zufall überlässt, sondern bewusst pflegt – mit einem Konzept dahinter –, kann sich damit neue Umsatzmöglichkeiten erschliessen. Dieses Potenzial liegt allerdings vielerorts brach, das war ja beim Wein damals nicht anders.
Auf welche Basics sollte ein Betrieb setzen, wenn er mit einem gut sortierten Spirituosenangebot punkten will?
Dafür gibt es keine Patentlösung. Eine Spirituosenkarte muss abgestimmt sein auf die Ausrichtung, die Gäste, die Küche eines Betriebs – darum bilden wir unsere Leute aus. Es gibt Trends, aber nicht für jeden empfiehlt es sich, ihnen zu folgen.
Wohin geht denn der Trend?
Gin und Rum, das sind zurzeit die grossen Themen. Zwar wurde schon vor zwei Jahren gesagt, der Gin-Hype habe den Zenit überschritten, doch allen Unkenrufen zum Trotz geht es weiter. Gin hat sich extrem entwickelt in den letzten fünf Jahren. Allein an den Swiss Gin and Rum Awards 2017 wurden 63 Gins aus dem deutschsprachigen Raum eingereicht. Da waren teilweise ganz verrückte Kreationen dabei.
Zum Beispiel?
Laut Gesetz ist Gin eine Wacholder-dominante Spirituose, hergestellt auf der Basis von neutralem Alkohol aus vergorenem Getreide. Ich habe aber schon «Gin» auf Kernobstbasis degustiert, solchen mit Alpenkräutern oder gar Weihnachtsgewürzen drin. Ähnliche Experimente gibt es mit Rum, der per Gesetz aus Zuckerrohrmelasse oder Zuckerrohrsaft gebrannt sein muss. Ich weiss von mehreren Projekten, die im Sinn haben, aus Zuckerrübenmelasse eine Art Schweizer Rum zu brennen.
Was sagen Sie dazu?
Es geht ja auch um Innovation, die ihre Berechtigung hat. Aus Sicht des Verkosters ist es schwieriger, weil diese Experimentierfreude klar definierte Grenzen aufweicht. Da kommt mir mein Schwur auf den Wacholder schon etwas in die Quere – den musste ich leisten, als ich 2016 in die Gin-Gilde aufgenommen wurde. Wenn die Qualität stimmt, lassen sich allerdings auch Traditionalisten überzeugen. Nicht umsonst hat sich bei englischen Brennern der Begriff des «Alpine Style» etabliert. Er steht für hochwertigen Gin aus dem Alpen- und Bodenseeraum.