«Wenn wir die demografische Entwicklung unserer Gesellschaft anschauen, ist eigentlich klar, dass pürierte Kost immer mehr zum Thema werden wird.»
Die Frage drängt sich zum Einstieg auf: Warum wechselt einer nach Jahrzehnten in der Gourmetküche in die Gemeinschaftsgastronomie? Wie war das bei Ihnen?
Bernd Ackermann: Ich war 2014 an einem Punkt, an dem ich darüber nachdachte, ob ich mich beruflich noch einmal verändern will oder soll – und wenn ja, in welche Richtung das gehen könnte. Ich hatte über 30 Jahre in der Spitzengastronomie hinter mir, mit viel Stress und wenig Freizeit. Meine Kinder hatte ich in den ersten sechs Jahren wenig gesehen. Das wollte ich ändern. Hinzu kam ein Umbruch im Suvretta House mit vielen Ab- und Neuzugängen. Und ich hatte Glück: Mein heutiger Chef in der Schweizerischen Epilepsie-Stiftung war früher jahrelang Direktor in einem St. Moritzer Hotel gewesen. Als er erfuhr, dass ich mich beruflich neu orientieren möchte, kam er auf mich zu.
Einfach sei der Umstieg aber nicht gewesen, räumen Sie ein.
Das ist wahr. Ich arbeitete eine Woche hier zur Probe und bewarb mich auf den Job. Aber vieles war für mich Neuland; diese Riesenmengen, diese 250-Liter-Kessel mit Tomatensuppe, der hohe Einsatz von Convenienceprodukten damals. Mein Vorgänger hatte hier über 20 Jahre als Küchenchef geamtet und viele der Mitarbeiter gehörten seit langer Zeit zum Team. Dass ich kam und von Anfang an versuchte, vieles zu ändern, keine Saucen und Suppen mehr anzurühren, sondern sie selbst herzustellen zum Beispiel, darauf waren die Reaktionen verhalten. Nach drei Monaten suchte ich das Gespräch mit meinem Chef.
Was sagten Sie ihm?
Dass es mich bedrückt, wie es läuft – und dass ich länger bleiben möchte, dafür aber Leute brauche, die mich unterstützen. In St. Moritz hatte ich das gehabt; Menschen, denen ich vertraute und die ihrerseits wussten, wie ich funktioniere. In der Zwischenzeit habe ich 16 Mitarbeiter, die ich von meinen früheren Stationen kenne, hierher nachgezogen. Wir sind heute ein tolles Team.
Welche Haupterkenntnis haben Sie seit Ihrem Wechsel vor sechs Jahren zur Stiftung in Zürich gewonnen?
Es gibt auch ein Privatleben. Und dass es nicht immer im Vordergrund stehen muss, für die Schönen und Reichen da zu sein, sondern dass man auch mit einfachem Essen Menschen begeistern kann. Mein heutiges Wirkungsfeld steht im krassen Gegensatz zu meinem früheren. Ich habe in meiner Karriere wirklich viel gesehen und erlebt, gerade auch in der Zeit als Küchenchef des Weltwirtschaftsforums in Davos, und ich möchte die Zeit auf keinen Fall missen. Ich möchte aber auch nicht mehr zurück. Ich fühle mich wohl mit meiner heutigen Aufgabe und schätze die Unterstützung, die ich von der Stiftung dabei erfahre. Der Fokus liegt hier wirklich darauf, dass es den Bewohnerinnen, den Patienten, aber auch den Menschen, die hier arbeiten, gut geht. Das zeigt sich nicht zuletzt in den Möglichkeiten, die wir hier zur Aus- und Weiterbildung haben. Ich selbst konnte zum Beispiel noch den eidgenössischen Diätkoch machen.
Welchen Stellenwert hat diese Ausbildung Ihrer Meinung nach heutzutage?
Sie wird immer wichtiger, davon bin ich überzeugt. Wir sehen das bei uns: Anfang 2015 schickten wir vielleicht 20 Prozent Spezialdiäten. Bis heute hat sich deren Anteil fast verdoppelt – Tendenz steigend. Pürierte Kost gewinnt ebenfalls an Bedeutung. Sie bietet sich nicht nur für Menschen mit Schluckstörungen an, sondern auch beispielsweise bei Demenz oder schlicht und einfach bei schwindender Kraft im Alter. Wenn wir die demografische Entwicklung unserer Gesellschaft anschauen, ist eigentlich klar, dass pürierte Kost immer mehr zum Thema werden wird. Das alles beschäftigte mich sehr, und ich kam zum Schluss: Wir brauchen eine bessere Ausbildung in dem Bereich – und es fehlt ein Standardwerk.
Also beschlossen Sie, eins zu schreiben?
Ja. Es gab irgendwie nicht wirklich was. In der Schweiz beschäftigt sich Molekularkoch Rolf Caviezel mit dem Thema, und ich finde toll, was er macht. Selber entschied ich mich bewusst für einen anderen Ansatz. Wichtig finde ich, dass wir einheitliche Standards etablieren: Wir brauchen verbindliche Anleitungen, sodass ein Koch, der von einer Arbeitsstelle zur nächsten wechselt, auf dem, was er gelernt hat, aufbauen und damit weiterfahren kann. Mit «Make food soft» haben wir ein Fachbuch geschrieben, das Köchen, aber auch ungelernten Personen ermöglicht, diese Sonderkost der pürierten Ernährung nach gewissen Standards umzusetzen. Wir behandeln dabei die Theorie, aber auch die praktische Form, beschreiben, was dahintersteckt, wie sich unsere Gerichte aufbauen und wo sich die entsprechenden Hilfsmittel beziehen lassen.
Sie arbeiteten dafür mit verschiedenen Fachleuten zusammen.
Genau, ich war mit Firmen wie Nestlé in Kontakt, mit Lehrpersonen an Berufsschulen, mit Ärzten, Pflegenden und Therapeutinnen. Nach über einem Jahr Recherche hatte ich ein Konzept auf dem Tisch, von dem ich überzeugt war – und suchte einen Verlag, der es mit mir umsetzt. Da landete ich erst einmal wieder auf dem Boden der Tatsachen.