«Ich lernte: Die Wand ist härter als der Grind.»
Sie haben Ihre Lehr- und Wanderjahre ausgiebig zelebriert. Warum war das für Sie wichtig und richtig?
Stefan Beer: Jede meiner Stationen, insbesondere die ersten hier in der Schweiz, wählte ich, um etwas Bestimmtes dazuzulernen. In der Kulturquelle Brunnen in Bätterkinden zum Beispiel wollte ich unbedingt bei Res Hubler in die Patisserie, weil das nach der Lehre mein schwächster Posten war, im Restaurant Attisholz in Riedholz machte mich Jörg Slaschek als Gardemanger fit, und zu Rolf Fuchs ins Panorama in Steffisburg ging ich, weil wir uns aus der Wettkampfszene kannten und gut verstanden. Im Art Deco Hotel Montana in Luzern wiederum sammelte ich im Hinblick auf meine Meisterprüfung Erfahrungen in der Administration sowie im Bereich der Personalführung – und entdeckte plötzlich, dass mir diese ja eigentlich ganz gut liegt. Dabei war ich nicht unbedingt von Anfang an der grösste Teamplayer gewesen, sondern eher ein Einzelkämpfer. Aber mit zunehmender Reife kam das. Im Hotel Montana lernte ich, die Leute auf eine Reise mitzunehmen.
Apropos: Sie verliessen die Schweiz und gingen nach Schanghai.
Und das war anfangs alles andere als einfach. Wow! Ich sprach zu diesem Zeitpunkt kein Wort Englisch, und die Dimensionen waren für mich komplett neu. Nach 15 Mitarbeitenden in der Montana-Küche standen im Hyatt plötzlich 200 Leute. Ich hatte echt zu beissen.
Erzählen Sie!
Ich war völlig ahnungslos. Mit 28 hatte ich in der Schweiz durchaus Erfolge gefeiert, ein paar Wettkämpfe gewonnen, einige gute Jobs gehabt, aber in Schanghai hatte natürlich keiner auf mich gewartet. Und wegen meiner Sprachprobleme fand ich auch bei den Kolleginnen und Kollegen aus dem Westen nicht gleich Anschluss. Immerhin konnte ich mich mit dem österreichischen Executive Chef verständigen. Weil mein Fine-Dining-Restaurant noch nicht bereit war – das eröffnete zuletzt –, stellte mich der Chef in die Küche des Tea Room. Da gabs Frühstück, Mittagessen, Afternoon Tea und Dinner. Er sagte: Du lässt die Leute hier nicht allein, bist der Erste, der morgens in der Küche steht, und der Letzte, der sie abends verlässt. Du bleibst, wo du bist, und gehst höchstens kurz zur Toilette. Meine Arbeitstage dauerten von morgens halb sieben bis Mitternacht, danach kehrte ich nur noch in mein möbliertes Appartement heim, um meine Füsse in Eiswasser zu baden. Diese ständige Müdigkeit, gepaart mit der Arbeitsbelastung und den Verständigungsproblemen, war tough, und ich erinnere mich, wie ich eines Morgens beim Rasieren völlig weichgekocht in den Spiegel schaute und mich fragte: Was hat dich bloss geritten, so was zu machen – und hier zu bleiben?
Und?
Sobald ich wieder in der Küche stand, war für mich völlig klar: Ich gebe auf keinen Fall auf. Es war zwar hart, aber ich erarbeitete mir den Respekt, und nach einem Jahr ging es besser. Eigentlich von dem Moment an, in dem ich aufgehört hatte, mich gegen die Situation zu wehren und zu denken, die Welt funktioniere so, wie sie es in der Schweiz tut. Das macht sie nicht, und ich musste akzeptieren, dass nicht zwingend die anderen falsch liegen. Schanghai hat mich so vieles gelehrt, vor allem auch über mich selbst. Ich wurde demütiger. Als junger, ehrgeiziger Koch mit etwas Talent hatte ich dazu geneigt, mit dem Kopf durch die Wand zu stürmen. Mit der Zeit entwickelte ich eine gewisse Gelassenheit, fing ich an, meine Schritte zu planen, und nahm auch mal einen Umweg in Kauf, um ans Ziel zu gelangen. Ich lernte: Die Wand ist härter als der Grind. Und vor allem erkannte ich, wie wichtig das Team ist.
Stichwort Personalführung: Sie sagen, dass diese Ihnen ganz gut liegt.
Zumindest sehe ich das so, ja. Und ich glaube, dafür spricht, dass die Menschen in meinen Teams in der Regel lange bleiben. Sie bleiben – und sie entwickeln sich. Megaschön! Schliesslich möch te ich als Führungsperson ja, dass die Leute mir folgen.
Wie gelingt das?
Voraussetzung dafür ist, dass man weiss, wovon man spricht und was man tut, klar. Und dann müssen meine Vision und das Ziel, das ich uns als Team stecke, Sinn ergeben. Dann kommt das Team eigentlich automatisch mit.