20.11.2016 Salz & Pfeffer 3/2014

Von Hand, wie früher

Text: Regula Lehmann – Fotos: Jürg Waldmeier
Knöpfe drücken, Maschinen bedienen. So soll kein Käse entstehen. Erst recht nicht in den Schweizer Bergen. Genau deshalb und weil es ihnen Freude bereitet, käsen Mairs noch so, wie es sich gehört: von Hand und mit der Schaf- und Ziegenmilch der Nachbarn.
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«Was nach einer romantischen Gegebenheit aus dem urchig-idyllischen «Heidiland» klingt, musste sich das Ehepaar Mair hart erarbeiten.»

«Che Chaschöl!» So heisst die Dorfkäserei in Tschlin, einem kleinen Bündner Dorf oberhalb von Scuol. Übersetzt bedeutet der Name so viel wie «So ein Käse!». Und der Name ist Programm: Die beiden Käser Chatrina und Peter Mair-Denoth verarbeiten Büffel-, Ziegen- und Schafmilch zu zahlreichen hochwertigen und in der Gastronomie beliebten Käsesorten.

Einfach nur Knöpfe drücken – das ist nicht ihr Ding. Viel lieber stellen Chatrina und Peter Mair ihren Käse von Hand her, so wie dies Generationen von Käsern vor ihnen taten. In einer Welt, die sich immer schneller dreht, die automatisiert und digitalisiert ist, haben sie einen Gegentrend gesetzt und damit zur stärkeren Verbundenheit mit dem Nahrungsmittel zurückgefunden. Früh am Morgen bringen die Bauern ihre Schaf- und Ziegenmilch persönlich in die Käserei. Sie wägen sie ab und helfen Chatrina Mair, die Milch direkt ins Käsekessi zu schütten. Für einen kurzen Schwatz bleibt allemal Zeit, bevor die Käserin ans Werk geht. Aber der Reihe nach. Denn was nach einer romantischen Gegebenheit aus dem urchig-idyllischen «Heidiland», gar nach Heimatmuseum klingt, musste sich das Ehepaar Mair hart erarbeiten. In der Schweiz ist der Käsemarkt schliesslich ein knallhartes Business, wie jedes andere auch.

Peter Mair lernte als junger Mann das Käsen von der Pike auf und arbeitet seit nunmehr 30 Jahren als Angestellter in grossen Käsereien. Seine Frau und er gründeten sehr jung eine Familie, es galt, diese zu ernähren und Ausbildungen für die zwei Kinder zu bezahlen. Den Traum, sich einmal selbstständig zu machen, träumte Peter Mair aber seit jeher. Seinen Beruf liebt er zwar, in der grossen Käserei die Maschinen zu bedienen und tagtäglich dieselben Käsesorten aus Kuhmilch zu produzieren, erfüllt den lebhaften Mann aber nicht, wie er sagt: «Meine Arbeit in der Grossproduktion stimmt einfach nicht mit meinen Auffassungen überein, wie ein guter Käse hergestellt werden müsste.» Dass er heute Inhaber einer Käserei ist, in der aussergewöhnliche Käsesorten tatsächlich so produziert werden, wie er sich das vorstellt, dafür ist aber seine Frau verantwortlich.

Die Kinder waren mittlerweile selbständig und die Mutter, eine gelernte Sportartikelverkäuferin, dazu bereit, beruflich noch einmal so richtig durchzustarten. So liess sie sich von ihrem Mann in der Kunst des Käsens schulen. Der Zufall wollte es, dass zur selben Zeit die alte Käserei mitten in ihrem Heimatdorf Tschlin frei wurde, nachdem sie 23 Jahre lang als Tante-Emma-Laden betrieben worden war. «Wir erkannten unsere Chance und beschlossen, der alten Dorfkäserei wieder Leben einzuhauchen», erzählt Peter Mair. Zudem sah er Synergien mit einem Bauern im Dorf, der Ziegen hielt, aber nicht wusste, was er mit der Milch anfangen sollte. «Es war schon immer mein Traum, Käse aus Ziegen- oder Schafmilch herzustellen. Kuhmilchkäse empfinde ich als langweilig, davon gibt es in der Schweiz genug.» Auch Chatrina Mair hatte an der Idee Feuer gefangen. Bis zur Eröffnung mussten die beiden allerdings noch einige Hürden bewältigen.

Bisweilen waren die finanziellen Angelegenheiten nicht gelöst. In der alten Käserei waren zwar alle Installationen, die Abläufe und Fliesen an der Wand noch vorhanden – trotzdem mussten einige Investitionen getätigt werden, die Banken jedoch wollten keine Kredite gewähren. «Es gibt dir niemand Geld, wenn du am Rand einer Randregion eine Spezialitätenkäserei eröffnen willst», so der Käser. Die 20 Bettelbriefe an diverse Institutionen brachten nur gerade 10 000 Franken ein. Das Projekt drohte zu scheitern, doch dann kam ein alter Bauer als Retter daher.

