«Meine Mitarbeiter sollen Schauenstein nicht als Blender verlassen, sondern mit viel Können und der gebotenen Bescheidenheit.»
Sagen Sie mal: Wer war für Ihre berufliche Laufbahn eine besonders prägende Figur?
Andreas Caminada: Ein wichtiger Mensch ist sicher David Dustin, mein Gastvater in Vancouver, wo ich nach der Kochlehre einen Sprachaufenthalt absolvierte. Er ist gelernter Koch, arbeitete damals als Comestibleshändler, nahm mich auf seine Auslieferungstouren mit und verschaffte mir die Möglichkeit, an verschiedenen Orten reinzuschauen und mitzuarbeiten. David öffnete mir die Augen.
Wofür?
Er zeigte mir, was es auf der Welt alles gibt, die ganze kulinarische Vielfalt. Das ist auch der Gedanke hinter der Fundaziun Uccelin, die wir 2015 gegründet haben: Wir möchten, dass die jungen Koch- und Servicetalente in unserem Programm solche Mentoren bekommen, dass sie sich weiterbilden, Erfahrungen sammeln und ihren Horizont erweitern. Unsere Stipendiaten schauen fünf oder sechs Monate lang unbeschwert in verschiedene Betriebe rein. Wir haben die Kontakte und sorgen für die Finanzierung, um das zu ermöglichen.
Formt ein weiterer Horizont Ihrer Meinung nach denn bessere Köche oder Servicemitarbeiter?
Er macht aus ihnen auf jeden Fall offenere Persönlichkeiten, die dank des grösseren Spektrums vielleicht motivierter sind, kreativ zu werden. Und sie haben bessere Chancen auf dem Markt: Viele Stipendiaten kriegen nach unserem Programm ein Jobangebot – im Blue Hill bei Dan Barber in New York beispielsweise oder bei Esben Holmboe Bang im Maaemo in Oslo. Das sind Riesenchancen.
Was springt dabei für Sie raus?
Ich muss davon nicht profitieren. Die Uccelin-Stiftung sehe ich nicht nur als Engagement für die Talente, sondern für die ganze Branche. Wir wollen den Beruf des Kochs und die Arbeit im Service attraktiver machen, das Ansehen heben. Gerade Frontmitarbeiter sollen wieder stolz auf ihre Tätigkeit sein. Da wünschten wir uns übrigens noch mehr und bessere Bewerbungen. Man muss ja echt nicht viel machen, um dabei zu sein: Es reicht, uns zu zeigen, dass man motiviert und die richtige Person fürs Programm ist.
Haben Sie dafür ein Gespür entwickelt?
Nun ja: Fehlgriffe gibt es immer. Aber ich bin jetzt 15 Jahre im Schloss Schauenstein, und in dieser Zeit haben sehr viele Leute mit uns gearbeitet. Ich entschied stets aus dem Bauch heraus, manchmal vielleicht aus der Not – und bis auf wenige Ausnahmen kam es gut heraus. Ein- oder zweimal lief es nicht ganz reibungslos, aber die restlichen über 100 Mitarbeiter, die bislang hier waren, dürfen gern wiederkommen.
Wenn Sie einen Nachwuchskoch einstellen: Wie wählen Sie aus?
Ein Must ist die Leidenschaft. Die Leute müssen den Job wirklich machen wollen. Wichtig ist mir zudem, wo die Köche gearbeitet haben – und wie lange. Wenn sich einer bewirbt, der in den besten Häusern tätig war, jedoch überall nur sechs Monate, lasse ich ihn nicht kommen. Ich sage ihm aber auch, warum.
Nämlich?
Er soll erst eineinhalb Jahre irgendwo bleiben. Minimum. So ein Lebenslauf lässt vermuten, dass der Mensch aufgibt, sobald der Druck steigt. Und ich stelle keinen ein, der nach ein paar Monaten wieder geht. Ich suche Mitarbeiter, die nicht nur kochen, sondern sich beweisen und eine Zeitlang unsere Philosophie leben wollen. Ausdauer ist elementar. Im Gegenzug stehe ich hinter jedem, der hier zwei Jahre gearbeitet hat, zu 100 Prozent. In dieser Zeit haben wir jeden in unsere Kultur eingeführt – selbst einen, der anfangs eine grosse Klappe hatte. Meine Mitarbeiter sollen Schauenstein nicht als Blender verlassen, sondern mit viel Können und der gebotenen Bescheidenheit.
Bescheidenheit: Ist es das, was Sie den Leuten beibringen?
Ich versuche es zumindest. Und halt alles, was dazugehört: Seriosität, Fleiss, Ausdauer, Zuvorkommenheit. Anderen Menschen mit Respekt zu begegnen. Dass man auch den Vorgesetzten gegenüber einen gewissen Anstand an den Tag legt.
Wie hierarchisch sind Sie im Schloss Schauenstein organisiert?
Als ich anfing, waren wir zu viert, alles lief ganz familiär. Das blieb mit bis zu 15 Mitarbeitern so. Ich hatte den Überblick, ohne Souschef und Co. Aber nach sechs, sieben Jahren wünschte ich mir, dass einer etwas länger bleibt – also führte ich Posten ein,um eine Aufstiegsmöglichkeit zu bieten. Und jetzt? Ab einer gewissen Grösse braucht es Struktur. Im Schloss Schauenstein arbeiten derzeit 42 Angestellte, 14 davon in der Küche. Menschen, die führen können, sind da ein Muss.
Am längsten bei Ihnen in der Küche sind Ihre Spüler.
Ja, Kanagrathinam Prasanthan – von uns allen liebevoll Sandim genannt – feiert im November sein zehntes Jahr bei uns. Wahnsinn! Und Leonor De Oliveira Pereira Goncalves arbeitet, mit Unterbruch, seit rund zwölf Jahren für mich. Sie macht mittlerweile Frühstück, Oeufs Benedict oder so filigrane Geschichten wie Kartoffelgitter: Darin ist sie super. Sandim und Leonor sind grosse Stützen. Wissen Sie: Ich erinnere mich gut an die Zeiten, als wir gern jemanden eingestellt hätten, aber niemanden fanden.
Der Ihren Ansprüchen genügte?
Nein, der sich meldete. 2003 lancierten wir mit dem Schloss Schauenstein ein neues Projekt, das erst mal keinen interessierte. Wir nahmen, was wir kriegen konnten, und mein vorheriger Arbeitgeber Hans-Peter Hussong vermittelte mir Leute, die sich ursprünglich bei ihm beworben hatten. Ich erkannte früh: Je mehr ich meinen Mitarbeitern beibringe, umso mehr Zeit habe ich für andere Sachen.
Was kann man einem Koch denn beibringen – und was nicht?
Alles. Respekt und Bescheidenheit, Selbstvertrauen und Mut. Es geht darum, die Stärken – und die Schwächen – eines Mitarbeiters zu erkennen, ihn entsprechend einzusetzen und zu fördern. Ich finde es schön, zu sehen, wie die Leute wachsen, ihren Weg gehen.