«Grenzen zwischen der konventionellen und der Biolegehennen-Haltung verwischen bezüglich Futter und Zucht zunehmend.»
Wie kamen Sie zum Huhn?
Kurt Brunner: Den ersten Kontakt hatte ich als Kind; mein Onkel führte in den Siebzigerjahren eine Anlage mit Batteriehennen, so eine richtig grusige. Da konnte ich mir jeweils etwas dazuverdienen. Als wir auf den Hof Looren kamen, existierte der Hühnerstall bereits. Es war ein mit der Bioknospe zertifizierter Produktionsbetrieb der Firma Hosberg. Dessen Patron, Alfred Reinhard, war ein Pionier in der Bioeier-Produktion – und Mitglied der lokalen Bioeier-Mafia. Ich verstand mich zwar gut mit ihm, merkte aber schnell, dass wir auf die Dauer nicht zusammen geschäften können.
Wieso?
Reinhard sagte damals schon, dass das Eis dünn werde. Damit meinte er einerseits das grosse Wachstum der Bioeier-Branche und anderseits die in der Werbung verschleierte Tatsache, dass die Grenzen zwischen der konventionellen und der Biolegehennen-Haltung bezüglich Futter und Zucht zunehmend verwischen. Er behielt Recht. Inzwischen haben die Grossverteiler den Anteil von Bioeiern auf einen Fünftel der schweizerischen Eierproduktion hochgefahren, und das wird sich noch steigern. Hosberg gehört heute zu einem Teil der Migros. 2005 stellten wir unseren Hühnerbetrieb auf Demeter um.
Wie macht man das?
Demeter hatte damals keine richtigen Regeln, was grössere Hühnerhaltungen anbelangt. Wir bauten grösser Ställe und gaben den Tieren einfach mal Futter aus Demeter-Getreide, woraufhin sie Mangelerscheinungen zeigten, schlechtes Gefieder bekamen und zum Teil sogar starben. Wir realisierten, dass diese speziell für die Eierproduktion gezüchteten Hybridhühner ohne Hochleistungsfutter nicht überleben können. Heute füttern wir unsere Rassenhühner mit einem Gemisch aus Getreidenebenprodukten und Molke von der Sennerei Bachtel. Ganz ohne Soja kommen wir aber leider auch nicht aus.
Sie kritisieren gern und viel, auch das Produktionslabel Demeter, unter dessen Dach Sie produzieren.
Wir sind keine Anthroposophen. Ich stehe solchen religiös angehauchten Sachen heute sehr kritisch gegenüber. Ich glaube nicht, dass die Anthroposophie eine ausreichende Grundlage ist für die biologisch-dynamische Landwirtschaft. Unter dieser verstehe ich das Streben nach Wesensgerechtigkeit. Es geht ums Tierwohl, um die Natur, aber auch um das Wohl des Bauern, um die Zusammenhänge mit der Industrie – ums Ganze. Demeter kann in meinen Augen letztlich nicht mit der Industrie zusammenarbeiten, aber genau das passiert zurzeit.
Sie sagen, das Demeterlabel habe im Grossverteiler nichts verloren.
Stellt man damit zertifizierte Nahrungsmittel in den Coop oder in die Migros, zwingt man den Bauern in die Massentierhaltung, dann muss alles grösser werden. Heute können Biohühner-Betriebe mit 2000 Tieren auf Demeter umgestellt werden. Mit einem Futter, das in meinen Augen grenzlegal ist, weil man nämlich wie bei der Biohaltung einen Vitaminprämix dazugibt, damit die Hochleistungstiere überhaupt überleben. Und dass die Demeterhühner mehr Platz haben müssen, wurde letztes Jahr gleich auch noch abgeschafft. Heute reicht der Haltungsstandard des Bio-Gütesiegels aus. Das war die Forderung der Grossverteiler, als sie letztes Jahr mit den Kommissionen von Demeter ein Päckli schnürten. Ich kämpfe noch dagegen an, aber es ist wahrscheinlich aussichtslos.
Warum gründeten Sie vor zehn Jahren das Pionierprojekt Huhn mit Bruder?
Mit gut 500 Tieren war ich über lange Zeit einer der grössten Demeter-Hühnerhalter der Schweiz. Ich begriff es als meine Verantwortung, auch den Bruder der Henne zu verwerten. Es steckte keine kapitalistische Logik dahinter, wir versuchten, eine echte Alternative zu entwickeln. Es war ein Selbstregulierungsauftrag, wenn Sie so wollen. Ich brauchte dafür zehn Jahre, dann kamen Demeter, Coop und Migros.
Und kopierten das Ganze?
Vor vier Jahren wollte Demeter Huhn mit Bruder übernehmen. Die Pläne des Labels gingen mir aber nicht weit genug, also lehnte ich ab. Daraufhin gründete Demeter Hahn im Glück, Hosberg kam mit Hahn und Henne, und irgendwo gibt es noch etwas, das Ei und Bruder heisst. Kurz, es entstand ein Wildwuchs von Labels, nur – und davor graut es mir – aus Marketingzwecken. Da geht es nicht um echte, nachhaltige Bemühungen.
Welche Strategie verfolgen Sie als Bauer in dieser Marktsituation?
Für mich ist die Zusammenarbeit mit der Nahrungsmittelindustrie ein Irrweg, der die Bauern zu einem Dienstleisterdasein versklavt. Ich versuche, in einzelnen Teilen das Modell einer partizipativen Landwirtschaft zu entwickeln. Nachhaltig ist für mich nur, wenn ich direkt mit dem Konsumenten arbeiten kann. Mit Leuten, die eben nicht auf farmy.ch, le shop oder coop@home irgendwelchen Schrott bestellen, dafür aber bereit sind, einen Teil ihrer kostbaren Freizeit in eine Beziehung mit uns zu investieren.
Auch Huhn mit Bruder kann man online bestellen.
Stimmt, wir bauen einen Abodienst auf, und es treffen auch laufend Bestellungen ein. Aber eigentlich wünsche ich mir, dass die Leute zuerst einmal bei uns vorbeikommen, und dann reden wir miteinander. So könnte ich erklären, wo das Problem liegt.
Erklären Sie es mir.
Ich und fünf Kollegen, alles mittelgrosse Bauern, könnten zusammen halb Hinwil (zirka 5000 Personen, Anmerkung der Redaktion) mit 75 Prozent aller Nahrungsmittel versorgen. Und es würde dabei niemandem schlecht gehen. Die Leute müssten auch nicht mehr bezahlen, aber sie müssten eine Beziehung zu uns aufbauen und so wieder ein Verständnis für die Bauern entwickeln. Im Gegenzug würden wir die Konsumenten besser verstehen. Wir reden nicht mehr miteinander. In meiner Vision gründen 50 oder 100 Familien eine Käserei und engagieren sich so verbindlich, dass sie die Milchprodukte vor Ort beziehen. Wir brauchen weder Coop noch Migros oder Aldi, die uns sagen, was die Nahrung von morgen ist.