Er erzählte den beiden, dass die Käsereigenossenschaft, die vor 23 Jahren aufgegeben worden war, ihre Räumlichkeiten an die Gemeinde verkauft hatte. Der Erlös von 80 000 Franken stehe denjenigen zu, die eine neue Käserei betreiben wollen. Peter und Chatrina Mair durften demnach das Geld als Startkapital nutzen.

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Im März 2006 stellte Chatrina Mair ihre ersten Ziegen- und Schafkäse her. Der Anfang verlief zwar etwas schwierig, denn in der Zwischensaison ist im Bündnerland nichts los. «Sobald sich aber die Küchenchefs um ihre Sommerkarten kümmerten, flatterten die Bestellungen herein», sagt Peter Mair und lacht. Bereits im August des ersten Jahres war das «Che Chaschöl!» ausverkauft. In der Gastronomie hatte es sich schnell herumgesprochen, dass in Tschlin aussergewöhnlicher Käse produziert wird.

Jetzt mussten Nägel mit Köpfen gemacht werden. Zwei Bauern im Dorf trennten sich von ihren Rindviechern und bauten einen grossen Gemeinschaftsstall für Milchschafe und die selten gewordenen Bündner Strahlengeissen. Die Rechnung ging auf, die Bündner Hoteliers und Küchenchefs entpuppten sich als treue Kunden. Zudem ergaben sich einige spannende Zusammenarbeiten, da die kleine Tschliner Käserei flexibel auf Kundenwünsche eingehen kann. «Anfangs waren vor allem die Einheimischen skeptisch, zumal hier das Vorurteil herrscht, Schaf- und Geisskäse stinke. Doch im Tal sind diese Käsesorten beliebt, und bei den Touristen sowieso», sagt Peter Mair und ergänzt mit Stolz: «Wir durften unseren Käse sogar bis nach Crissier an Philippe Rochat liefern.»

Trotz des Erfolgs sind Chatrina und Peter Mair auf dem Boden geblieben. Sie geben sich bescheiden, bleiben sich treu und manchmal, so scheint es, zelebrieren sie ihre ländlichen Werte bis aufs Äusserste. Dann zum Beispiel, wenn die beiden erzählen, wie ein Bündner Koch in Singapur einen Gastauftritt hatte und bei dieser Gelegenheit die Käsespezialitäten aus Tschlin orderte. Er wisse ja gar nicht recht, wo das liegt, frotzelt Peter Mair, er selber sei ja noch nie in einem Flugzeug gesessen. Der Käse jedoch sei tatsächlich ins ferne Land gereist, erst im Postpaket nach Zürich an den Flughafen, anschliessend in einer speziellen Box verpackt per Swiss-Maschine nach Singapur.

Mittlerweile liegt die Eröffnung der eigenen Käserei bereits acht Jahre zurück. Trotzdem ist Peter Mair bisweilen weiterhin in Samnaun in der Grosskäserei tätig, um mit dem Einkommen die Investitionskredite abzuzahlen. In seiner Freizeit kümmert er sich um das Marketing und den Verkauf im «Che Chaschöl! ». Das liegt ihm, er ist der Redselige der beiden, Chatrina Mair ist die Ruhige, sie hält sich lieber im Hintergrund und kümmert sich um die Käseproduktion. Sobald es die finanzielle Lage ermöglicht, will sich das Paar ausschliesslich dem eigenen Käse widmen und Seite an Seite neue Sorten kreieren.

Bis es so weit ist, lebt Chatrina Mair alleine den Traum in der Selbstständigkeit. «Es ist ein strenger, aber schöner Beruf. Ich geniesse es, eine Arbeit zu haben, die mir die Freiheit gibt, das zu tun, was ich will, und die Möglichkeit, auch einmal etwas Neues auszuprobieren», schwärmt sie. Der «Terna», Chatrinas Schafkäse aus dem Körbchen, hat sich mittlerweile zum beliebtesten Produkt aus der Käserei gemausert und ist nebst dem «Tschlinis», einem Camembert, und dem «Tschigrun», einem Geissenricotta, sogar in der Delikatessenabteilung von Globus erhältlich. «Momentan übersteigt die Nachfrage bei Weitem unser Angebot. Wir können aber nicht mehr produzieren, da wir nur eine begrenzte Menge Milch haben», erklärt die Käserin. Es ist ein Klagen auf hohem Niveau, denn natürlich erfüllt es sie mit Stolz, wenn sich die Konsumenten um ihr Produkt reissen.

Chascharia Che Chaschöl, Chatrina und Peter Mair, Giassa d’Immez 93A, 7559 Tschlin, 79 777 74 86, www.chechaschöl.ch

Die Einwohner von Tschlin sind findige Menschen. Die Hersteller feiner Biere, Käse, Fleisch- und weiteren Landwirtschaftsprodukten sowie zahlreiche Dienstleister haben ein eigenes Gütesiegel «Bun Tschlin» geschaffen und bündeln damit Vermarktungssynergien. Nicht zuletzt verleihen sie ihrem Dorf und der Region ein einheitliches Gesicht. Ein Besuch lohnt sich, es gibt zahlreiche Köstlichkeiten zu entdecken.
www.buntschlin.ch